„Ehrenmann/Ehrenfrau“ zum Jugendwort des Jahres 2018 gewählt

Kollegah, Bushido
Typische Ehrenmänner der heutigen Jugendkultur: Die Rapper und Unternehmer Kollegah und Bushido. - Bild: Pistenwolf (CC BY-SA 3.0), Superbass (CC BY-SA 4.0)

Die jährlich vom Langenscheidt Verlag neu zusammengestellte, unabhängige 21-köpfige Jury aus Jugendlichen, Medienvertretern und Sprachwissenschaftlern machte es sich nicht leicht: Den ganzen Vormittag lang wurde angeregt diskutiert und analysiert bis das Gremium „Ehrenmann/Ehrenfrau“ zum Sieger erklärte. Die Wortschöpfung bedeute „jemand, der etwas Besonderes für dich tut“.

Der Juror Dr. Oliver Bach, Literaturwissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München, begründet seine Entscheidung so: „Es ist eine Entlehnung aus einer früheren Sprachstufe und einem anderen gesellschaftlichen Kontext. Die Jugendsprache hat dieses Wort wiederentdeckt und anders als früher ist es nicht mehr auf höhere Gesellschaftsschichten und nicht mehr auf Männer eingeschränkt.“

Der 18-jährige Youtuber Fabian Grischkat erklärt: „Ehrenmann/Ehrenfrau ist ohne jede Frage das Jugendwort 2018. Ich freue mich besonders über das Wort, da es in Zeiten von Hass und Hetze ein positives Zeichen setzt. Jeder Mensch, der eine gute Tat vollbringt, darf sich ab heute mit dem offiziellen Jugendwort schmücken!“

Wie es hieß, war die Wahl bis in die letzten Minuten des zweiten Wahlgangs spannend, in dem die Juroren aus den Top 5 das finale Gewinnerwort ermitteln mussten. Unter den Top 5 befanden sich auch „Auf dein Nacken“, „Ich küss dein Auge“, „glukose-haltig“ und „Snackosaurus“.

Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar
Ehrenmänner von gestern zeigt das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar. – Bild: MjFE (CC BY 3.0)

„Ehrenmann“ hat nichts mit Weimarer Klassik oder Gutmenschentum zu tun

Die Begründung der Jury und vor allem einige Medienkommentare sind unfreiwillig komisch. So meint der Bayerische Rundfunk, der „Ehrenmann“ klinge „so herrlich nach Schiller“. Friedrich Schiller hatte Goethe einst als einen solchen bezeichnet. „In Zeiten rechter Hetze ist diese Wahl ein richtiges Signal“, schreibt ein Redakteur auf der Website des Senders.

Anders als viele weltfremde Feuilletonisten jetzt glauben, hat der „Ehrenmann“ aber nicht das Geringste mit der Weimarer Klassik oder Gutmenschen zu tun, obwohl das Wort nachweislich seit 500 Jahren im Deutschen existiert.

Die Renaissance des Ausdrucks haben wir der migrantischen und insbesondere muslimischen Subkultur zu verdanken, in der ein übersteigerter Ehrbegriff eine große Rolle spielt.

Der Fußballer Mesut Özil ist für die meisten Deutschtürken ein Ehrenmann, weil er trotz medialen Trommelfeuers (wegen seines Fotos mit dem türkischen Präsidenten) zu Erdogan stand und lieber die deutsche Nationalmannschaft verließ als zu Kreuze zu kriechen. Und auch der Sprechsänger „Kollegah“ (bürgerlich Felix Blume und zum Islam übergetreten) wurde vor Kurzem von seinen Jüngern als Ehrenmann gefeiert, als er in Hagen 40.000 Euro Kaution für einen inhaftierten rappenden „Bruder“ bar auf den Tisch legte und diesen persönlich an der Gefängnispforte mit einem Begrüßungskomitee abholte.

Nicht nur unter Gangster-Rappern gilt jemand, der lieber in den Bau einfährt als seine Komplizen zu verraten, als Ehrenmann. Ehrenmänner, deren Wort und Handschlag noch etwas gilt, gibt es auch unter Motorrad-Rockern: Frank Hanebuth, dem früheren Chef des Hannoveraner Charters der Hells Angels, zollen selbst die verfeindeten Bandidos Respekt.

Wie die „Welt“ zutreffend berichtet, findet sich das Wort „Ehrenmann“ seit vielen Jahren in zahlreichen deutschsprachigen Rap- und HipHop-Stücken zum Beispiel von Bushido, Kay One und Money Boy.

Aus diesen Milieus wurde der jahrhundertealte „Ehrenmann“ wiedergeboren. Ob Friedrich Schiller das „feiern“ würde, wie man heute so sagt, oder ob er in seiner Weimarer Gruft rotiert, bleibt Spekulation.

Geschlechtergerecht führt die Jury auch die weibliche Form „Ehrenfrau“ an. Wie eine kurze Google-Suche zeigt, kommt diese aber im Sprachgebrauch kaum vor. Der „Ehrenmann“ liefert mehr als eine Million Treffer (1.060.000), die „Ehrenfrau“ lediglich 76.000.

Online-Voting ermittelte die zehn beliebtesten Ausdrücke

  1. verbuggt (voller Fehler, falsch gestrickt, Beispiel: Du bist so verbuggt, du nervst!)
  2. glucose-haltig (süß)
  3. Ehrenmann/Ehrenfrau (Gentleman, Lady, jemand, der etwas Besonderes für dich tut)
  4. Lauch (Trottel)
  5. Auf dein Nacken! (Du zahlst!)
  6. AF / as fuck (Betonung, wie besonders etwas ist, Beispiel: Die neue Staffel ist sick as fuck!)
  7. sheeeesh (Wirklich? Echt jetzt? Nicht dein Ernst?!)
  8. Ich küss dein Auge (Ich hab dich gern oder ein sehr starkes Danke)
  9. Snackosaurus (verfressener Mensch)
  10. lindnern (lieber etwas gar nicht machen, als etwas schlecht machen)

Langenscheidt organisiert Jugendwort-Wahl seit 11 Jahren

Zum elften Mal hatte der Langenscheidt Verlag zur Wahl des Jugendworts des Jahres aufgerufen. Zwischen Anfang September und Mitte November 2018 konnten alle Sprachinteressierten acht Wochen lang über die Top 30 abstimmen. Die Top 10 wurde dann der Jury zur Auswahl vorgestellt, darunter Worte wie „Lauch“ (Schwächling oder Trottel), „lindnern“ (lieber etwas gar nicht machen, als etwas schlecht machen), „AF, as fuck“ (Betonung, wie besonders etwas ist).

Über 1,5 Millionen Votings hat der Verlag in diesem Jahr gezählt. Die Kriterien für die Top 30 sind Originalität, Kreativität, Verbreitung sowie kulturelle, gesellschaftliche und zukünftige Relevanz.

Kooperationspartner des Projekts sind die Jugendzeitschrift BRAVO, Die Arche (Initiative für Kinder aus sozial benachteiligtem Lebensumfeld), der jugendaffine Fernsehsender RTL II, das Lifestyle-Magazin Taff auf Pro Sieben sowie YAEZ, das „Jugendmagazin mit Köpfchen“.

Weiterführender Link

[Text: Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung Langenscheidt, 2018-11-16.]

 

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