Der Literaturübersetzerverband VdÜ und der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS in ver.di) wehren sich in der Interessenvereinigung Netzwerk Autorenrechte (NAR) gegen eine überhastete und unüberlegte Aufnahme einer Regelung zur E-Book-Ausleihe in das Urheberrechtsgesetz, für die sich der Deutsche Bundesrat ausgesprochen hat. Das NAR vertritt 14 Verbände, denen 15.500 Urheber angehören. Unterstützt werden die Proteste vom Börsenverein des deutschen Buchhandels.
Bundesrat will Verlage zwingen, Büchereien auch Neuerscheinungen umgehend als E-Book zur Verfügung zu stellen
Wenige Wochen vor Ende des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform in Deutschland hatte der Bundesrat vorgeschlagen, eine mit dem Reformprojekt in keinem Zusammenhang stehende Regelung zur E-Book-Ausleihe ins Gesetz als „§ 42b Digitale Leihe“aufzunehmen.
Der Vorschlag sieht eine Zwangslizenz vor, d. h. Verlage wären gesetzlich verpflichtet, Bibliotheken jedes – auch neu erschienene – E-Book für den Verleih zur Verfügung stellen. Der Paragraf soll lauten:
Ist ein Schriftwerk mit Zustimmung des Rechteinhabers als digitale Publikation (E-Book) erschienen und als solche erhältlich, so ist der Verleger dazu verpflichtet, nicht kommerziell tätigen Bibliotheken ein Nutzungsrecht zu angemessenen Bedingungen einzuräumen. Zu den angemessenen Bedingungen zählt insbesondere, dass den Bibliotheken das Recht eingeräumt wird, jeweils ein Vervielfältigungsstück des Werks digital für begrenzte Zeit jeweils einer Person zugänglich zu machen.
„Völlig falsch – Massiver Eingriff in Rechte der Urheber und Verlage“
Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, kommentiert:
Wir halten es für völlig falsch, in den letzten Zügen eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens überstürzt und ohne Not ein so komplexes Thema wie die E-Book-Ausleihe aufzunehmen. In dieser kurzen Zeit ist es nicht möglich, das Thema angemessenen zu behandeln und zu prüfen.
Die vom Bundesrat vorgeschlagene Zwangslizenz wäre ein massiver Eingriff in die Rechte der Urheber und Verlage. Kommerzielle E-Book-Angebote des Buchhandels und der Verlage wären gegenüber einer so entstehenden steuersubventionierten E-Book-Flatrate schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig.
Bisheriges System Onleihe funktioniert zur Zufriedenheit aller
Das in den Büchereien etablierte E-Book-Leihsystem „Onleihe“, das auf freiwilligen Lizenzvereinbarungen mit derzeit ca. 7.200 Verlagen basiert, funktioniere einwandfrei, so der Börsenverein. Es bestehe überhaupt kein Bedarf für eine Neuregelung. Lesern stünden jetzt bereits mehr als eine halbe Million E-Book-Titel zur Verfügung, die allein im Jahr 2020 über 30 Millionen Mal genutzt worden seien.
Auch große Onleihe-Verbünde schöpften dabei das vorhandene Titelangebot nur zu etwa 10 Prozent aus. Von den verfügbaren über 500.000 E-Book-Titeln hatten im Jahr 2020 beispielsweise die Onleihe München lediglich 35.000, der Verbund Berlin 40.000 und Hamburg 55.000 Werke lizenziert.
Verzögerte Bereitstellung von E-Book für Urheber wirtschaftlich wichtig
Die Möglichkeit, manche E-Book-Neuerscheinungen mit einigen Monaten Verzögerung für die Ausleihe in Bibliotheken bereitzustellen, sei für Verlage und Autoren von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Denn in den ersten Monaten nach der Veröffentlichung sei die Nachfrage nach einem Titel am größten – im Buchhandel wie bei der Onleihe.
Würde diese Möglichkeit wegfallen, befürchten Verlage, Autoren und Buchhandel hohe Umsatzausfälle. Denn immer weniger Leser würden dann noch E-Books kaufen. Sie würden sie stattdessen ausleihen – kostenlos und ohne Qualitätseinbußen.
Schon jetzt decke dieses so genannte E-Lending in Deutschland etwa 40 Prozent des Konsums von E-Books ab, während 60 Prozent auf Verkäufe entfalle. Das E-Lending erzeuge jedoch nur ca. 5 Prozent des Umsatzes, den Autoren und Verlage mit E-Books erzielen könnten. Zu 95 Prozent kämen ihre Erlöse über die Verkäufe im Online-Handel.
VdÜ und VS: „Bedroht unsere Existenz“
VdÜ und VS erklären in einer gemeinsamen Stellungnahme:
Dass die Länder über den Bundesrat gerade jetzt eine gesetzliche Lizenz für den Verleih von E-Books durch die öffentlichen Bibliotheken vorschlagen, bedroht unsere Existenz. Autorinnen, Autoren und Verlage sollen in ihren Rechten beschnitten werden, um damit zur Finanzierung der kommunalen Angebote beizutragen.
Es ist Sache der Kultusministerkonferenz (KMK), die Bibliotheken in Deutschland mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten, damit diese ihren Bildungsauftrag auch erfüllen können.
Sich hier mit einer Veränderung der Gesetzeslage in Form einer Beschränkung der Rechte von Autorinnen, Autoren und Verlagen um eine Erhöhung dieses Budgets zu drücken, kommt einem Missbrauch der Gesetzgebung gleich und heißt Sparen am falschen Ende – zu Lasten der Urheberinnen und Urheber, die nun wirklich sämtlichen Verhandlungspartnerinnen/-partnern gegenüber strukturell unterlegen sind.
Die Verhandlungspositionen durch einen Zwang zur Einigung zu Gunsten der Bibliotheken zu verändern, gefährdet den wachsenden Markt mit E-Books und damit das wirtschaftliche Schreiben und Verlegen von Büchern.
Besonders betonen möchten wir, dass bisher keine Gespräche mit den Beteiligten stattgefunden haben, die der Komplexität der Materie oder der Fülle an widerstreitenden Interessen auch nur ansatzweise angemessen wären.
Zwangslizenz für digitale Leihe kannibalisiert Buchhandel
Auch Unternehmen des Buchhandels haben die Forderung, künftig sämtliche E-Book-Titel für die Ausleihe durch öffentliche Bibliotheken ab dem Moment ihres Erscheinens kostenfrei überregional bereitzustellen, als „Frontalangriff auf unser Geschäftsmodell“ bezeichnet.
Der Börsenverein und sechs weitere Verbände wie die Deutsche Fachpresse oder die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger befürchten, dass durch ein solches Angebot der Buchhandel perspektivisch als Grundversorger eliminiert wird. Sämtliche Marktzahlen verdeutlichten, dass die öffentlichen Bibliotheken das E-Book heute schon überproportional in ihrem Angebot gewichten und im freien Markt mit dem Buchhandel konkurrieren, um diesen massiv zu kannibalisieren.
Die Bibliotheken würden ihr Angebot an physischen Büchern wegen begrenzter Budgets zurückfahren. In der digitalen Welt sei das Leih-Angebot der Bibliothek nur einen Mausklick entfernt und stehe im direkten Wettbewerb zum kommerziellen Angebot der Buchhändler. Login, Titelsuche, Erwerb und Konsum funktionierten bei den öffentlichen Leihportalen vergleichbar. Dabei konkurrierten die Öffentlichen Bibliotheken gerade um die Kunden, auf die der Buchhandel unverzichtbar angewiesen ist.
Bereits heute sei durch die Onleihe eine Kannibalisierung des E-Book-Geschäfts mit Endkunden feststellbar. Dieser Effekt werde sich massiv verstärken und auf das physische Buch ausweiten, sofern Verlage dazu gezwungen würden, ihre gesamte Frontlist (Neuerscheinungen und Toptitel wie die Spiegel-Bestseller) zeitgleich zu deren Verkaufsstart auch in der Onleihe-Flatrate frei zugänglich zu machen und damit quasi zu verschenken. Kommerzielle E-Book-Angebote seien dann schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähig im Vergleich zu einer für die Unternehmen am freien Markt ruinösen „steuersubventionierten E-Book-Flatrate“.
Dadurch würden nicht nur die Autoren und Verlage leiden, weil die Ausschüttungen aus den verhältnismäßig günstigen Verleihlizenzen deutlich geringer ausfielen als die wegfallenden Verkaufserlöse. Letztendlich werde sich dies auch negativ auf die Buchvielfalt auswirken, so die Organisationen in einer gemeinsamen Stellungnahme.
rs