Die gegenwärtige Situation der deutschen Sprache in Frankreich und des Französischen in Deutschland ist als prekär zu bezeichnen. Dies lässt sich vor allem an der Entwicklung des Anteils Deutsch lernender Schüler in Frankreich verdeutlichen, der seit den 1970er Jahren kontinuierlich und deutlich gesunken ist (von etwa 30 auf circa 15 Prozent).
Während auf den ersten Blick die Zahl der Französischlerner in Deutschland positiver erscheint, lassen sich auch in diesem komplexen Gefüge negative Tendenzen erkennen: In der Schule sank in den letzten Jahrzehnten vor allem die Dauer des Französischlernens, die Zahl der Französischlerner an Volkshochschulen hat sich seit 1987 nahezu halbiert (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung 2012).
Chirac und Schröder vereinbarten Aktionsplan für die Partnersprache
Anlässlich des 40. Jahrestags des Élysée-Vertrags war im Jahr 2003 versucht worden, etwas gegen diesen Trend zu unternehmen: Der französische Präsident Jacques Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hatten erklärt, dass die „Partnersprache“ entschlossen gefördert werden sollte – dies führte Ende 2004 zu einem „Aktionsplan für die Partnersprache“ mit konkreten Maßnahmen, die sowohl die deutsche Sprache in Frankreich als auch die französische Sprache in Deutschland stärken sollten.
Die Förderung der deutschen Sprache in Frankreich und des Französischen in Deutschland ist folglich eingebettet in die Aussöhnungspolitik der ehemaligen Feinde in zwei Weltkriegen und wird als ein grundlegender Faktor für diese Annäherung gesehen. Der seit Langem sinkende Anteil Deutsch lernender Schüler in Frankreich wird daher auch als Infragestellung des Ansatzes der Aussöhnung und der deutsch-französischen Zusammenarbeit gedeutet.1
Bedeutung und Hierarchie der Sprachen unterliegt fortwährenden Veränderungen
Der Bedeutungsverlust der deutschen Sprache in Frankreich und der französischen Sprache in Deutschland ist jedoch kein singuläres Phänomen. Die Bedeutungen von (National-) Sprachen unterliegen permanent Veränderungen – man denke nur an die Medienberichte über chinesische Kindermädchen in den USA, welche die nächste Generation auf das „pazifische Jahrhundert“ vorbereiten sollen, oder an die Bedeutung der „Hispanics“ für die amerikanischen Präsidentschaftswahlen.
Die Bedeutung von Sprachen ist folglich Veränderungen unterworfen, das heißt, Sprachen besitzen keine feststehende Wertigkeit. Vielmehr ist die ihnen zugewiesene Bedeutung als sozial konstruiert anzusehen und damit veränderbar.
Die Gesamtheit der Sprachen wird üblicherweise als System2 beschrieben, was auf die Tatsache verweist, dass Sprachen miteinander in Beziehung stehen: Aufgrund des Aufwandes, eine (Fremd-)Sprache zu erlernen, begnügen sich die meisten Menschen mit dem Erlernen von einer oder zwei Sprachen.
Das „gehäufte“ Lernen einer bestimmten Sprache durch eine große Anzahl von Menschen hat wiederum den systemischen Effekt, dass andere Sprachen weniger oft gelernt werden – und Sprachen somit in Konkurrenz zueinander treten.
Dies führt dazu, dass am unteren Ende der Hierarchie Sprachen „sterben“ und somit die Zahl der „kleinen“ Sprachen abnimmt, während am oberen Ende der Hierarchie die globale „lingua franca“ Englisch gegenwärtig von circa zwei Milliarden Menschen gelernt wird.
Graddol prognostiziert Absturz des Französischen von Welt- zu Nationalsprache
Stellvertretend für solche Hierarchien kann diejenige des britischen Linguisten David Graddol angeführt werden, die auf der sozio-politischen Bedeutung basiert und die er in Weltsprachen, Regionalsprachen, Nationalsprachen sowie Lokalsprachen einteilt.
Interessant ist an dieser Einteilung, dass Graddol eine Prognose für das Jahr 2050 wagt und davon ausgeht, dass die bisher neben dem Englischen einzige Weltsprache Französisch ebenfalls wie die bisherige Regionalsprache3 Deutsch auf die Bedeutung einer Nationalsprache absinken wird. Hierbei berücksichtigt er wirtschaftliche und demographische Entwicklungen sowie Sprachverschiebungen.
Gleichzeitig werden unter anderem Spanisch oder Mandarin zu Weltsprachen aufsteigen, die Situation auf der Welt könnte sich von einem „linguistischen Monopol zu einem Oligopol“ wandeln.
Sprachen sind Macht- und Wirtschaftsfaktoren
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig zu beachten, dass Sprachen keine neutralen Kommunikationsmedien, sondern vielmehr höchst politische Elemente des Sozialen sind, da sie schon sehr lange als Macht- und Wirtschaftsfaktor angesehen und von verschiedenen Akteuren als solche eingesetzt werden. Bereits der spanische Humanist Antonio de Nebrija wies Königin Isabella I. im Jahr 1492 darauf hin, dass die „Sprache zu jeder Zeit ein Instrument der Herrschaft“ gewesen sei, sodass die spanische4 Sprache verbreitet werden müsse.
Frankreich verfolgte ab dem 16. Jahrhundert eine entsprechende Politik, indem die Sprache des Herrscherhauses zur alleinigen offiziellen Sprache im gesamten Land erklärt und nur diese Variante an den Schulen unterrichtet wurde.
Aus wirtschaftlicher Sicht setzte zum Beispiel auch die Hanse „die eigene Sprache […] bewusst als Instrument zur Sicherung ihres Handelsmonopols ein“ (Stark 2000:25f). Der deutsche Gesandte in China, Arthur von Rex, betonte bereits 1907 die „wirtschaftliche Bedeutung […] einer größeren Ausbreitung der deutschen Sprache in China“ und verwies auf die „immer wieder beschworene Formel […] ‚Der Handel folgt der Sprache‘“. Knapp 80 Jahre später äußerte sich der Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, Barthold Witte, ganz ähnlich: „Wer Deutsch spricht, kauft auch eher deutsch“.
Förderung der weltweiten Verbreitung durch Sprachinstitute
Vor allem die Großmächte versuchten also bereits vor dem Entstehen der modernen Nationalstaaten und verstärkt im Zuge des Imperialismus, ihre Interessen mittels der weltweiten Verbreitung „ihrer“ Sprache zu fördern. Doch nicht nur zu dieser Zeit wurden von den „Sprachmutterländern“ staatliche Institutionen gegründet, um die Verbreitung der eigenen Sprache zu fördern.5 Auch heute wenden Staaten, „die es sich leisten können, […] oft hunderte Millionen oder bis zu mehreren Milliarden für die auswärtige Förderung ihrer Sprache, meist zugleich auch ihrer Kultur auf“ (Ulrich Ammon 2006).
Mehr noch scheint es, als sei nach dem Ende des Kalten Krieges neue Bewegung in den Kampf um die Bedeutungszuweisung hinsichtlich der Wertigkeit von Sprachen gekommen: Neue staatliche Institutionen wurden gegründet – als Beispiele sind vor allem diejenigen zu nennen, welche die spanische und chinesische Sprache verbreiten.6
Insbesondere die „Sprachmutterländer“ versuchen also, die zugeschriebene Wertigkeit der eigenen Sprache im Sprachensystem zu erhöhen – und ihr somit innerhalb der „Sprachenhierarchie“ zu einer höheren Position zu verhelfen. Hiervon versprechen sie sich verschiedene Vorteile – vor allem machtpolitische und wirtschaftliche.
Niedergang des Deutschen und Französischen gleichbedeutend mit Verlust wirtschaftlicher und politischer Macht
Der gegenwärtige Bedeutungsverlust des Deutschen und des Französischen kann folglich insgesamt als wirtschaftlicher und politischer Machtverlust angesehen werden.
Der Sonderfall der sinkenden Bedeutung des Deutschen in Frankreich und des Französischen in Deutschland wird oft als Infragestellung der mit dem Élysée-Vertrag begonnenen Aussöhnungspolitik interpretiert.
Fußnoten:
- So heißt es im Élysée-Vertrag: „Die beiden Regierungen erkennen die wesentliche Bedeutung an, die der Kenntnis der Sprache des anderen in jedem der beiden Länder für die deutsch-französische Zusammenarbeit zukommt“ (Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland o. J.).
- Hier gibt es verschiedenste Arten der Darstellung, von denen die gängigsten die Form der Hierarchie beziehungsweise Rangliste wählen, sich aber darin erheblich unterscheiden können, wie sie die Hierarchie begründen: Das Spektrum reicht von einfachen Zahlen von Mutter- bzw. Fremdsprachlern über Modifikationen dieser Zahl mit der Wirtschaftskraft der entsprechenden Länder bis hin zu sozio-politischen Bedeutungsdifferenzen. Der Linguist de Swaan zeichnet demgegenüber das Bild einer Sprachengalaxie mit peripheren und zentralen Sprachen, in deren Zentrum die hyperzentrale Sprache Englisch steht, die der Gravitation gleich zusätzlich den selbstverstärkenden Effekt besitzt, dass eine größere Anzahl an Benutzern dieses Gut zunehmend attraktiv macht.
- Mit „regional“ ist hier die Ebene oberhalb der Nationen gemeint – also ist etwa das Deutsche als europaweit bedeutende Sprache eine „Regionalsprache“.
- Genauer gesagt die kastilische Sprache, die durch die „Gramática de la lengua castellana“ Nebrijas zum Hochspanischen erhoben wurde.
- 1883 wurde als erste Institution dieser Art die französische Alliance Française gegründet. 1889 folgte die italienische Società Dante Alighieri und 1925 die Deutsche Akademie als Vorläufer des Goethe-Instituts (Ammon 2006:79).
- Im Jahr 1991 wurde das spanische Instituto Cervantes gegründet (Instituto Cervantes 2010), 2004 das chinesische Konfuzius-Institut (Confucius Institute 2009).
Zum Autor
Dr. Matthias Lahr-Kurten promovierte am Geographischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zur Förderung der deutschen Sprache in Frankreich. Seine Promotion ist bei transcript unter dem Titel „Deutsch sprechen in Frankreich. Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem“ 2012 erschienen. Derzeit lehrt Matthias Lahr-Kurten Sozialgeographie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Geographie, Kultur- und Sozialtheorien sowie die deutsch-französischen Beziehungen.
Mehr zum Thema auf UEPO.de
[Text: Matthias Lahr-Kurten. Quelle: Matthias Lahr-Kurten (2013): Partner Sprache – Förderungsmöglichkeiten der Partnersprachen Deutsch in Frankreich und Französisch in Deutschland (ifa-Edition Kultur und Außenpolitik). Stuttgart: ifa (Institut für Auslandsbeziehungen). Lizenz: CC BY-NC-ND.]