Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht in Brasilien und Portugal

ATICOM-Workshop für Portugiesisch-Übersetzer und -Dolmetscher

ATICOM, Portugiesisch-Workshop 2018
Die Teilnehmer des alljährlich von der ATICOM ausgerichteten Portugiesisch-Workshops. – Bild: ATICOM

Am 3. und 4. Februar 2018 trafen sich zum zwölften Mal Portugiesisch-ÜbersetzerInnen und -DolmetscherInnen zu ihrem jährlichen Workshop in Frankfurt, organisiert und geleitet von Susanna Lips (ATICOM, Köln). Prof. Dr. Tinka Reichmann (Universität Leipzig) hatte aus gesundheitlichen Gründen leider kurzfristig absagen müssen.

Das Thema war wie gewohnt im Vorjahr von den rund 20 TeilnehmerInnen selbst festgelegt worden, wobei bei der Auswahl der Bezug zur täglichen Praxis im Vordergrund steht. Diesmal sollte es um Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten in Brasilien und Portugal (Diretivas Antecipadas de Vontade ‑ Objetivos, Alcance e Efeitos nos Direitos Português e Brasileiro) gehen.

Maria Fátima Veiga, Rechtsanwältin, Frankfurt a. M., und Elma Ferreira Jäntges LL.M., Bonn, hielten hierzu am Samstag Vorträge. Beide sind neben ihrer anwaltlichen bzw. lehrenden Tätigkeit auf das Übersetzen juristischer Fachtexte spezialisiert und werden wegen dieser für die Arbeit der Workshop-TeilnehmerInnen so wichtigen doppelten Fachkompetenz immer wieder gerne als Referentinnen eingeladen.

Maria Fátima Veiga referierte über die neue Gesetzgebung in Portugal zur Bevollmächtigung in Gesundheitsangelegenheiten und zur Errichtung von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten.

Wie in Deutschland, wird in Portugal ein Vorsorgeregister (RENTEV) geführt, auf das dort jedoch auch Ärzte im Bedarfsfall Zugriff haben.

Frau Veiga ging darauf ein, welche formalen Voraussetzungen für die Rücknahme und Änderung von Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten bestehen und erklärte, wer unter welchen Vorausetzungen Bevollmächtigter / Betreuer in Gesundheitsangelegenheiten sein kann.

Anhand eines Formulars für eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht (Diretiva Antecipada de Vontade – DAV) wurde erläutert, welche notwendigen Bestandteile eine solche beinhalten muss. Anhand des Musters und laufend während des Vortrages wurden von den TeilnehmerInnen Übersetzungsvorschläge zusammengestellt und in eine Terminologieliste aufgenommen.

Abschließend verdeutlichte die Referentin nochmals grundsätzlich die Unterschiede zwischen Portugal und Deutschland in Bezug auf die Bevollmächtigung. Während es in Deutschland möglich ist, eine allumfassende Generalvollmacht zu erteilen, beziehen sich Vollmachten in Portugal jeweils auf eine spezifische Angelegeheit.

In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion ging es um die Anwendung der juristischen Termini in der Praxis – z. B. beim Dolmetschen in Betreuungsangelegenheiten und die Frage, inwiefern ein Patient versteht, welche rechtlichen Konsequenzen der verwendete Begriff mit sich zieht oder ob (zusätzlich) doch eine allgemeinsprachliche Lösung vorzuziehen wäre.

Elma Ferreira Jäntges übernahm anschließend den Brasilien betreffenden Teil. Zunächst beschäftigte sie sich mit den medizinischen Voraussetzungen für Leben und Tod und der Frage, wer über den Zustand (Lebensverlängerung oder Tod) des Patienten entscheiden darf.

In Brasilien existiert hierzu keine eigene Gesetzgebung, vielmehr bilden die medizinisch-rechtliche Grundlage die Verfassung, das Zivilgesetzbuch und verschiedene Beschlüsse des Conselho Federal de Medicina (Nationaler Rat für Medizin).

Die Rechtsgrundlage für Patientenverfügungen bildet der Código de Etica Médica als Grundlage für z.B. die Patientenautonomie, das Informationsrecht und die Vertretung bei eigener Unfähigkeit sowie der Beschluss 1995/2012 CFM wegen Unterbrechung oder Aussetzung lebensverlängernder Behandlungen.

Eine Patientenverfügung erstreckt sich auch in Brasilien über die Behandlungen, die ein Patient will oder nicht will, wenn er dies selbst nicht mehr ausdrücken kann, und den Ausschluss bestimmter Vorgänge, wie z. B. Sterbehilfe.

Eine Patientenverfügung kann vor oder nach Bekanntwerden einer Erkrankung,
mündlich (z. B. im Gespräch mit dem Arzt / der Ärztin) bekannt gegeben werden und muss in die Krankenakte aufgenommen werden. Auch die notariell beglaubigte Form oder die persönliche Verfügung sind möglich.

Zugang zur Patientenverfügung erfolgt z. B. über die Hinterlegung bei einem Notariat oder die Registrierung im Register RENTEV – Registro Nacional de Testamento Vital.

Frau Ferreira Jäntges wies dann darauf hin, dass die Formulierungen sorgfältig gewählt sein müssen, damit die Wirksamkeit überhaupt gegeben ist. Dafür sei es unumgänglich, eine medizinisch fachkundige Person zu Rate zu ziehen, um Klarheit über die Auswirkungen zu erhalten.

Beispielhafte Formulierungen schaute sich die Gruppe anhand eines Formulars an. Auch hier wurden parallel Übersetzungsvorschläge für die Praxis erarbeitet.

Nach diesem Überblick über die Situation in Portugal und Brasilien ging die Gruppe dazu über, gemeinsam mit den beiden Juristinnen die von den TeilnehmerInnen eingereichten einschlägigen Textpassagen zu dem Thema zu besprechen, welche Petra Dietrich, Berlin, im Vorfeld zusammengestellt hatte.

Wieder einmal zeigte sich, wie wichtig es ist, bei der Übersetzung von juristischen Fachtexten über fundiertes Hintergrundwissen zu verfügen: rund eine halbe Stunde wurde allein über einen einzigen Begriff – Gebrechlichkeitspflege – diskutiert und festgestellt, dass bei der Übersetzung unter Umständen auch Begrifflichkeiten hinzugezogen werden müssen, die so in der aktuellen deutschen Gesetzgebung keinen Bestand mehr haben.

Der zweite Seminartag begann mit der gemeinsamen Erarbeitung bzw. Besprechung der Übersetzung von Termini, Phraseologismen und Textbausteinen (Fragen zu Textstellen bzw. einzelnen Begriffen / Formulierungen aus der Praxis, die die Teilnehmer vorher eingereicht haben).

Ein wichtiger Bestandteil des Workshops, der Erfahrungsaustausch über berufsbezogene Themen, schloss sich dem an. Hierbei ging es u. a. um Fragen der Preisgestaltung und den Wunsch, sich nicht gegenseitig zu unterbieten, die Zusammenarbeit mit Agenturen, Argumentationshilfen zum Auftritt gegenüber Kunden, den Informationsaustausch über die Auftragsvergabe durch Gerichte.

Ein weiteres Thema, das für Übersetzerinnen und Übersetzer in diesem Jahr von großer Bedeutung sein wird, ist die EU-Datenschutzgrundverordnung, die am 25.05.2018 in Kraft tritt und deren Auswirkungen auf die tägliche Arbeit. Hierzu tauschten die TeilnehmerInnen ihren aktuellen Informationsstand aus und vereinbarten, auch im Nachgang der Veranstaltung im Kontakt zu bleiben.

Nachdem in den letzten Jahren am Rande der Workshops verschiedentlich untereinander übersetzungsbezogene Software vorgestellt wurde, war in diesem Jahr die Präsentation des Spracherkennungsprogramms Dragon Naturally Speaking und dessen Verwendung mit CAT-Tools durch Thomas Goldberg, Technikreferent des BDÜ LV Bayern, fester Bestandteil der
Tagesordnung.

Über das Thema des nächsten Workshops am 19./20.01.2019 wurde abgestimmt und die Wahl fiel auf den Vorschlag, sich mit den Bildungssystemen und -nachweisen in Portugal und Brasilien aus Übersetzersicht zu beschäftigen, da die Übersetzung von Zeugnissen bei allen Teilnehmerinnen einen großen Teil der Aufträge ausmacht.

Als Resümee des Workshops bleibt einmal mehr die Feststellung, dass durch den regelmäßigen fachlichen und kollegialen Austausch und die qualifizierte Fortbildung die TeilnehmerInnen durchaus ein Distinktionsmerkmal gegenüber anderen ÜbersetzerInnen besitzen.

Nora Schönberger, mail@nora-schoenberger.de