Haben Sie gewusst, dass die Eltern von Plácido Domingo Dolmetscher waren? Wir auch nicht. In einem großen Interview mit der Bild-Zeitung aus Anlass seines 80. Geburtstages hat der Maestro dieses Detail aus seiner Biografie nun selbst bekannt gegeben.
Auf die Frage „Gibt es noch etwas, das Sie erreichen möchten?“ antwortet der weltberühmte Tenor und Bariton, Dirigent und Intendant:
Ich würde gerne andere Baritonrollen aus dem Verdi-Repertoire und auch aus der Zarzuela, der Musik, mit der ich aufgewachsen bin, weil meine Eltern Dolmetscher waren, in Angriff nehmen.
Hier ein Bildschirmfoto der Passage:
Diese Enthüllung des Boulevardblatts ist sensationell. Denn der bisherige Stand der musikwissenschaftlichen Forschung war, dass Vater und Mutter Zarzuela-Interpreten waren, also Darsteller in einer typisch spanischen Gattung des Musiktheaters.
Oder hat hier der Verfasser des Artikels im hektischen Alltag des Zeitungsgeschäfts einfach die erstbeste Bedeutung des englischen Ausdrucks interpreters bzw. des spanischen intérpretes gewählt? Manchmal sind damit aber nicht Dolmetscher, sondern – wie auch der Kontext hier nahelegt – Interpreten gemeint.
Interessant: Domingo wurde von Covid unter Vertrag genommen
In demselben Artikel erfahren wir außerdem, dass der Maestro schon im März 2020 einen Vertrag mit dem Coronavirus abgeschlossen hat. Kein Witz! Er sagt es selbst:
Ich wurde von Covid im März zu Beginn der Pandemie unter Vertrag genommen.
Könnte es sein, dass es im vermutlich auf Englisch geführten Gespräch hieß: „In March, I contracted Covid“? Das hätte dann aber überhaupt nichts mit irgendwelchen vertraglichen Regelungen zu tun, sondern hieße übersetzt schlicht und einfach: „Ich bin im März an Covid erkrankt“ oder „habe mir Covid zugezogen/eingefangen“.
Wahrscheinlich mit Google Translate übersetzt
Der Übersetzungsfehler „Vertrag mit Covid“ lässt sich mit Google Translate leicht reproduzieren: „In March, I contracted Covid“ wird dort übersetzt mit „Im März habe ich Covid unter Vertrag genommen“.
Die deutsche Konkurrenz von DeepL hingegen erkennt den Kontext und übersetzt korrekt mit „Im März habe ich mir Covid zugezogen“.
Laienübersetzungen im Journalismus – Ein ständiges Ärgernis
Solche krassen Übersetzungsfehler kennt man aus Erstsemesterklausuren. Aber auch im Journalismus sind sie an der Tagesordnung. In der Regel klingt es holprig und unbeholfen, wenn Journalisten sich mit ihrem Schulenglisch als Übersetzer versuchen (müssen).
Als Hilfsmittel werden in der Redaktion herumliegende Touristenwörterbücher und maschinelle Übersetzungen herangezogen. Es fehlt aber die Sprach- und Fachkenntnis, deren Übersetzungsvorschläge beurteilen, einordnen und ggf. verwerfen zu können.
Oft lässt sich beobachten, dass die Medien nach anfänglichen Fehlversuchen im Verlauf von einigen Tagen letztendlich doch noch die treffende Übersetzung für ihnen bislang unbekannte fremdsprachige Begriffe finden.
Meist sind derartige Schnitzer einfach nur zum Lachen. Gefährlich wird es aber dann, wenn – so wie hier – Falschaussagen verbreitet werden. Denn Zeitungsartikel werden von Historikern gerne als Quelle und Beleg genutzt.
Einen kurzen Moment lang war ich versucht, diese Geschichte weiterzuspinnen und Plácido Domingos Wikipedia-Eintrag unter Berufung auf die größte deutsche Tageszeitung um die Dolmetsch-Vergangenheit seiner Eltern zu ergänzen …
Weiterführender Link
- 2021-01-21: Opern-Star Plácido Domingo – „Meine Frau hat alles zusammengehalten“
(Interview in der Bild-Zeitung. Erstmals veröffentlicht am 21.01.2021, dem 80. Geburtstag des Gesprächspartners. Der Text wurde danach offenbar mehrfach aktualisiert, aber nicht korrigiert.)
Richard Schneider