Spendenaufruf für Flüchtlingshilfe: BDÜ politisiert, statt Belange der Berufsgruppe zu vertreten

Der BDÜ-Landesverband Baden-Württemberg (Vorsitzende: Tatjana Dujmic) hat seine Mitglieder dazu aufgerufen, für die Flüchtlingshilfe Karlsruhe zu spenden. In ähnlicher Weise hatte dies intern offenbar bereits der Landesverband Thüringen getan (1. Vorsitzende: Michele L. Johnson).

Auf der Website des BDÜ-Bundesverbandes ist zu lesen:

[Der BDÜ Baden-Württemberg hat] nach dem Vorbild des BDÜ-Landesverbands Thüringen eine Spendenaktion zugunsten der Flüchtlingshilfe Karlsruhe ins Leben gerufen. […]

 

Viele Menschen können das Stichwort „Flüchtlinge“ schon nicht mehr hören, weil es doch so scheint, als ob es für dieses Problem keine Lösung gibt. Dabei wird oft übersehen, dass es nicht Probleme, sondern Menschen sind, die aus den unterschiedlichsten Motiven hierher kommen. Sie alle aber haben eines gemeinsam: die Not. Denn ohne Not gibt es keine Flucht. Viele Flüchtlinge können oder dürfen nicht in unserem Land bleiben, doch solange sie hier sind, soll ihnen ein menschenwürdiges Leben möglich sein.

 

Hierzu möchte der Landesverband mit seiner Spende an eine Hilfsorganisation direkt vor Ort am Sitz des BDÜ, an dem sich auch die Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge befindet, beitragen. Viele Kolleginnen und Kollegen engagieren sich bereits ehrenamtlich in der Arbeit mit Flüchtlingen, doch nicht alle können es ihnen gleich tun. Eine Spende gibt allen die Möglichkeit, sich nach ihren Kräften zu engagieren.

 

Die Spende kann direkt an die Flüchtlingshilfe Karlsruhe unter dem Stichwort „Spende AG Flüchtlingshilfe BDÜ“ abgegeben werden, damit die Spende dieser Aktion zugeordnet werden kann. Der Spendenempfänger ist das Menschenrechtszentrum, das als eine der zahlreichen an der Flüchtlingshilfe beteiligten Organisationen die Spendensammlung koordiniert.

BDÜ-Präsident André Lindemann begrüßte die Aktion ausdrücklich und verschickte per Twitter öffentlich die anerkennende Nachricht „Wieder ein Grund, stolz auf seinen Berufsverband zu sein!“

Allgemeinpolitisches Mandat für Berufsverbände?

Seit etwa einem Jahr positioniert sich der BDÜ auch in allgemeinpolitischen Fragen, die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Berufsgruppe der Übersetzer und Dolmetscher stehen.

So rief der BDÜ-Bundesvorstand im Januar 2015 zur Unterzeichnung einer Petition auf, die sich gegen die PEGIDA-Bewegung richtete. Ein nicht näher bekannter Privatmann hatte es sich zum Ziel gesetzt, „1.000.000 Unterschriften gegen Pegida“ zu sammeln.

Der Zweck der Datensammlung blieb rätselhaft. (Die selbstgesteckte Zielmarke der Aktion wurde übrigens nicht erreicht. Innerhalb von neun Monaten kamen nur 443.979 Unterschriften bzw. E-Mail-Adressen zusammen.)

Mit dem Aufruf zur Beteiligung an der Petition hatte erstmals nach 1945 bzw. 1989 ein zu politischer Neutralität verpflichteter Berufsverband der Übersetzungsbranche seine Überparteilichkeit aufgegeben und sich ein allgemeinpolitisches Mandat zugebilligt.

Almosen nicht erforderlich – Uepo-Kommentar zur Spendenaktion des BDÜ

Lieber BDÜ,

 

am Geld wird die Integration der Flüchtlinge ganz gewiss nicht scheitern. Die dafür erforderlichen 5 bis 7 Milliarden Euro sind im Prinzip längst bewilligt. Almosen sind nicht erforderlich.

 

Kümmert euch lieber um eure satzungsgemäßen Aufgaben. Das bedeutet in diesem Fall: Unterstützt die im Rahmen der Flüchtlingshilfe ehrenamtlich tätigen Dolmetscher und Übersetzer! Diese sind (noch) mit Freude und Begeisterung bei der Sache, obwohl sie in der Regel keine Bezahlung erhalten.

 

Setzt euch dafür ein, dass den Ehrenamtlichen künftig ein angemessenes Honorar oder zumindest (wie zum Beispiel hier in Soest) eine Aufwandsentschädigung gezahlt wird.

 

Der in euren Pressemitteilungen stets wiederholte Vorschlag, die Laiendolmetscher durch Profis aus dem Verband zu ersetzen, ist illusorisch. Der BDÜ hat kaum Dolmetscher  für „Asylsprachen“ in seinen Reihen. Und die „Etablierten“ sind nicht bereit, zu den in der Asylpraxis herrschenden Konditionen zu dolmetschen.

 

Es gibt Indizien dafür, dass ihr allmählich von eurem hohen Ross herunterkommt und die im Bereich Community Interpreting tätigen Dolmetscher nicht länger als unqualifizierte Konkurrenz betrachtet, die die Preise kaputt macht. Hierzu gehört zum Beispiel die von euch mitgetragene „Initiative für Sprachmittlung im Gesundheitswesen“.

 

Das war auch schon einmal anders. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die realitätsblinde Attacke des VKD auf den Germersheimer Dolmetscher-Pool, der Einwanderern vor Ort hilft und wertvolle Arbeit leistet (MDÜ 5/2013, Seite 52/53).

 

Den von euch vertretenen etablierten Sprachmittlern, die nach JVEG-Sätzen abrechnen (70 Euro pro Stunde), geht durch die Arbeit der Laiendolmetscher ohnehin nichts verloren. Durch die bald zu erwartenden vielen Tausend Gerichtsverfahren, die von abgelehnten Asylbewerbern angestrengt werden, werden die gerichtlich Vereidigten noch mehr als genug zu tun haben.

 

Die aktuelle Entwicklung wird auch in unserer Branche Veränderungen nach sich ziehen:

 

– Die Zahl der Arabisch-Dolmetscher wird sich durch die zugewanderten Syrer in den nächsten Jahren vervielfachen.

 

– Der BDÜ wird bald auch eine nennenswerte Anzahl Dolmetscher für Mazedonisch, Dari, Paschtu, Tigre, Tigrinya und Somali in seinen Reihen haben. Ihr braucht dann nicht mehr hilflos mit den Achseln zu zucken, wenn entsprechende Anfragen kommen.

 

Überlegt euch, wie ihr mit den vielen Laiendolmetschern umgehen wollt, wenn diese in den nächsten Jahren um Aufnahme in den Verband bitten. Viele von denen werden weder Abitur noch ein übersetzungswissenschaftliches Studium vorweisen können.

 

Wenn ihr im Bereich des Dialogdolmetschens Einfluss nehmen wollt, könnt ihr die in diesem Bereich Tätigen nicht weiter als minderqualifizierte Sprachmittler aus dem Verband aussperren.

 

Jetzt ist nicht Geld, sondern konkrete Hilfe gefragt. Warum bietet ihr in euren Geschäftsstellen nicht kostenlos Fortbildungsseminare für die im Rahmen der Flüchtlingshilfe tätigen Laiendolmetscher an? Warum helft ihr nicht bei der Einrichtung von Dolmetscher-Pools?

 

Die Möglichkeiten konkreter Hilfsleistungen sind vielfältig. Nehmt sie im Interesse der Berufsgruppe wahr! Nutzt die Flüchtlingskrise, um die Öffentlichkeit über die wichtige und unverzichtbare Rolle der Dolmetscher und Übersetzer aufzuklären.

 

Ein Spendenaufruf beruhigt zwar das Gewissen, ist aber eher ein Zeichen von Hilfs- und Einfallslosigkeit. Man entledigt sich seiner Verantwortung als Verband nicht dadurch, dass man andere – nämlich die Mitglieder – auffordert zu handeln.

 

Vor allem hat eine solche Aktion nicht das Geringste mit den satzungsgemäßen Aufgaben des Berufsverbands zu tun und könnte als politische Parteinahme interpretiert werden.

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[Text: Richard Schneider. Quelle: BDÜ, 2015-08-28, Twitter, 2015-08-31.]