Klingbeil: Übersetzer wird es bald nicht mehr geben – BDÜ argumentiert dagegen

Lars Klingbeil
Lars Klingbeil (SPD): "Es werden bald ganze Branchen verschwinden. [...] Ich nehme mal nur das Beispiel der Übersetzer, der Dolmetscher." - Bildschirmfoto

Hohe Wellen hat eine Äußerung von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in der Talkshow „Anne Will“ geschlagen – zumindest in den Sozialen Medien und den Online-Foren der Übersetzungsbranche. Er vertrat die Ansicht, dass es den Beruf des Übersetzers durch Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz und maschinellen Übersetzung schon in wenigen Jahren nicht mehr geben wird.

Branchenexperten widersprechen dieser laienhaften und von Unkenntnis geprägten Einschätzung vehement. Der BDÜ hat als größter Berufsverband der Branche Klingbeil direkt angesprochen und eine Pressemitteilung herausgegeben, in der Gegenargumente geliefert werden.

Unter der Überschrift „Berufe mit Zukunft: Übersetzen und Dolmetschen in Zeiten des digitalen Wandels“ werden die sich abzeichnenden tiefgreifenden Änderungen der Sprachmittlerberufe nicht in Abrede gestellt. Insgesamt blickt der Verband jedoch angesichts eines seit mindestens hundert Jahren unaufhörlich steigenden Übersetzungsvolumens positiv in die Zukunft. Denn auch für den Einsatz künstlicher Intelligenz und maschineller Übersetzung werden entsprechende Experten benötigt: die Übersetzer.

Nachfolgend die Medienmitteilung des Verbandes (Zwischenüberschriften von UEPO.de):

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Berufe mit Zukunft: Übersetzen und Dolmetschen in Zeiten des digitalen Wandels

BDÜ-LogoSie wird immer wieder gestellt – die Frage nach der Zukunft von Übersetzern und Dolmetschern. Und nicht selten damit beantwortet, dass es diese Berufe angesichts des technischen Fortschritts bald nicht mehr geben wird. Das Aussterben eines der ältesten Berufsstände soll – übrigens seit mindestens sechs Jahrzehnten – immer in ein paar wenigen Jahren bevorstehen.

So wurde es auch kürzlich wieder prophezeit, diesmal von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in der ARD-Talkshow „Anne Will“:

Es werden bald ganze Branchen verschwinden. Wir haben heute noch Arbeitsbereiche, die noch da sind, die gebraucht werden, aber die in den nächsten Jahren verschwinden werden, durch künstliche Intelligenz, durch technologische Entwicklung. Und da ist die Frage, wie stellt der Staat sich eigentlich gegenüber den Menschen auf, die da arbeiten.

Ich nehme mal nur das Beispiel der Übersetzer, der Dolmetscher. Kann ich gern länger ausführen, aber die wird es in ein paar Jahren als Dienstleister nicht mehr geben, weil technologische Entwicklung das überflüssig macht.

Und diesen Menschen muss der Staat eine Garantie geben, dass wir uns um sie kümmern, dass sie nicht innerhalb von kürzester Zeit ins Arbeitslosengeld II abrutschen, dass sie nicht Hartz IV beziehen und da brauchen wir ‘ne große Reform.

Arbeitsbedingungen verändern sich – das war aber schon immer so

Mit der Digitalisierung und den Fortschritten im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) verändern sich die Arbeitsbedingungen – nicht nur für Übersetzer und Dolmetscher, sondern in der gesamten Arbeitswelt (Stichwort: Arbeit 4.0). Es sind hier unbestritten bedeutende Veränderungen im Gange und weitere Umwälzungen stehen bevor.

Derartige Entwicklungen haben aber gerade diesen Berufsstand schon von jeher begleitet und er hat es immer wieder verstanden, sich den neuen Bedingungen nicht nur anzupassen, sondern diese sinnvoll zu nutzen. Und zwar unter Zuhilfenahme der technischen Werkzeuge und nicht im Wettlauf gegen sie.

KI und MÜ oft mehr Schein als Sein

Vielen Außenstehenden mögen die Entwicklungen der letzten Jahre in der maschinellen Übersetzung wie die Erfüllung der kühnsten Science-Fiction-Träume erscheinen. Star Trek und der Babelfisch lassen grüßen. Gekonnte PR der jeweiligen Entwicklerfirmen solcher Systeme sorgt dafür, dass sich der Eindruck vom Erreichen eines Qualitätsniveaus verbreitet, das mit von Menschen übersetzten Texten gleichzusetzen ist.

Die Realität ist jedoch differenzierter zu betrachten: Ja, die maschinelle Übersetzung hat enorme Fortschritte gemacht und die Ergebnisse sind heute dank riesiger digitaler Datenbestände und in der aktuellen Entwicklungsstufe auch dank sogenannter neuronaler Netzwerke schon deutlich besser als noch vor ein paar Jahren.

Laien können MÜ-Ergebnisse nicht beurteilen – Übersetzer als Experten gefragt

Aber genau hierin liegt auch die Problematik. Laien, die zwar beide Sprachen verstehen, erkennen meist gravierende terminologische Fehler, falsche Bezüge und fehlerhafte kontextuelle Zuordnungen nicht, da die Übersetzung ja eigentlich sprachlich (grammatikalisch) „gut und richtig“ klingt.

Im privaten Bereich mögen solche Fehlübersetzungen vielleicht keine schwerwiegenden Konsequenzen haben und im besten Fall für Belustigung sorgen. Wenn es allerdings um geschäftskritische bzw. rechtlich oder für Leib und Leben relevante Texte geht, sind Profis gefragt, die die Methodik und die Feinheiten des Übersetzungsprozesses in ihrer mehrjährigen Ausbildung, z. B. in einem Studium, verinnerlicht und mit ihrer Berufserfahrung gefestigt haben.

Nur so können mögliche Personen- oder Sachschäden, unvorhergesehenen Mehrkosten (z. B. für Neuübersetzung/Neudruck) und nicht zuletzt gravierende Imageschäden vermieden werden.

Übersetzungsvolumen steigt seit mehr als 100 Jahren

Im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung wächst zudem seit Jahren der Bedarf an Übersetzungen. Das US-Marktforschungsunternehmen Common Sense Advisory (CSA) schätzt, dass das weltweite Marktvolumen für Sprachdienstleistungen bis zum Jahr 2021 auf 56 Milliarden US-Dollar anwachsen wird (CSA-Pressemitteilung vom 15.06.2018).

Es geht folglich im Markt für Übersetzungen in absehbarer Zeit bzw. zum Teil jetzt schon um Textmengen, die menschliche Übersetzer gar nicht mehr bewältigen können. Allein deshalb schon wird man auf automatisierte Prozesse setzen müssen. Damit verändern sich nicht nur die Abläufe, sondern auch die Berufsbilder unweigerlich.

Gesicherte Zukunft für Übersetzer, die sich als Experten für Übersetzungsprozesse positionieren

Für Übersetzer und Dolmetscher heißt das unter anderem, dass sie zunehmend wegen ihrer Expertise und in der Beratung gefragt sind, um diese Prozesse zu gestalten, zu begleiten und z. B. festzulegen, welche Texte für eine maschinelle Übersetzung überhaupt in Frage kommen – unter Berücksichtigung sprachlicher, fachlicher, technischer, juristischer und datenschutzrechtlicher Aspekte.

Die Stichworte für eine gesicherte Zukunft in diesen Berufen lauten also: Spezialisierung als Experten für Übersetzungsprozesse sowie bestimmte Fachgebiete und Sprachkombinationen und/oder Diversifizierung mittels Zusatzqualifikation für berufs- bzw. tätigkeitsnahe Dienstleistungen wie bspw. Lektorat, Transkreation, Kommunikationsberatung etc.

Ethische Aspekte

Ein Aspekt, der bei dem Thema auch nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist die Ethik – sowohl im Hinblick auf die Berufe selbst als auch bezüglich der eingesetzten Algorithmen. Durch KI wird eine neue Dimension des automatisierten Übersetzens erreicht. Algorithmen agieren allerdings mit eigener Logik, sind manipulierbar und unterliegen keiner ethischen Kontrolle.

Gerade in sensiblen Bereichen wie z. B. Justiz, Gesundheit, Integration/Migration bietet die Integrität qualifizierter humaner Übersetzer und Dolmetscher nachhaltige Sicherheit – auch gegen die Gefahren von Cyberattacken und Manipulationsversuchen.

BDÜ setzt auf zukunftsorientierte Zusammenarbeit mit Politik

Angesichts dieser Herausforderungen erwartet und wünscht man sich – nicht zuletzt als mitgliederstärkster deutscher Berufsverband dieser Branche und Interessenvertretung von größtenteils selbstständig tätigen Unternehmern – von der Politik statt eines pauschalen, wenig motivierenden Abgesangs bis hin zur prophezeiten Verarmung oder gar „Verhartzung“ eines ganzen Berufsstands doch eher zukunftsorientierte Zusammenarbeit sowie arbeits- und sozialpolitische Unterstützung in den Wandlungsprozessen.

Der BDÜ ist bekannt für seinen Gestaltungswillen und für konstruktive Gespräche immer offen – sei es mit Politikern oder Vertretern von Presse und Medien.

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BDÜ-Kongress „Dolmetschen und Übersetzen 4.0 – Neue Wege im digitalen Zeitalter“

Der Verband weist darauf hin, dass es beim nächsten großen BDÜ-Kongress im November 2019 in Bonn genau um diese Thematik geht. Die mehrtägige Veranstaltung, zu der rund 1.000 Teilnehmer erwartet werden, steht unter der Überschrift „Dolmetschen und Übersetzen 4.0 – Neue Wege im digitalen Zeitalter“.

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Richard Schneider