Berufsübersetzer besitzen in der Regel bessere Fremdsprachenkenntnisse als Journalisten und haben oft auch länger im Ausland gelebt als Auslandskorrespondenten. Gerade ihnen fällt es unangenehm auf, wenn im Fernsehen bei Interviews mit ausländischen Gesprächspartnern ungenau übersetzt wird.
Auch in Deutschland lebende Türken und Russen beschweren sich regelmäßig darüber, dass die Aussagen ihrer Präsidenten im deutschen Fernsehen verkürzt, verzerrt oder auf tendenziöse Art wiedergegeben werden, damit sie ins hier vorherrschende negative Narrativ zu diesen Ländern passen.
Das Recherchebüro Correctiv hat für das Medienmagazin journalist jetzt Dutzende von Originaltönen aus dem arabischsprachigen Raum sowie aus Russland und China übersetzt und mit den Formulierungen verglichen, die die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF in ihrer Auslandsberichterstattung ausgestrahlt haben.
ZDF nimmt es mit Übersetzungen nicht so genau
Während in den mehr als 30 Stichproben der ARD-Tagesschau die Übersetzungen mit dem jeweiligen O-Ton übereinstimmten, waren Original und Übersetzung in vielen Stichproben der ZDF-Nachrichtensendungen heute und heute journal nicht identisch. In diesem Zusammenhang wird besonders der Ägypten-Korrespondent des ZDF kritisiert.
Correctiv hat das ZDF mit sieben ungenauen Übersetzungen konfrontiert. Der Sender erklärte, dass Interviewpartner in einigen der genannten Stichproben Worte, die im gesendeten O-Ton fehlten, an anderer Stelle im Interview gesagt hätten. Für die Beiträge seien die Aussagen dann in der Übersetzung gerafft oder verdichtet worden.
Bei einem Zitat, in dem das Gesagte massiv von der Übersetzung abweicht, räumt das ZDF aber einen „eindeutigen Fehler“ ein und entschuldigt sich auf Nachfrage von Correctiv. Der Sender erklärt: „Solche Fehler sind leider im aktualitätsgetriebenen journalistischen Alltag nie ganz zu vermeiden – und unter den Bedingungen eines Kriegs- und Kriseneinsatzes wird das nicht einfacher.“
Kritisiert wird auch, dass der Moskau-Korrespondent des ZDF den Originalton seiner Gesprächspartner oft so weit herunterdreht, dass diese nicht mehr verständlich sind. Die Übersetzung ist damit nicht mehr nachprüfbar.
Der Mainzer Sender gelobt gegenüber Correctiv Besserung: Man habe noch einmal mit den Korrespondenten vereinbart, bei der Verwendung von Interviewaussagen in der deutschen Übersetzung auf eine direkte Übersetzung des im O-Ton Gesagten zu achten. Aussagen, die man an anderer Stelle erhalten habe, sollen nicht mehr über das Zitat gesprochen werden, sondern in den Beitragstext einfließen.
Ungenaues Zitieren macht angreifbar
Die Correctiv-Autoren haben ihren Recherchebericht im Branchenmagazin journalist veröffentlicht. Dort schreiben sie:
Ist es relevant, ob Zitate in einem Fernsehinterview mit einem Gesprächspartner, dessen Sprache die Zuschauer nicht verstehen, so wiedergegeben werden, wie sie gefallen sind? Oder können Inhalte gerafft und zusammenmontiert werden? Ist der Originalton eines Gesprächspartners, den man im Bild sieht, ein Dokument? Oder nur eine Kulisse für Worte, die in den Mund gelegt werden?
[…] Müssen der gesendete Ausschnitt und die deutsche Übersetzung einander entsprechen? Oder darf der Korrespondent sich frei aus verschiedenen Stellen des Gesprächs bedienen – und die Übersetzung einfach mit einem sprechenden Gesicht bebildern?
Eine offensichtlich weit verbreitete Praxis in den deutschen Medien steht damit zur Diskussion. Denn das ungenaue Zitieren ist angreifbar. Die freien Übersetzungen könnten genutzt werden, um Zweifel an der gesamten Berichterstattung zu säen.
Kein Skandal, aber handwerkliche Praxis sollte überdacht werden
Bei den in den Auslandsbeiträgen gefundenen Übersetzungsfehlern handelt es sich zwar nicht um einen größeren Skandal. Aber das Übersetzen von Aussagen der Interview-Partner entspricht dem Zitieren bei schriftlichen Beiträgen. Wer es dabei an der nötigen Sorgfalt fehlen lässt, verliert schnell an Glaubwürdigkeit.
Die Frage, die sich die Auslandsberichterstattung stellen müsse, laute: „Wie wichtig ist es, in den Reportagen aus dem Ausland genau zu zitieren?“ – „Sehr wichtig“, finden Correctiv und journalist. Denn immer häufiger hörten Muttersprachler den Beitrag und wunderten sich darüber, dass O-Ton und Übersetzung nicht genau zusammenpassen.
BBC hat klare Regeln für die Zitier- und Übersetzungspraxis
Leider gebe es bei ARD und ZDF keine klaren Leitlinien, wie O-Töne in Fernsehbeiträgen wiedergegeben werden sollen, so Correctiv. Sie empfehlen als Vorbild die britische BBC und zitieren deren Journalistin Najiba Leima Kasraee, die dort u. a. für Sprach-Fortbildungen zuständig ist:
Wenn wir jemanden mit einem Voice Over übersetzen, können wir nicht zwei Sätze aneinanderhängen, von denen einer am Anfang und einer am Ende gefallen ist […] Wir müssen ein Zitat übersetzen, das wir für das wichtigste halten. Im Text nach dem Zitat sagen wir dann: „Der Minister sagte in diesem Interview außerdem: …“
Die Correctiv-Autoren warnen: Wenn sich immer wieder „kleine Schlampereien“ übereinandertürmen, werden diese irgendwann zu einem grundsätzlichen Fehler der Medien. „Es geht um das Handwerk, mit dem uns das Bild unserer Welt vermittelt wird.“
So mancher Auslandskorrespondent beherrscht die Landessprache nicht
Sprachkenntnisse spielen bei der Besetzung von Korrespondentenstellen offenbar nur eine untergeordnete Rolle, denn einige beherrschen die Landessprache nicht.
Die RTL-Auslandskorrespondentin Antonia Rados erklärt gegenüber Correctiv: „Übersetzungen von Interviews in einem fremden Land sind schwierig. Man muss sich auf einen Übersetzer verlassen.“
Weiterführender Link
Der vollständige Recherchebericht mit zahlreichen Beispielen aus der arabischen Welt, Russland und China ist in gedruckter Form unter der Überschrift „Hey Auslandsberichterstattung – Wir müssen reden!“ im Medienmagazin journalist erschienen (Ausgabe Januar/Februar 2020). Er kann außerdem auf der Website der Zeitschrift in voller Länge eingesehen werden:
[Text: Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung Correctiv / journalist, 2020-01-28.]