„Vom Wind verweht“ – Erste Neuübersetzung seit 83 Jahren macht aus Schnulze ein modernes Buch

Vom Wind verweht, Margaret Mitchell
Die Schriftstellerin Margaret Mitchell kam mit 48 Jahren bei einem Autounfall ums Leben. - Bild: Verlag Antje Kunstmann, Pictorial Press

Am morgigen 2. Januar kommt mit Vom Wind verweht die erste Neuübersetzung dieses 1.328 Seiten starken Klassikers der amerikanischen Literatur in die Buchläden. Das Ehepaar Andreas Nohl und Liat Himmelheber hat die von Margaret Mitchell verfasste abenteuerliche Liebesgeschichte zum ersten Mal vollständig ins Deutsche übertragen. Das wurde möglich, weil 2019 (70 Jahre nach dem Tod der Autorin) die Rechte daran frei wurden.

Jeder kennt die tragische Liebesgeschichte von Scarlett O’Hara und Rhett Butler, wenn auch oft nur aus dem Film, in der Gestalt von Vivien Leigh und Clark Gable. Der Film ist einer der erfolgreichsten der Filmgeschichte. Aber auch das Buch, das 1936 erschien, war umgehend ein Bestseller und wurde schon 1937 ins Deutsche übersetzt.

Keine Geschichte hat unser Bild von den Südsaaten, dem amerikanischen Bürgerkrieg und der Zeit der Reconstruction so sehr geprägt wie Margaret Mitchells Gone With the Wind. Das große Epos gilt als Pendant zu Krieg und Frieden.

Vom Wind verweht (jetzt ohne „e“) ist die erste Neuübersetzung seit der ersten deutschen Ausgabe von 1937, damals übersetzt von Martin Beheim-Schwarzbach. Zugleich ist es die erste ungekürzte Übersetzung in deutscher Sprache. Sie folgt dem schnörkellosen, journalistischen Stil von Margaret Mitchell und lässt uns so fast einen anderen Roman lesen.

Entkitscht und entromantisiert wird das Buch zu einem modernen Roman

Natürlich ist es immer noch das große Epos des amerikanischen Bürgerkriegs, die tragische Liebesgeschichte und die Geschichte einer jungen Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nimmt.

Doch die Neuübersetzung von Andreas Nohl und Liat Himmelheber vermeidet den romantisierenden Stil, die rassistischen Stereotypen und den teils kitschigen Ton der Übersetzung von 1937 und zeigt uns einen Roman, der moderner und ambivalenter ist als das verklärte Bild, das die Leser, Kinobesucher und Fernsehzuschauer bisher hatten.

Laut Verlag ist die Neuübersetzung „ein viel größerer Lesegenuss“. Sie eröffne die Möglichkeit, Vom Wind verweht „richtig“ zu lesen, nämlich als den epischen amerikanischen Roman, der Konflikte und Brüche beschreibt, die die USA bis heute prägen.

Laut Andreas Nohl handelt es sich um einen „enorm komplexen Roman“, der sowohl Unterhaltungsliteratur als auch Weltliteratur sei, also „Weltunterhaltungsliteratur“. Ihn habe überrascht, wie gut das Buch sei. Durch die Neuübersetzung werde es zu einem „modernen Buch“, für dessen Verfilmung jetzt eher Quentin Tarantino infrage komme.

Wie geht man als Übersetzer mit dem Wort „negro“ um?

Andreas Nohl
Andreas Nohl – Bild: Helmut Hien

Liat Himmelheber erklärt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau: „[Die Autorin] benutzt das Wort negro, es war das gängige Wort, aber heute zuckt man jedes Mal zusammen. […] Das N-Wort durchzieht dieses Buch wie eine Seuche.“

Andreas Nohl ergänzt: „[…] das ist unerträglich, dazu die Beschreibungsklischees. In Mitchells Zeit war das aber nicht per se rassistisch gemeint, während es für uns extrem rassistisch konnotiert ist. Das konnten wir komplett rausschmeißen, ohne dem Text Gewalt anzutun. Jetzt ist von Schwarzen die Rede, von Sklaven […].“

Nohl, der auch als Herausgeber des Bandes fungiert, betont, dass Margaret Mitchell keine Rassistin war und die Neuübersetzung in ihrem Sinne erfolgte:

Sie war vielmehr darauf bedacht, niemanden zu diffamieren. Es gibt Briefe, in denen sie das genau ausformuliert. Wir entsprechen ihrer Intention. Ich hätte den Roman nicht übersetzt, wenn es ein rassistischer Roman wäre. Das ist er nicht. Im Roman kommen Rassisten vor, und die Rassisten reden auch wie Rassisten. Aber Mitchell legt großen Wert darauf, dass die Erzählerstimme selbst nicht rassistisch ist.

Pressestimmen zur Neuübersetzung

Die literarische Herbstsaison, die sich gerade in den Verlagskatalogen ankündigt, bringt wieder eine Neuigkeit: „Vom Winde verweht“ heißt jetzt „Vom Wind verweht“. […] Die neuen Übersetzer wollen den Roman in einen nüchterneren Ton bringen. Und haben dazu dem Titel eine „prosaische“ Form gegeben. (Marie Schmidt, Süddeutsche Zeitung)

Eine Übersetzung von Andreas Nohl wäre aufs Geratewohl selbst dann zu empfehlen, wenn der Titel „Vom Wnd verweht“ lautete. Seine genialen (gescheiten, gewandten, unverblümten) Übersetzungen von „Tom Sawyer & Huckleberry Finn“ oder von der „Schatzinsel“ berechtigen zu so kühnen Aussagen. Auf Andreas Nohls Übersetzungen kann man sich zu hundert Prozent verlassen. (Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau)

Himmelheber und Nohl haben für die Neuausgabe ein schlankes, elastisches Deutsch gewählt. Der Leser gleitet mühelos in die Geschichte hinein. (Claudia Voigt, Der Spiegel)

Nohl hat schon Huckleberry Finn neu übersetzt

Andreas Nohl wurde 1954 in Mülheim geboren. Seine Neuübersetzungen unter anderem von Mark Twains Tom Sawyer & Huckleberry Finn, Rudyard Kiplings Dschungelbuch und Edgar Allan Poes Unheimliche Geschichten wurden von der Kritik gelobt und mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis ausgezeichnet.

Liat Himmelheber stammt aus Stuttgart, wo sie 1956 geboren wurde. Die Mezzosopranistin und langjährige Opernsängerin unterrichtet an der Hochschule für Musik in Nürnberg. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie bereits mehrere Jugendbücher übersetzt. Zur Zusammenarbeit sagt sie: „Wir haben jeweils zusammenhängende Blöcke übersetzt und uns gegenseitig lektoriert.“

Autorin Margaret Mitchell wurde durch Autounfall aus dem Leben gerissen

Die Autorin Margaret Mitchell, geboren 1900 in Atlanta, hat an ihrem Roman aus den Erinnerungen ihrer Familie geschöpft, deren Schicksal eng mit dem des Staates Georgia verknüpft war. Als er 1936 erschien, wurden in einem halben Jahr über eine Million Exemplare verkauft, das war noch bei keinem Buch vorgekommen.

1937 erhielt sie dafür den Pulitzerpreis. Der Roman wurde in viele Sprachen übersetzt und erschien in 37 Ländern. Mitchell wurde 1949 von einem betrunkenen Taxifahrer angefahren und starb im Alter von nur 48 Jahren wenige Tage später im Krankenhaus.

Weiterführender Link

[Quelle: Verlag Antje Kunstmann; Frankfurter Rundschau, 2019-12-27; Bayerischer Rundfunk, 2019-12-27.]