„Kinder wollen keine Sprache lernen, sie wollen kommunizieren“ – Angela Friederici zum Thema Spracherwerb

Galore-Interview mit Angela Friederici
Angela D. Friederici erläutert in der Zeitschrift Galore auf acht Seiten ausführlich ihre Forschungsergebnisse. - Bild: Galore

Das zweimonatlich erscheinende Interview-Magazin Galore lässt in seiner aktuellen Ausgabe (Nr. 30, Aug./Sept. 2018) auf acht Seiten die Leipziger Neuropsychologin Prof. Dr. Dr. h.c. Angela D. Friederici zu Wort kommen. Friederici ist Mitbegründerin und Leiterin des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in der sächsischen Metropole.

Reporter Florian Sturm stellt ihr Fragen wie: Wie entsteht Sprache im Gehirn? Sind manche Sprachen schwieriger zu erlernen als andere? Gibt es eine Art Grundregel, die allen Sprachen zugrunde liegt? Wann beginnt ein Kind, die Sprache zu erlernen? Warum lernen Kinder Sprachen schneller als Erwachsene?

Laut Friederici ist die Fähigkeit, Sprache zu erwerben, angeboren. „Wir benötigen dann aber einen Sprach-Input, damit sich Sprache im Gehirn entwickeln kann. Das Gehirn ist im ersten Lebensjahr äußerst plastisch und wartet geradezu auf den Input“, so Friederici.

Im Grunde könne jedes Kind schon sehr früh jeden Sprachlaut der Welt formen: „Das Kind versucht, genau hinzuhören und dann Laute zu imitieren. In der Perzeption, also der Wahrnehmung von Sprache, sind Kinder sogar noch früher dran. 2009 konnten wir durch ein Experiment zeigen, dass das Lernen bereits vor der Geburt beginnt.“

Noam Chomsky, einer der bekanntesten Linguisten unserer Zeit, hat über Jahre hinweg die Theorie einer Universalgrammatik postuliert, die uns Menschen quasi angeboten ist. Der wohl bekannteste Beleg dafür, dass diese Universalgrammatik jedoch alleine nicht ausreicht, sind die berühmten Kaspar-Hauser-Fälle“, erläutert Friederici, die Germanistik, Romanistik, Sprachwissenschaft, Psychologie und Neurowissenschaften studiert hat. Zum Erlernen der Sprache müsse neben der angeborenen Fähigkeit, Sprache zu erlernen, noch etwas Entscheidendes hinzukommen: „Soziale Interaktion ist wichtig.“

Das grammatische Grundprinzip aller Sprachen sei ein bestimmter Verarbeitungsmechanismus, die sogenannte „Merge-Operation“. Friederici: „Merge steht für die Zusammenführung und bezeichnet in der Linguistik die Fähigkeit, aus zwei syntaktischen Objekten ein neues, zusammenhängendes Objekt zu formen. Nichts anderes geschieht, wenn ich einen Satz bilde.“ Diese Fähigkeit zum Zusammenführen einzelner Elemente meine Chomsky, wenn er von der „Universalgrammatik“ spreche, die jeder Mensch von Geburt an in sich trage.

Das Herz der Sprache sei die Syntax. Nur sie erlaube es uns, aus einzelnen Wörtern neue Entitäten zu bilden und somit komplexe Bedeutungen auszudrücken. „Die Semantik allein vermag das nicht.“ Auch Schimpansen könne man beibringen, einzelne Wörter (z. B. in Zeichensprache) zu signalisieren. Aber sobald die Syntax ins Spiel komme, sei der Affe aufgeschmissen.

Eltern, die ihre Kinder zweisprachig aufziehen möchten, gibt sie folgenden Tipp:

Das Kind will primär keine Sprache lernen, es will kommunizieren. Dafür braucht es einen Kommunikationspartner, der eine soziale Interaktion mit ihm aufbaut. So kann ein Kind auch zwei oder drei Sprachen lernen. Wichtig ist nur, dass der jeweilige Kommunikationspartner immer in derselben Sprache spricht. Paaren, bei denen die Mutter die eine und der Vater eine andere Sprache spricht, kann man nur empfehlen, dass jeder konsequent bei seiner Sprache bleibt. Dann merkt das Kind, dass es in dieser Sprache mit der jeweiligen kommunizieren kann – und tut dies auch ohne Probleme.

Richard Schneider