Im Jahr 1720 erließ der Radikalreformer Zar Peter I. (1672 – 1725) ein „General-Reglement für alle Reichs-Collegien [Ministerien] und deren Bediente“. In diesem werden die Struktur, die personelle Zusammensetzung und die Aufgaben der höheren Verwaltung festgelegt.
Der Senat und fast jedes Ministerium verfügte über einen verbeamteten „Translateur“, das Außenministerium über mehrere. In einer zeitgenössischen Übersetzung heißt es (Hervorhebungen von UEPO.de):
Von den Canzelleyen.
In den Canzelleyen der Collegien [Ministerien] muß alles, was in Collegio beschlossen worden, expediret werden, und gehören dazu der Secretarius, Notarius, Translateur, Actuarius, Registrator, Canzellisten und Copisten, welche allesamt in folgender Ordnung ihre Amts-Geschäfte zu verrichten haben. […]
Anschließend werden die Aufgaben der einzelnen Gruppen von Bediensteten beschrieben. Von den Übersetzern wird verlangt, dass sie den „Sinn“ und „Inhalt“ eines Textes „deutlich“, „klar“ und „richtig“ übersetzen. Dass es beim Übersetzen nicht um Wörter, sondern Bedeutungen geht, ist also nicht erst eine Erkenntnis der modernen Übersetzungswissenschaft.
Auch der allen heutigen Sprachmittlern bekannte ständige Zeit- und Termindruck scheint schon damals branchentypisch gewesen zu sein. Die Übersetzer waren angehalten, die ihnen anvertrauten Dokumente „so bald möglich“ zu „translatiren“, also A.S.A.P., wie man heute sagen würde.
Von des Translateurs Pflicht.
Des Translateurs Amt in den Collegiis ist, daß er alles dasjenige, was das Collegium angehet, und ihm vorgegeben wird, in die rußische Sprache aus einer fremden Sprache deutlich und klar übersetze, damit der Sinn richtig, und der Inhalt der Original-Schrift mit der Uebersetzung gleichstimmig sey.
Es ist genug, wenn in jedem Collegio ein Translateur vorhanden ist, welcher nebst der Rußischen einige Fertigkeit in der deutschen Sprache besitzt: doch erfordert das Collegium der ausländischen Staatssachen [Außenministerium] mehrere Translateurs, die allerley Sprachen kundig sind.
Wenn einem Translateur einige Arbeit zur Uebersetzung unter Händen gegeben wird, so soll er seiner Schuldigkeit gemäß, nach Beschaffenheit oder Nothwendigkeit der Sachen, solche bey Vermeidung einer Strafe und eines Abzugs von seinem Gehalte, so bald möglich, translatiren, auch seine Translation unterschreiben und verificiren.
Dieses soll er zu erfüllen schuldig seyn, bey eben derselben Strafe, wie es in des Secretairen Pflicht beschrieben worden.
Lebenslänglich Galeere – Drakonische, dreistufige Strafandrohung
Bei Verletzung seiner Amtspflichten drohten dem Ministerialübersetzer neben dem oben erwähnten „Abzug von seinem Gehalte“ empfindliche Sanktionen bis hin zu lebenslänglich „Galeere“ oder „des Leibes verlustig seyn“ (Todesstrafe). Wie oben zitiert gilt für die Übersetzer und Dolmetscher dieselbe Regelung wie für die den Ministern beigeordneten Staatssekretäre, zu denen es heißt:
Würde ein Secretarius in seinem Amt etwas versehen oder verbrechen, und daraus Schaden entstehen, so soll er, wenn es aus Nachläßigkeit oder Unvorsichtigkeit geschehen, das erstemal mit einfacher Ersetzung des Schadens gestrafet, zum andernmal aber solchen Schaden doppelt ersetzen und cassirt werden.
Würde aber ein Secretarius seine Pflicht und Eid so sehr vergessen, daß er einige Unrichtigkeit und Intriguen boshafter Weise verüben sollte, als wovon unten im Schluß Erwehnung geschiehet, so soll er auch als ein Meyneidiger und untreuer Diener, nach Befinden der Sache und seines Verbrechens, Ehre, Leibes und Guthes verlustig seyn, oder ewig auf die Galeeren verschickt werden.
Translateure gehörten zu den höheren Beamten und Besserverdienern
Für das Jahr 1763, in dem Katharina II. regierte, wird in der unten genannten Quelle die Besoldung der Translateure aufgeführt. Im St. Petersburger Senat wurde ihnen ein Jahresgehalt von 450 Rubeln zugestanden. Ihre Berufskollegen in den Ministerien mussten sich mit etwas weniger zufriedengeben: im Kriegsministerium mit 370 Rubeln pro Jahr, im Justizministerium und Handelsministerium jeweils mit 300 Rubeln.
Das ist eine ordentliche Besoldung im oberen Mittelfeld, wie ein Vergleich mit höheren und niedrigeren Staatsbediensteten zeigt:
- In den Besoldungsgruppen oberhalb der Translateure finden sich die Secretaire (Senat: 750 Rubel, Ministerien: 450 Rubel) und Ober-Secretaire (1.500 Rubel). Die Bezüge der Minister und Senatoren werden nicht genannt, sie dürften aber auf jeden Fall vierstellig gewesen sein.
- In etwa gleichauf mit den Translateuren lagen die einer verwaltenden Tätigkeit nachgehenden Registratores (350 Rubel) und Canzellisten (300 Rubel). Weit darunter lagen die Kopisten (150 Rubel). Am unteren Rand der Besoldungsskala finden sich die einfachen Bediensteten der Ministerien: Kuriere erhielten 60 Rubel pro Jahr, Buchbinder in den Archiven 25 Rubel, „Handlanger“ lediglich 18 Rubel.
Die Übersetzer in den Ministerien erhielten mit 300 bis 450 Rubeln etwas mehr als die mit ihnen zusammenarbeitenden Verwaltungsbeamten in den Canzelleyen. Ein Vergleich mit dem einfachen Volk verdeutlicht, dass sie sich in einer herausgehobenen Stellung befanden: Die Besoldung der Translateure entsprach dem 6- bis 7,5-fachen der für die Nachrichtenübermittlung im Zarenreich äußerst wichtigen Kurierreiter und gut dem 15-fachen eines in den Staatsarchiven angestellten Buchbinders.
[Text: Richard Schneider. Quelle: „General-Reglement für alle Reichs-Collegien und deren Bediente, welches auf Befehl Seiner Majestät Kaisers Peter des Großen 1720 in Russischer Sprache durch den Druck bekannt gemacht worden“, zitiert nach „Magazin für die neue Historie und Geographie, angelegt von D. Anton Friedrich Büsching, Königl. Preußischen Oberconsistorialrath, Director des Gymnasii im grauen Kloster zu Berlin, und der davon abhängenden beyden Schulen“, digitalisiert von Google Books.]