Die Macht der Übersetzung: Macron wendet sich in 22 Sprachen direkt an EU-Bürger

Emmanuel Macron
Jung, dynamisch, aber bisher erfolglos: Emmanuel Macron will die EU grundlegend reformieren. - Bild: Soazig de la Moissonnière / Élysée-Palast, Montage: UEPO

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat sich in einem leidenschaftlichen Appell an die Bürger der Europäischen Union gewandt, weil – so der Präsident – „dringend gehandelt werden muss“. Sein Aufruf trägt die Überschrift „Für einen Neubeginn in Europa“.

Vor dem Hintergrund des Brexits und der bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament fordert er sowohl eine stärkere Integration der Institutionen, also mehr Macht für Brüssel, als auch einen Schutz der Außengrenzen: „Ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn diese Grenzen hat, die sie beschützt. Eine Grenze bedeutet Freiheit in Sicherheit.“

Das Besondere: Macron tat dies nicht auf Französisch oder Englisch, sondern in zweiundzwanzig Sprachen. Welche der 24 EU-Amtssprachen hat er ausgelassen? Maltesisch und Irisch/Gälisch. Denn in diese Sprachen wird nur pro forma und für den Papierkorb übersetzt. Man erreicht mit ihnen niemanden, den man nicht auch auf Englisch ansprechen kann.

In jedem Land eine Zeitung als Medienpartner

Der Mediencoup war von langer Hand geplant. In jedem Land hat sich Macron eine überregionale Tageszeitung als Medienpartner ausgesucht und dort seinen Aufruf als Gastbeitrag platziert. In Deutschland ist dies Die Welt. Die kündigt den Appell zwar als „exklusiv“ an, versteckt ihn in ihrer Online-Ausgabe aber hinter einer Bezahlschranke.

Macron-Tweet
Mit diesem Tweet in deutscher Sprache wurden am späten Abend des 4. März die Twitter-Nutzer überrascht.

Macron umgeht die Medien und verlinkt direkt auf Volltext

Mit einer unvollständigen und gefilterten Berichterstattung durch traditionelle Massenmedien wie die Presse und das Fernsehen, die sich oft nur einzelne Aspekte herauspicken und stark gekürzt berichten, scheint der Präsident gerechnet zu haben. Deshalb wandte er sich kurz vor dem Erscheinen der Presseartikel am späten Abend des 04.03.2019 über die Sozialen Medien direkt an jeden einzelnen Europäer. Und das ebenfalls in 22 Sprachen (zumindest auf Twitter, auf Instagram nur auf Französisch).

Von den Tweets und Posts wurde auf den Volltext in der jeweiligen Landessprache verlinkt, der auf der Website des Élysée-Palasts gespeichert ist. Die Übersetzungen sind einwandfrei und wurden offenbar von einem Sprachendienst der französischen Exekutive angefertigt.

Website Elysée-Palast
Der Appell ist auf der Website des Élysée-Palastes in 22 Sprachen abrufbar. – Bild: UEPO.de

Erfolg zweifelhaft

Dass Macron mit seinem Appell Angela Merkel und die anderen Regierungschefs aus ihrem Tiefschlaf reißen kann, ist unwahrscheinlich, wie erste Nicht-Reaktionen befürchten lassen. Das EU-Establishment wird sich erst nach den Europawahlen im Mai verwundert die Augen reiben. Denn den EU-kritischen Parteien vom rechten und linken Rand werden deutliche Mandatsgewinne prognostiziert.

Gerade deshalb war es eine gute Idee, nicht die diplomatischen Kanäle, sondern die Sozialen Medien und die Massenmedien zur Übermittlung der Botschaft einzuspannen.

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[Text: Richard Schneider.]