Der frühere Germersheimer Dozent Rainer Kohlmayer hat soeben ein Buch herausgebracht, das einen neuen Blick auf das Literaturübersetzen wirft. Dabei handelt es sich, wie er gegenüber UEPO.de erklärt, um seinen „Schwanengesang“, da er nicht vorhabe, weitere Bücher über das Übersetzen zu veröffentlichen.
Im Vorwort führt Kohlmayer näher aus, an wen er sich mit diesem Buch wendet:
Mein Buch richtet sich an Studierende und Dozierende, also an Leute,
– die gerne selbst einmal literarische Texte übersetzen
– oder den Studierenden das Übersetzen literarischer Texte beibringen möchten.
Unser gemeinsames Problem in diesem Buch lautet: Wie verwandelt man gute fremdsprachliche literarische Texte so, dass sie zu möglicht ebenso guten muttersprachlichen literarischen Texten werden? Denn es geht beim Übersetzen um Verwandlungen, die den ästhetischen Reiz und die literarische Qualität des Originals beibehalten sollen.
Das im Peter Lang Verlag erschienene Werk gliedert sich in drei Teile:
(1) Zunächst werden die ästhetischen Grundlagen des Literaturübersetzens erläutert, wie es seit dem 18. Jahrhundert praktiziert wird. Die Kapitelüberschriften lauten „Subjektivität“, „Linearität“, „Das elastische Problem der (Un)Übersetzbarkeit“, „Oralität“ und „Literaturübersetzen heute“.
Diese Prinzipien konvergieren in Novalis’ Begriff der „schriftlichen Stimme“. Der Weg zur lebendigen rhetorischen Schriftlichkeit des Übersetzens beginnt bei Leonardo Bruni und führt über Luthers Bibel zur performativen Übersetzung Herders, die von A. W. Schlegel bis in die Gegenwart das Gutenberg-Zeitalter prägt. Am Beispiel der Dialektübersetzung wird auch die elastische Grenze der (Un)Übersetzbarkeit untersucht.
(2) Der mittlere Teil trägt die Überschrift „Zur Praxis der drei großen Gattungen“ und ist in die Kapitel „Bühnentexte“, „narrative Texte“ und „Lyrik“ unterteilt.
(3) Ein „Heiterer Epilog“ über das „narzisstische Vergnügen, das mit der Kunstform des literarischen Übersetzens einhergeht“, beschließt die Abhandlung. „Von der Paraphrase zur Parodie“ und „Die heitere Kunst des Literaturübersetzens“ lauten die Kapitelüberschriften.
Jahrzehntelange Erfahrung als Dozent und Theaterübersetzer
Kohlmayer kann sich auf eine Erfahrung von vielen Jahrzehnten stützen; auf Vorlesungen in der universitären Lehre (1967 – 2013) ebenso wie auf die Übersetzungspraxis als Theaterübersetzer und -bearbeiter (Corneille, Molière, Lessing, Dumas, Labiche, Wilde) und Regisseur der Germersheimer Uni-Bühne. Die Bühnenverlage Jussenhoven & Fischer, Desch, Steyer vertreten rund 20 seiner Stücke.
Das Neue an diesem Buch – wie auch an seinen zwei vorhergehenden Publikationen über das Übersetzen von Sprachkomik (2017) und über Rhetorik als Grundlage des Übersetzens (2018) – ist die konsequente Einheit von Theorie und Praxis.
In diesem Buch spreche ich nicht nur als Wissenschaftler, sondern plaudere auch aus der sprichwörtlichen Werkstatt des Literaturübersetzers, um zu zeigen, dass der Praxis des Literaturübersetzens meist eine kohärente Theorie zugrundeliegt, die den akademischen Theoretikern weitgehend entgangen ist.
Als Universitätslehrer genoss Kohlmayer allerdings einen privilegierten Praxisbezug, weil er – wie er selbst schreibt – nie den finanziellen Zwängen der Verlagswelt und des Marktes unterworfen war. Er schloss sich auch nie einem Berufsverband an, da er nicht mit Berufsübersetzern in Wettbewerb treten wollte, obwohl er seit Jahrzehnten gute Kontakte zu literarischen Übersetzern unterhält und freundschaftlich pflegt. Seine Übersetzungen entstanden immer aus eigenem Antrieb, nicht aufgrund von Aufträgen.
Ich betrachte mich als Genuss-Übersetzer, als Philotranslator, so wie Philologen einmal als Sprachliebhaber galten. Die Beispiele, die ich bringe, entstammen überwiegend der eigenen Praxis oder jahrelanger Reflexion.
Translationswissenschaft droht die Bodenhaftung zu verlieren
Die immer noch expandierende Translationswissenschaft läuft nach Kohlmayers Eindruck Gefahr, die Bodenhaftung zur Praxis und Ausbildung zu verlieren:
Die Translationswissenschaft sollte weder zu einem bloßen Austausch zwischen Theoretikern und Theoretikerinnen verdunsten, die auf hohem Abstraktionsniveau ihre wechselseitigen Translationsbegriffe kommentieren, ohne jemals in der Sprachwerkstatt ein Praktikum gemacht zu haben, noch sollte sie in theorielosem Biografismus und Praktizismus oder in historischer Nabelschau versanden.
Literaturübersetzer sind (im Idealfall) gelehrte Könner und Künstler
Literaturübersetzen ist eine Kunst im Sinne des lateinischen Wortes „ars“, in dem Wissen und Können eine Einheit bilden. Literaturübersetzer sind (im Idealfall) gelehrte Könner und Künstler. Ihre Gedicht-Übersetzungen wollen die Qualitäten des Originalgedichts weiterleben lassen, ihre Dramen-Übersetzungen wollen das Niveau der Originalstücke beibehalten, ihre Übersetzungen narrativer Texte wollen die ästhetischen Qualitäten der Original-Erzählung wieder- und weitergeben. Ob diese Idealziele tatsächlich erreicht werden, muss sich in jedem Einzelfall erweisen.
Aber der optimistische Glaube an die Möglichkeit und Fruchtbarkeit ästhetischer Reproduktion ist für Literaturübersetzer unerlässlich.
Kohlmayer will Erkenntnisse vermitteln und Anregungen geben
Es geht in diesem Buch um ästhetische Erkenntnisse und um Anregungen, nicht um Rezepte; es geht also nicht um Algorithmen, Ge- oder Verbote, um statistische und ‚wissenschaftliche‘ Prophezeiungen über das Funktionieren von Übersetzungen oder Zielgruppen. Anregungen wollen zum eigenen Denken und Machen anregen. Rezepte schalten die Notwendigkeit des eigenen Denkens aus, da dieses (qua Unvorhersehbarkeit alles Subjektiven) eine Störquelle darstellen könnte. […]
Ezra Pounds Rat an literarische Übersetzer „Make it new“ ist eine solche fruchtbare Anregung. Das gilt auch für seinen Aphorismus „Literature is news that stays news“. Wenn man darüber nachdenkt und das Literaturübersetzen als Herstellung von etwas Schönem, Bleibendem, Neuem ansieht, emanzipiert man sich von viel Irrelevantem.
Über den Autor
Professor Dr. phil. habil. Rainer Kohlmayer war außerplanmäßiger Professor an der Mainzer Universität. Er habilitierte dort in Interkultureller Germanistik, lehrte Übersetzungswissenschaft am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) in Germersheim. Er gründete die studentische Uni-Bühne, übersetzte und inszenierte Komödien von Molière bis Wilde.
Bibliographische Informationen
- Rainer Kohlmayer (2019): Literaturübersetzen – Ästhetik und Praxis. Berlin: Peter Lang.
Erschienen in der Reihe „FTSK – Publikationen des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim“. Gebunden, als E-Buch oder PDF-Datei erhältlich. 213 Seiten, 44,95 Euro, ISBN (gedrucktes Buch) 978-3-631-79137-0.
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- 2019-02-28: Rainer Kohlmayer: Rhetorik und Translation – Germanistische Grundlagen des guten Übersetzens
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[Text: Richard Schneider.]