Am 01.12.2016 erschien die erste deutsche Ausgabe des französischen Satireblatts Charlie Hebdo. Offenbar aus Angst vor islamistischen Terroristen ziehen es die die meisten Übersetzer vor, anonym zu bleiben.
Im Impressum werden fünf Übersetzer aufgeführt, davon drei nur mit ihren Initialen. Bei den zwei Angaben mit Vor- und Zunamen könnte es sich um Pseudonyme handeln. Jedenfalls lassen sich im Internet keine gleichnamigen Französisch-Deutsch-Übersetzer ausfindig machen.
Auch der Name der deutschen Co-Chefredakteurin („Minka Schneider“), die von Paris aus die Arbeit der Zeichner, Texter und Übersetzer koordiniert, ist ein Pseudonym. Zur Übersetzungsarbeit erklärt sie: „Manchmal sitzen wir länger als eine halbe Stunde an der Übersetzung von winzigen Formulierungen.“
Die deutsche Ausgabe von Charlie Hebdo besteht aus Übersetzungen französischer Karikaturen und Texte sowie aus eigens für den deutschen Markt erstellten Beiträgen. Es handelt sich um die erste regelmäßige Auslandsausgabe der Wochenzeitung.
Die Erstausgabe erschien in einer überraschend hohen Auflage von 200.000 Exemplaren, also in der Größenordnung einer überregionalen Tageszeitung (zum Vergleich FAZ: 252.000).
Deutschland ist für Satirezeitschriften ein schwieriges Terrain
Die etablierten deutschen Satirezeitschriften Eulenspiegel und Titanic erscheinen lediglich einmal im Monat in einer Auflage von 110.000 bzw. 99.000 Heften. Sie bedienen einen Nischenmarkt und besitzen keinen nennenswerten politischen Einfluss. Ihre Redaktionsstuben gelten nicht als Kaderschmieden. Die dort arbeitenden Journalisten genießen kein hohes Ansehen, sondern werden eher als Spinner betrachtet. Die Titanic schafft es nur dann in die Schlagzeilen der Tagespresse, wenn sie wieder einmal verklagt wird.
Die Situation in Frankreich ist völlig anders und der Kontrast zu Deutschland könnte kaum größer sein. Satireblätter wie Charlie Hebdo und Le Canard enchaîné erscheinen wöchentlich in sehr hoher Auflage (250.000 bzw. 700.000 Exemplare). Sie decken Skandale auf und entfachen regelmäßig politische Diskussionen. In Frankreich haben sie einen ähnlichen gesellschaftlichen Einfluss wie in Deutschland die überregionalen Tageszeitungen (Süddeutsche, FAZ und Co.).
Billiges Zeitungspapier und -format in Deutschland nicht üblich
Ungewohnt für deutsche Satireliebhaber ist auch das Zeitungsformat, das billige Papier und die schlechte Druckqualität von Charlie Hebdo. Wer in Deutschland diese speziellen Vorlieben hat, versteht sich als Genießer und sammelt Monatsmagazine wie Titanic und Eulenspiegel im Schuber. Durch glattes, hochwertiges Papier und Vierfarbdruck sehen die auch nach 10 Jahren noch gut aus und lassen sich antiquarisch wieder verkaufen.
Charlie Hebdo wird hingegen auf normales Zeitungspapier gedruckt. Das Blatt sieht nicht nur aus wie ein Wegwerfartikel, sondern fühlt sich auch so an.
Herausgeber: „Für uns ist das ein Experiment.“ – Erfolgsaussichten ungewiss
Wegen des völlig anderen und sehr viel ungünstigeren Umfelds für Satirepublikationen in Deutschland werden die langfristigen Erfolgsaussichten für die deutsche Ausgabe eher skeptisch beurteilt. „Lässt sich französischer Humor übersetzen?“, fragt sich besorgt der Berliner Tagesspiegel. Möglicherweise wäre es klüger gewesen, die deutsche Ausgabe zunächst versuchsweise als Monatsmagazin mit den besten Beiträgen der französischen Wochenausgaben zu starten.
Herausgeber Laurent Sourisseau („Riss“), erklärt: „Für uns ist das ein Experiment. Ich will den Deutschen zeigen, dass auch sie Charlie Hebdo verstehen und darüber lachen können.“ In Deutschland hätten er und seine Kollegen eine „echte Neugierde“ auf das Wochenblatt gespürt, so Sourisseau laut Tagesspiegel.
Pariser Terroranschlag auf Redaktion jährt sich zum zweiten Mal
Das Pariser Redaktionsbüro von Charlie Hebdo war am 7. Januar 2015 von islamistischen Terroristen überfallen worden. Dabei wurden zwölf Mitarbeiter ermordet, unter ihnen fünf bekannte Karikaturisten einschließlich des Herausgebers.
[Text: Richard Schneider. Quelle: Charlie Hebdo, 2016-12-01; Tagesspiegel, 2016-11-30.]