Die heute (30.11.2017) erschienene deutsche Ausgabe von Charlie Hebdo war auch die letzte. Das im Dezember 2016 gestartete Experiment, die erfolgreiche französische Satirezeitschrift auch in Deutschland zu etablieren, ist gescheitert.
Nach genau einem Jahr wird nun die Reißleine gezogen, weil die als Rentabilitätsziel anvisierte wöchentliche Auflage von 10.000 Exemplaren nicht erreicht werden konnte. Von der Erstausgabe waren noch 200.000 Exemplare gedruckt worden, was fast der Auflage einer großen überregionalen Tageszeitung wie der FAZ entspricht.
Fünf Übersetzer müssen sich nun andere Aufträge suchen
Die wöchentlich erscheinende deutsche Ausgabe bestand zu einem großen Teil aus übersetzten Artikeln, die ursprünglich in Frankreich erschienenen waren. Zusätzlich wurden für die deutsche Leserschaft aber auch eigene Beiträge und Karikaturen erstellt.
Für die deutsche Ausgabe arbeiteten rund ein Dutzend Mitarbeiter, davon waren die Hälfte Übersetzer. Aus Angst vor den auch in Deutschland immer stärker werdenden Islamisten zogen diese es vor, anonym zu bleiben. Im Impressum erschienen sie nur als Buchstabenkürzel oder mit einem Pseudonym. Auch der Name der deutschen Co-Chefredakteurin („Minka Schneider“), die von Paris aus die Arbeit der Zeichner, Texter und Übersetzer koordinierte, ist ein Pseudonym.
„In jedem Fall können wir uns auf die Fahnen schreiben, dass wir die wohl erste und einzige französische Zeitung sind, die sich ein Bein ausgerissen hat, um 24 Stunden nach der Originalausgabe in allen Farben und Formen auf Deutsch zu erscheinen“, heißt es im Abschieds-Leitartikel.
Scheitern war absehbar – Deutschland für Satirezeitschriften schwieriges Terrain
Nach Erscheinen der deutschen Erstausgabe im Dezember 2016 hatte UEPO-Herausgeber Richard Schneider die Erfolgsaussichten bereits äußerst skeptisch beurteilt. Der Frankreich-Kenner, Satire-Freund und Comics-Liebhaber wies auf die gravierenden Unterschiede zwischen beiden Ländern hin und schrieb damals:
Die etablierten deutschen Satirezeitschriften „Eulenspiegel“ und „Titanic“ erscheinen lediglich einmal im Monat in einer Auflage von 110.000 bzw. 99.000 Heften. Sie bedienen einen Nischenmarkt und besitzen keinen nennenswerten politischen Einfluss. Ihre Redaktionsstuben gelten nicht als Kaderschmieden. Die dort arbeitenden Journalisten genießen kein hohes Ansehen, sondern werden eher als Spinner betrachtet. Die „Titanic“ schafft es nur dann in die Schlagzeilen der Tagespresse, wenn sie wieder einmal verklagt wird.
Die Situation in Frankreich ist völlig anders und der Kontrast zu Deutschland könnte kaum größer sein. Satireblätter wie „Charlie Hebdo“ und „Le Canard enchaîné“ erscheinen wöchentlich in sehr hoher Auflage (250.000 bzw. 700.000 Exemplare). Sie decken Skandale auf und entfachen regelmäßig politische Diskussionen. In Frankreich haben sie einen ähnlichen gesellschaftlichen Einfluss wie in Deutschland die überregionalen Tageszeitungen (Süddeutsche, FAZ und Co.).
Ungewohnt für deutsche Satireliebhaber ist auch das Zeitungsformat, das billige Papier und die schlechte Druckqualität von Charlie Hebdo. Wer in Deutschland diese speziellen Vorlieben hat, versteht sich als Genießer und sammelt Monatsmagazine wie Titanic und Eulenspiegel im Schuber. Durch glattes, hochwertiges Papier und Vierfarbdruck sehen die auch nach 10 Jahren noch gut aus und lassen sich antiquarisch wieder verkaufen. Charlie Hebdo wird hingegen auf normales Zeitungspapier gedruckt. Das Blatt sieht nicht nur aus wie ein Wegwerfartikel, sondern fühlt sich auch so an.
Wegen des völlig anderen und sehr viel ungünstigeren Umfelds für Satirepublikationen in Deutschland werden die langfristigen Erfolgsaussichten für die deutsche Ausgabe eher skeptisch beurteilt. „Lässt sich französischer Humor übersetzen?“, fragt sich besorgt der Berliner „Tagesspiegel“. Möglicherweise wäre es klüger gewesen, die deutsche Ausgabe zunächst versuchsweise als Monatsmagazin mit den besten Beiträgen der französischen Wochenausgaben zu starten.
Richard Schneider