Der Bedeutungsumfang von Begriffen, die Emotionen beschreiben, wird durch die kulturelle und biologische Evolution geprägt. Das haben Forscher der University of North Carolina at Chapel Hill, des 2014 gegründeten Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena und der Australian National University in Canberra herausgefunden. Sie verglichen dazu 2.474 Sprachen.
Die Wortbedeutung von Emotionsbezeichnungen wie „Ärger“ und „Angst“ variiert über Sprachfamilien hinweg. Ein internationales Forscherteam konnte durch einen Vergleich des Emotionsvokabulars zeigen, dass es Unterschiede in der Emotionskonzeptualisierung sowie Beweise für universelle Strukturen in Netzwerken von Kolexifikationen gibt. Sie untersuchten die Kolexifikationen (Fälle, in denen ein Wort mehrere verwandte Bedeutungen hat) der untersuchten Begriffe in den mehr als 2.000 Sprachen.
Neben dem umfangreichen Vokabular vieler Sprachen, um Emotionen auszudrücken, scheinen viele Wörter ähnliche emotionale Zustände zu bezeichnen.
Ein Beispiel ist das englische Wort love, das oft als sevgi ins Türkische und als szerelem ins Ungarische übersetzt wird. Es ist bisher unklar, ob das Konzept love (Liebe) die gleiche Bedeutung für Sprecher der drei Sprachen hat.
Die vorliegende Studie wurde in der Fachzeitschrift Science publiziert. Sie nutzt eine neue Methode der vergleichenden Sprachwissenschaft, um die Bedeutung von Emotionskonzepten in den Sprachen der Welt zu untersuchen.
Netzwerke von Kolexifikationen offenbaren große Vielfalt und kulturelle Einflüsse in Emotionssemantik
Mit Hilfe einer Datenbank mit 2.474 Sprachen konstruierten die Forscher Netzwerke von kolexifizierten Emotionskonzepten und verglichen diese über einzelne Sprachen und Sprachfamilien hinweg.
Die Netzwerke von Emotionskolexifizierungen variierten signifikant, was darauf hinweisen könnte, dass sich die Bedeutung von Emotionswörtern zwischen Sprachen unterscheiden könnte, obwohl sie oft als Übersetzungen in Wörterbüchern behandelt werden.
In austronesischen Sprachen ist das Konzept „Überraschung“ eng mit der Emotion „Angst“ assoziiert, wohingegen Tai-Kadai-Sprachen das Konzept „Überraschung“ mit den Konzepten „Hoffnung“ und „Wollen“ verbinden. (Als Tai-Kadai-Sprachen wird eine Familie von über 90 in Südostasien und im südlichen und zentralen China gesprochenen Sprachen bezeichnet.)
„Die Emotion ‚Überraschung‘ ist besonders hilfreich, um diese Studie zu verstehen“, sagt Erstautor Joshua Conrad Jackson. „Da eine Sprachfamilie negative und eine andere Sprachfamilie positive Assoziationen mit diesem Wort hat, können Sie sich vorstellen, wie Sprecher dieser verschiedenen Sprachen reagieren könnten, wenn Personen hinter Möbeln oder aus einem dunklen Raum hervorspringen und ‚Überraschung‘ rufen.“
Obwohl die Wissenschaftler eine große Variation in der weltweiten Emotionssemantik beobachten konnten, hat die Analyse gezeigt, dass diese Variation zum Teil mit den geografischen Ursprüngen der Sprachfamilien erklärt werden kann.
Sprachfamilien mit mehreren ähnlichen Netzwerken lagen in geografischer Nähe. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass Variation in Emotionssemantik nicht zufällig ist, sondern mit Mustern von Handel, Migration, Eroberung und gemeinsamer Abstammung in Sprachfamilien verknüpft ist.
Universelle Struktur von Kolexifikationsnetzwerken
Trotz der großen Variation in der Emotionssemantik fanden die Forscher Hinweise auf eine universelle Struktur, die Emotionskonzepte einschränkt, Kolexifikationsnetze zu bilden.
Die Valenz (wie angenehm oder unangenehm eine Emotion ist) und die Aktivierung (die physiologische Erregtheit, die mit dem Erleben einer Emotion assoziiert wird) sind die stärksten Prädiktoren für eine Zugehörigkeit zu einem Netzwerk.
„Die Fähigkeit von Valenz und Aktivierung, die Struktur in der Emotionssemantik über Sprachfamilien hinweg vorherzusagen, legt nahe, dass dies gemeinsame psycho-physiologische Dimensionen sind, die von allen Menschen geteilt werden“, sagt die beteiligte Forscherin Kristen Lindquist.
Während Wissenschaftler, Philosophen und Künstler weiter über die Bedeutung von Emotionen debattieren werden, liefert diese Studie Belege für die Rolle der kulturellen und biologischen Evolution bei der Herausbildung der Emotionssemantik. Darüber hinaus stellt sie eine neue Methode für die Untersuchung und neue Metriken für die Messung von semantischer Distanz vor.
„Wir hoffen, dass die zukünftige Forschung diese Methodik nutzen wird und die spezifischen Prozesse untersucht, die kulturelle und geografische Unterschiede hervorrufen, wie Menschen Emotionen verstehen und erleben“, sagt Jackson.
Globale Datenbank von Begriffsbedeutungen
Im Zentrum der Analyse der Studie stand CLICS, eine Datenbank für Kolexifikationen von 2.474 Sprachen der Welt. „Vor vier Jahren hatte die CLICS-Datenbank Kolexifizierungsdaten zu nur etwa 300 Sprachen“, sagt Johann-Mattis List, einer der Autoren des Artikels, der den Aufbau von CLICS geleitet hat. „Aber unsere neuen Methoden zur Standardisierung haben es uns ermöglicht, die Datenmenge in den letzten Jahren rapide zu erhöhen.“
„CLICS wurde in diesem Projekt genutzt, um die Bedeutung von Emotionen weltweit zu untersuchen“, fügt Jackson hinzu, „aber zukünftige Projekte können CLICS nutzen, um die Bedeutung von fast allen Konzepten zu untersuchen.“
[Text: Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. Quelle: Pressemitteilung 2019-12-19.]