Terminologiearbeit: Wie nützlich sind Nomenklaturen und Klassifikationssysteme?

Seit Jahrtausenden versucht der Mensch, alles zu klassifizieren. Es gibt laut Jonathan Swift in Gullivers Reisen die Menschen, die ein gekochtes Ei am spitzen oder am stumpfen Ende aufschlagen, es gibt den Metallbohrer und den Holzbohrer, usw.

Es ist daher nachvollziehbar, dass sich Terminologen für dieses Thema interessieren und versuchen, Termini in eine bestimmte Nomenklatur einzuordnen.

Ist das eine gute Idee und ist diese Idee in einem internationalen Umfeld leicht umzusetzen? Das möchten wir hier kurz prüfen.

Um beim Beispiel des Bohrers zu bleiben, wäre es die Aufgabe des Terminologen festzulegen, dass es einen Oberbegriff „Bohrer“ gibt und dass dieser Oberbegriff verschiedene Unterbegriffe wie „Metallbohrer“ oder „Universalbohrer“ umfasst und dass diese Unterbegriffe gegebenenfalls weitere Unterkategorien wie „HSS-Co-Metallbohrer (mit Cobaltlegierung)“ oder „HSS-TiN-Metallbohrer (mit Titannitrit)“ enthalten.

Was beim ersten Hinsehen logisch und einfach erscheint und für das Verständnis einzelner Begriffe sicherlich eine große Unterstützung bietet, ist bei näherer Betrachtung nicht immer leicht umzusetzen. Die erste Frage, die sich stellt, lautet: Welches Klassifikationssystem (Nomenklatur) nehmen wir?

In manchen Situationen gibt es ja weltweit anerkannte Klassifikationssysteme wie etwa beim eCl@ss-Standard zum digitalen Austausch von Produktstammdaten. Aber das ist bei weitem nicht immer der Fall.

Bestimmte Nomenklaturen gelten nur für einzelne Länder oder Regionen. Das ist z. B. bei der Klassifikation von Krankheiten der Fall, die in den USA bzw. in der EU oder in Japan unterschiedlich gegliedert sind. Nicht umsonst arbeiten weltweit viele Ausschüsse oder Arbeitsgruppen daran, Nomenklaturen zu harmonisieren.

Auch die vielen Landesnormen wie DIN (Deutsche Industrienormen), AFNOR (Frankreich) oder BSI (Großbritannien) klassifizieren keineswegs Produkte einheitlich. Dabei spielen auch die nationalen Gesetze eine Rolle, die bestimmte Begriffe (etwa in Bezug auf die Versteuerung der Produkte) anders definieren und auslegen.

Schließlich gibt es auch viele Situationen, in denen es einem Ingenieur, Terminologen oder Marketingverantwortlichen freigestellt bleibt, wie er Produkte oder Komponenten klassifiziert.

Ob aus einem festen Bestand anerkannter Klassifikationen oder aus frei definierten Nomenklaturen, festgelegte Klassifikationssysteme bringen einige Probleme mit sich.
Zuerst einmal entsprechen Klassifikationen nicht immer dem aktuellen Stand der Technik. Technologien entwickeln sich weiter, Produkte können sehr schnell ganz neue Funktionen erhalten und dadurch in neue Kategorien fallen bzw. mehreren Kategorien angehören.

Wir leben in einer Zeit raschen technologischen Wandels und neue Technologien wie Künstliche Intelligenz werden althergebrachte Klassifikationssysteme auf den Kopf stellen. Wie lange wird z. B. ein Industrieroboter noch als „automatisch gesteuerter, frei programmierbarer Mehrzweck-Manipulator“ (DIN EN ISO 10218-1:2012-01) gelten?

Des Weiteren ist es speziell in Bezug auf die Terminologiearbeit von großer Bedeutung, Terminologien global aufzubauen. Das bedeutet konkret, dass keine Sprache die Organisation der Begriffe einseitig bestimmt, sondern dass sowohl der deutsche als auch der amerikanische oder griechische Nutzer sich mit den angebotenen Definitionen und Klassifikationen zurechtfindet.

Es wird oft unterschätzt, wie stark Sprachen und lokale Gegebenheiten diese Faktoren beeinflussen. Verschiedene Sichtweisen für dieselbe Realität findet man immer wieder in der Technik, aber auch auf anderen Gebieten (Recht, Wirtschaft, Gesundheitswesen, usw.), sodass es besonders schwer ist, eine einheitliche universelle Klassifikation festzulegen.

Als weiterer Faktor gilt, dass Terminologien in der Regel nicht für eine einzelne Benutzergruppe, sondern auch für möglichst viele Nutzer bestimmt sind, seien es unterschiedliche Abteilungen eines Unternehmens wie Vertrieb, Entwicklung oder Produktion oder externe Nutzer wie Kunden oder Lieferanten.

Hier spielt im Hinblick auf die Klassifikation der Begriffe das Nutzungsszenario des Einzelnen eine große Rolle. Wer z. B. im Supermarkt seine Einkäufe tätigt, wird sich immer wieder wundern, warum die Tomatensauce nicht bei den anderen Konserven, sondern neben Pastaprodukten aufgestellt ist. Hier steht eine verkaufsfördernde Klassifikation im Vordergrund.

Der Redakteur blickt auch nicht zwangsläufig mit denselben Augen auf Produkte wie der Produktentwickler. Für ihn stehen Sicherheitsaspekte und die Vermittlung von Informationen über die Bedienung und Wartung des Produktes im Vordergrund, nicht die Bestellung von Produktionsmaterial oder bestimmte Produktionsabläufe.

Sobald die Terminologiearbeit mehr als eine klar abgegrenzte Benutzergruppe erreichen soll, bilden feste Nomenklaturen in vielen Fällen bei der Terminologieanreicherung eher ein Hindernis. Sie sind nicht sehr flexibel, zwingen die Klassifikation einer bestimmten Benutzergruppe auf und sind aufgrund sprachlicher oder kultureller Faktoren oft international problematisch.

Daher bieten Terminologien, die mehr auf individuelle Relationen zwischen Begriffen bauen, eine größere Flexibilität. Sie lassen z. B. zu, dass ein Begriff mehrere Oberbegriffe hat oder dass weitere assoziative Beziehungen wie „Ist_Teil_Von“, „Beeinflusst“ oder „Wird_Verkauft_Mit“ Begriffe miteinander verbinden.

So bleibt die Organisation der Terminologie flexibel, sie kann die Ziele und Bedürfnisse einzelner Benutzergruppen einbeziehen und berücksichtigt besser die Unterschiede zwischen Sprachen und Ländern.

Text: D.O.G. GmbH. Quelle: D.O.G. news 1/2018, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. François Massion.

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