Stellt das Dolmetschen mit Maske eine besondere Erschwernis dar, für die Gerichtsdolmetscher einen Zuschlag erheben können? Nein, hat jetzt der Oberste Gerichtshof in Wien entschieden.
Gerichtsdolmetscherin Bozena K. wollte die Frage trotz eines geringen Streitwertes von 6,20 Euro höchstrichterlich klären lassen, weil sie für alle Gerichtsdolmetscher relevant und von grundsätzlicher Bedeutung ist. In letzter Instanz hat sie nun eine Niederlage erlitten.
Für alle Gerichtsdolmetscher relevant und von grundsätzlicher Bedeutung
In dem konkreten Fall ging es um eine halbstündige Dolmetschtätigkeit im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung über ein Auslieferungsersuchen vor dem Oberlandesgericht Wien im Juli 2020.
Inklusive An- und Abfahrt stellte die Dolmetscherin eine Rechnung über 75,00 Euro zuzüglich 6,20 Euro aus. Für den über den normalen Gebührensatz hinausgehenden Betrag von 6,20 Euro machte sie „erschwerte Bedingungen (COVID-19 Zuschlag)“ geltend.
Tatsächlich können Gerichtsdolmetscher in Österreich nach § 54 Abs 1 Z 3 GebAG (Gebührenanspruchsgesetz) einen erhöhten Gebührensatz zugrundelegen, wenn es sich „um eine besonders schwierige Dolmetschtätigkeit“ handelt.
Zuschlag nur, wenn das Dolmetschen selbst besonders schwierig ist
Das Gericht weist in seinem Beschluss zunächst darauf hin, dass nach einem Erlass des Bundesministeriums für Justiz und gemäß der Hausordnung des Justizpalasts auf „allen öffentlichen Verkehrsflächen im Justizpalast“ „Schutzmasken zu tragen“ sind.
Maßgeblich für die Ablehnung des Begehrens sei, dass die Dolmetscherin sich bei dem verlangten Zuschlag nicht auf § 54 Abs 1 Z 3 GebAG berufen könne. Dieser gewähre einen Zuschlag nur dann, wenn es sich um eine schwierige Dolmetschtätigkeit handle, also besondere sprachliche Leistungen zu erbringen seien.
Im Gesetz finde sich jedoch kein Anhaltspunkt für die Sicht, dass der Zuschlag auch für besondere äußere Umstände zu gewähren sei, die die Ausübung der Dolmetschtätigkeit erschweren. Demnach stelle das Erfordernis, zurzeit Schutzmasken zu tragen, keine besondere Schwierigkeit im Sinn des genannten Paragrafen dar.
Kein Zuschlag, wenn nur die Umstände schwierig sind
In der Begründung heißt es (Hervorhebung im Original):
Die angesprochene Erhöhung des Betrags, der dem Dolmetsch für seine Zuziehung zu einer Vernehmung oder gerichtlichen Verhandlung gebührt (Gebühr für Mühewaltung), setzt nach § 54 Abs 1 Z 3 GebAG voraus, dass es sich um eine besonders schwierige Dolmetschtätigkeit handelt. Schon auf Basis des Gesetzeswortlauts ist auf eine besondere Schwierigkeit der (in concreto abverlangten) Dolmetschtätigkeit als solcher abzustellen (vgl auch § 54 Abs 1 Z 1 lit c GebAG zur Gebühr für Mühewaltung bei schriftlicher Übersetzung: „wegen besonderer sprachlicher oder fachlicher Schwierigkeiten“).
Dieser Befund wird durch die Materialien zur GebAG-Novelle 1994, BGBl 1994/623 (mit der die in Rede stehende Bestimmung neu gefasst wurde), gestützt. Danach soll die Erhöhung – im Gleichklang mit § 34 Abs 2 letzter Satz GebAG idF BGBl 1994/623 zur Gebühr des Sachverständigen für Mühewaltung („besonders ausführliche wissenschaftliche Begründung“; „außergewöhnliche Kenntnisse auf wissenschaftlichem oder künstlerischem Gebiet“) – zum Tragen kommen, wenn gewisse „besondere Leistungen“ erbracht werden. Es müsse sich um eine besondere fachliche Schwierigkeit im konkreten Fall handeln; als Beispiel wird das Erfordernis genannt, eine komplizierte Fachsprache zu dolmetschen (RV 1554 BlgNR 18. GP 16; folgend Krammer/Schmidt/Guggenbichler, SDG-GebAG4 § 54 GebAG Anm 6).
Dagegen findet sich im Gesetz kein Anhaltspunkt für die Sicht, bei der betreffenden Beurteilung seien – über Aspekte fachlicher Natur hinaus – auch äußere Umstände zu berücksichtigen, die (bloß) die Ausübung einer (nicht schon an sich besonders schwierigen) Dolmetschtätigkeit erschweren. Das (sich aus zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie ergangenen Vorschriften ergebende) Erfordernis, dabei Schutzmasken zu tragen, stellt demnach keine besondere Schwierigkeit im Sinn des § 54 Abs 1 Z 3 GebAG dar.
OGH-Beschluss hat Leitfunktion
Der Oberste Gerichtshof ist die oberste Instanz in Zivil-und in Strafsachen und somit das oberste Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Österreich.
Der OGH überprüft Entscheidungen von Oberlandesgerichten und Landesgerichten sowie, wenn es die Generalprokuratur (staatsanwaltschaftliche Behörde beim Obersten Gerichtshof) beantragt, auch strafrechtliche Entscheidungen von Bezirksgerichten.
Dem Obersten Gerichtshof kommt eine Leitfunktion zu: Auch wenn seine Entscheidungen für andere Verfahren als das konkrete Anlassverfahren rechtlich nicht bindend sind, halten sich die vorinstanzlichen Gerichte in aller Regel daran. Somit trägt er zu einer einheitlichen Rechtsanwendung bei.
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Richard Schneider