Die Grünen in Berlin-Spandau fordern korrekte Übersetzungen in Flüchtlingsunterkünften

Gollaleh Ahmadi
Gollaleh Ahmadi bezeichnet sich selbst als „Flüchtlingskind“. Das Bild zeigt sie am 09.12.2020 in einem Online-Interview mit dem Human Rights Film Festival Berlin.

Empört reagiert Gollaleh Ahmadi auf eine Antwort des Bezirksbürgermeisters von Berlin-Spandau. Ahmadi ist Vorsitzende der Fraktion BÜNDNIS ’90 / DIE GRÜNEN in der Bezirksverordnetenversammlung. Auf Twitter wettert sie: „Dieses Schreiben ist ein Skandal!“

In besagtem Papier erklärt Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank (SPD), die Forderung der Grünen nach korrekten Übersetzungen in den Flüchtlingsheimen könne nicht erfüllt werden, denn dafür fehle es an finanziellen Mitteln und Übersetzungskapazitäten. Weiter schreibt er:

  • Korrektes Hocharabisch könne nur von staatlich anerkannten Dolmetschern gewährleistet werden, die aber „um ein Vielfaches teurer“ seien als die kostenlos herangezogenen Integrationslotsen (Laiendolmetscher).
  • Außerdem habe sich bislang noch kein Flüchtling beschwert, dass er etwas nicht verstanden habe.
  • Darüber hinaus werde befürchtet, dass ein besserer „muttersprachlicher Service“ die Motivation der Zuwanderer, Deutsch zu lernen, trüben könne. Dies stehe im Widerspruch zum Integrationsauftrag der Unterkünfte.

Grüne hatten Bezirksverwaltung schon 2018 auf Missstände aufmerksam gemacht

Die Bezeichnung des Schreibens als „Schlussbericht“ zeigt an, dass die Bezirksverwaltung das bereits seit mehr als zwei Jahren schwelende Thema vom Tisch haben möchte.

Denn schon im September 2018 hatten Ahmadi und ihre Fraktion die Behörden im westlichsten Berliner Bezirk darauf aufmerksam gemacht, dass die Informationen, die den Bewohnern der Unterkünfte ausgehändigt werden, zumindest in den Sprachen Arabisch und Farsi schlecht übersetzt, teils missverständlich und voller Fehler sind. Dies führe zu Verunsicherungen bei den Betroffenen, deren Klärung die Behörden unnötig Zeit und Geld koste.

Die Behandlung dieses Antrags war dann zunächst an den Integrationsausschuss überwiesen worden. Von dort wurde das Thema in die Bezirksverordnetenversammlung zurückgeleitet, mehrfach auf die Tagesordnung gesetzt, aber auch mehrfach vertagt.

Fraktion will sich weiter um das Thema kümmern

Gollaleh Ahmadi ließ UEPO.de mitteilen, dass die Fraktion den jetzt vorliegenden „Schlussbericht“ des Bezirksbürgermeisters als Zwischenbericht habe werten lassen. Damit ist zumindest gewährleistet, dass die Diskussion zur Verbesserung der sprachmittlerischen Situation in den Spandauer Unterkünften im Integrationsausschuss weitergeführt werden kann. Man sei entschlossen, in dieser Angelegenheit nicht lockerzulassen.

Rathaus Berlin-Spandau
Im Rathaus des Berliner Bezirks Spandau hält man verständliche, korrekte Übersetzungen in den Flüchtlingsunterkünften für nicht so wichtig. Der dafür erforderliche „viel größere finanzielle Aufwand“ stehe „in keinem Verhältnis zur Wirtschaftlichkeit und zum tatsächlichen Nutzen“. – Bild: A. Savin, Lizenz ‚Freie Kunst‘

Bürgermeister: Qualifizierte Sprachmittler zu teuer

Das Schreiben des Bezirksbürgermeisters vom November 2020 im Wortlaut:

Informationen für Geflüchtete in korrektem Hocharabisch

Schlussbericht

Durch das Bezirksamt wurde die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, das Landesamt für Flüchtlinge, die Betreiber*innen von Unterkünften für Geflüchtete in Spandau erneut angeschrieben und um Umsetzung des Beschlusses innerhalb Ihres Zuständigkeitsbereichs gebeten.

Nach Rückfrage zum aktuellen Umsetzungsstand haben sich die Unterkunftsbetreiber*innen für Geflüchtete zurückgemeldet. Die Antworten werden zusammengefasst dargestellt:

Sie alle können diese Anforderung nicht erfüllen, denn es fehlt ihnen vor allem an den finanziellen Mitteln und auch an Übersetzungskapazitäten. Korrektes Hocharabisch kann nur von staatlich anerkannten Dolmetschern gewährleistet werden, diese Übersetzungen sind bekanntlich um ein Vielfaches teurer als z. B. die Übersetzungsleistungen der Integrationslots*innen, die kostenlos sind.

Dies steht aufgrund des viel größeren finanziellen Aufwands im keinem Verhältnis zur Wirtschaftlichkeit und zum tatsächlichen Nutzen. Mit Übersetzungen in Arabisch, Dari, Farsi werden in der Regel auch nur etwas mehr als 1/3 aller Bewohner*innen erreicht. In allen Spandauer Geflüchtetenunterkünften leben jedoch Menschen aus 22 verschiedenen Nationen.

Es wird befürchtet, dass noch mehr muttersprachlicher Service das Bewusstsein für die Notwendigkeit, die deutsche Sprache zu lernen, bei den Bewohner*innen trüben könnte. Das sei ein Widerspruch zum Integrationsauftrag der Unterkünfte. Übersetzungen für Informationsschreiben in korrektem Hocharabisch würde die finanziellen Möglichkeiten der Betreiber*innen um ein Vielfaches übersteigen. Bislang hat sich kein/e einzige/r Bewohner/in an die Unterkunftsleitungen gewandt, weil Sie die vorhandenen Aushänge/Informationen in Arabisch nicht verstanden hätten. Daher wird von allen Unterkunftsleitungen eingeschätzt, dass es keinen gesonderten Bedarf zur Übersetzung in korrektem Hocharabisch gibt.

Die Stabsstelle Integrationsmanagement, das Schulamt, das Sportamt, das Gesundheitsamt und das Sozialamt sowie weitere Fachämter im Bezirksamt nutzen die Sprachkompetenzen der GIZ gGmbH für kleinere kostenlose Übersetzungen in allen möglichen Sprachen. Lediglich beim Erstellen des bezirklichen Wegweisers für Geflüchtete durch die Stabsstelle Integrationsmanagement wurden Stellen zur Übersetzung genutzt, die unter anderem auch in Hocharabisch übersetzen.

Das Bezirksamt bittet den Beschluss damit als erledigt zu betrachten.

Berlin-Spandau, den 10. November 2020

Kleebank
Bezirksbürgermeister

Grüne: Fehlerhafte Übersetzungen führen zu Verunsicherung und kosten die Dienststellen unnötig Zeit

Der Antrag der Grünen vom September 2018 lautete:

Informationen für Geflüchtete in korrektem Hocharabisch und Farsi/Dari

Die Bezirksverordnetenversammlung wolle beschließen:

Das Bezirksamt wird beauftragt, dafür Sorge zu tragen beziehungsweise sich bei den zuständigen Stellen dafür einzusetzen, dass sämtliche Informationen für Geflüchtete – vom Antragsformular bis zum Aushang in den Unterkünften – in korrektem Hocharabisch und Farsi/Dari geschrieben werden.

Berlin, den 30.09.2018

Ahmadi / Gellert
Fraktionsvorsitzende

Begründung:

Es gibt immer wieder Hinweise, dass Formulare, Aushänge u. Ä. in den Unterkünften für Geflüchtete in fehlerhaftem Arabisch geschrieben werden. Dies führt zu Verunsicherung bei den Betroffenen und kostet den zuständigen Dienststellen Zeit. Es ist daher sinnvoll, Texte in korrektem Hocharabisch zu formulieren – einen Mangel an professionellen Übersetzer/-innen dürfte es in Berlin nicht geben.

Richard Schneider