Internationaler Tag der Übersetzung: Von FIT 1991 eingeführt, von UNO 2017 abgesegnet

Hieronymus, Caravaggio
Der asketisch lebende, greise Hieronymus beim Übersetzen der Bibel aus dem Hebräischen und Griechischen ins Lateinische. Die daraus hervorgegangene "Vulgata" war die bedeutendste Bibelübersetzung des Mittelalters. - Bild: Michelangelo Caravaggio (1606), gemeinfrei

Die Fédération Internationale des Traducteurs (FIT) als internationaler Dachverband der Übersetzerverbände hat 1991 den 30. September als weltweiten Gedenk- und Feiertag für die Berufsgruppe der Übersetzer und Dolmetscher vorgeschlagen. Seitdem weist sie jährlich darauf hin und präsentiert seit einigen Jahren auch ein offizielles Plakat mit einem wechselnden Motto.

In den deutschsprachigen Ländern ist das Datum auch als Hieronymustag bekannt. Offiziell handelt es sich nicht um einen Übersetzertag, sondern um einen Internationalen Tag der Übersetzung (International Translation Day, ITD; Journée mondiale de la traduction, JMT). Im Mittelpunkt steht jedoch nicht der Prozess des Übersetzens, sondern die Menschen, die ihn bewerkstelligen.

Hieronymustag hat sich erst nach Jahrzehnten in Branche durchgesetzt

Es hat Jahrzehnte gedauert, bis der Gedenktag von den nationalen Mitgliedsverbänden der FIT regelmäßig aufgegriffen wurde. Noch 2008 schrieb UEPO.de:

Wie jedes Jahr wird dieser Gedenktag weitgehend ignoriert – selbst branchenintern. Er ist somit eher ein Tag der verpassten Chancen. Wie gut könnte man ihn nutzen, um die Öffentlichkeit auf unsere Berufsgruppe aufmerksam zu machen!

Im deutschen Sprachraum hat die UNIVERSITAS Austria seit der Jahrtausendwende als erster Verband konsequent den Tag zum Anlass genommen, alljährlich eine Veranstaltung zu organisieren oder zumindest eine Pressemitteilung herauszugeben. Richtig in Schwung kam die Sache aber erst, als später der Literaturübersetzerverband VdÜ und dann vor zehn Jahren die Weltlesebühne einstiegen. Seitdem zünden vor allem die Literaturübersetzer ein wahres Feuerwerk an Veranstaltungen rund um den 30. September.

Seit etwa zehn Jahren haben auch ATICOM, ADÜ Nord und BDÜ hin und wieder, aber nicht jedes Jahr, auf den Hieronymustag hingewiesen. Erst in den letzten fünf Jahren hat sich die Idee, den 30. September zu einem Feiertag der Übersetzungsbranche zu machen, allgemein durchgesetzt. Heute – 28 Jahre nach seiner Ausrufung – nimmt der Gedenktag branchenintern einen festen Platz im Jahreskalender ein.

UNO-Generalversammlung
Gähnende Leere im Sitzungssaal der Vereinten Nationen am 24. Mai 2017, dem Tag der Entscheidung: 27 von 193 Mitgliedsstaaten haben im Vorfeld erklärt, die Übersetzer-Resolution zu unterstützen. Eine Abstimmung findet nicht statt. Ergebnis: Resolution A/RES/71/288 ist angenommen. – Bild: UN DGACM

Seit 2017 besitzt der International Translation Day den Segen der UNO

Im Jahr 2017 gelang der FIT (gemeinsam mit AIIC und Red T) in enger Kooperation mit der UNO-Vertretung von Weißrussland unter Führung von Valentin Rybakov das Husarenstück, den 30. September von den Vereinten Nationen zum International Translation Day erklären zu lassen. Dafür wurde der Antrag bewusst so formuliert, dass niemand etwas dagegen einwenden konnte.

Vor allem Weißrussland und Aserbaidschan sowie später auch Russland warben für die Annahme des Entschließungsantrags.

Nur 27 Befürworter – Völliges Desinteresse bei 166 Ländern, darunter gesamte EU

Am Tag der Entscheidung, dem 24. Mai 2017, erklärten sich lediglich 27 der 193 Mitgliedsstaaten der UNO zu Unterstützern des Vorhabens: Aserbaidschan, Argentinien, Bahrain, Bangladesch, China, Costa Rica, Ekuador, Irak, Iran, Israel, Kasachstan, Katar, Kirgisistan, Kuba, Libanon, Namibia, Nicaragua, Paraguay, Peru, Russland, Tadschikistan, Türkei, Turkmenistan, Usbekistan, Vietnam, Weißrussland und die Zentralafrikanische Republik.

Die Länder der so genannten Ersten Welt, darunter sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union, demonstrierten hingegen ein völliges Desinteresse an dieser Frage und dem vorgeschlagenen Übersetzertag. Geschätzte drei Viertel der UNO-Mitglieder hatten nicht einmal einen Vertreter in den Sitzungssaal entsandt.

Adopted without vote
„Adopted without vote“ heißt es ausdrücklich in der Online-Datenbank der UN-Resolutionen.

Eine Abstimmung fand nicht statt

Andrei Dapkiunas
Vor der UN-Vollversammlung setzte sich der Ständige Vertreter Weißrusslands, Andrei Dapkiunas, für die Belange der Übersetzer und Dolmetscher ein. – Bild: UN-Vertretung Weißrusslands

In einem Redebeitrag begründete Andrei Dapkiunas, der Ständige Vertreter Weißrusslands bei der UNO, noch einmal den Entschließungsantrag. Anschließend äußerte sich ein peruanischer Vertreter der „Freunde der spanischen Sprache bei der UNO“ zustimmend und mahnte gleichzeitig an, die Veröffentlichungsplattform UN iLibrary möglichst bald auch auf Spanisch anzubieten und Pressemitteilungen künftig auch auf Spanisch zu veröffentlichen.

Danach fragte der die Sitzung leitende Vizepräsident der Generalversammlung, Marc Pecsteen de Buytswerve (Belgien), in die Runde: „Puis-je considérer que l’Assemblée décide d’adopter le projet de résolution A/71/L.68?“ Weil sich kein Widerspruch regte, galt die Resolution nach dem Demokratieverständnis der Vereinten Nationen als angenommen.

Eine Abstimmung fand nicht statt. Im Protokoll ist ausdrücklich vermerkt: „Adopted without vote“. Seit Mitte der 1970er Jahre kommen die meisten UN-Resolutionen nach dieser so genannten „Konsensregel“ ohne jede Abstimmung zustande. Vereinfacht ausgedrückt gilt ein Antrag als angenommen, wenn niemand dagegen ist.

Die Situation am Stichtag (27 Befürworter und 166 Länder, denen das egal ist) kann in diesem Sinne als ein Votum mit 27 Ja-Stimmen und 166 Enthaltungen betrachtet werden.

Der Zweck heiligt die Mittel: FIT kooperiert mit Schurkenstaaten

Man muss den Branchenverbänden FIT, AIIC und Red T das Kompliment machen, die Sache geschickt eingefädelt zu haben.

Andererseits kann man ihnen aber auch vorwerfen, zur Durchsetzung ihrer Ziele mit der letzten Diktatur Europas (Weißrussland) und anderen Schurkenstaaten wie Aserbaidschan kooperiert zu haben. Jetzt, da das Ziel erreicht ist, scheint dies im Rückblick aber niemanden mehr zu stören oder auch nur zu interessieren. Und man möchte am liebsten auch nicht mehr daran erinnert werden.

Valentin Rybakov, Henry Liu
Der stellvertretende Außenminister Weißrusslands, Valentin Rybakov (ganz links), und FIT-Präsident Henry Liu (daneben) begießen am 24. Mai 2017 ihren diplomatischen Erfolg. Mit roter Krawatte: Andrei Dapkiunas, der die Rede im Saal hielt. (Vier Monate später tauschten Rybakov und Dapkiunas die Posten. Rybakov ist jetzt Ständiger Vertreter und Dapkiunas stellvertretender Außenminister.)

Wer war eigentlich dieser Hieronymus?

Der große Gelehrte Sophronius Eusebius Hieronymus übersetzte zahlreiche Werke, darunter die Bibel, aus dem Hebräischen und Griechischen ins Lateinische. Lange Jahre lebte er als Einsiedler in der Wüste – eine Arbeitssituation, die auch heutigen Übersetzern vertraut ist. Weitere Parallelen sind sein nichtlinearer Lebenslauf und das Hin- und Hergerissensein zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen.

Seine Sprachkenntnisse im Hebräischen, Griechischen und Lateinischen sowie sein Überblick über die Wissenschaften waren für seine Zeit außergewöhnlich. Im Urteil der Nachwelt war er ein vorzüglicher Übersetzer. Insgesamt beherrschte er sieben Sprachen.

Wesentliche Charakterzüge sollen eine zügellose Energie und ein nahezu fanatischer Einsatz für die „wahre“ Kirche gewesen sein, was ihm allerlei Ärger mit korrupten, verweltlichten Würdenträgern einbrachte.

Geboren wurde er 342 oder 347 in Stridon (heute Sdrin, Kroatien), an der Grenze der römischen Provinzen Dalmatien und Pannonien. Gestorben ist er 419 oder 420 in Bethlehem. Wer ihm dort Blumen aufs Grab legen möchte, wird ihn nicht mehr antreffen, denn im 13. Jahrhundert wurden seine Gebeine nach Rom überführt.

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Richard Schneider