Übersetzer hatten in der Frühen Neuzeit weitreichende Funktionen, die über den Wissenstransfer weit hinausgingen. Die Entstehung der modernen Naturwissenschaften geht in Europa mit der Bildung nationaler Wissenschaftskulturen einher, die mit staatlicher Unterstützung verstärkt auf die Landessprachen setzen.
Die auf Latein publizierende Gelehrtenrepublik löst sich so zunehmend auf und es entwickelt sich eine der wichtigsten Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit: die moderne Fachübersetzung.
Am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in Germersheim befasst sich seit 2019 das von Prof. Dr. Andreas Gipper geleitete Projekt „Wissenschaftsübersetzungen in Frankreich im klassischen Zeitalter“ mit dieser Entwicklung. Es wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell gefördert.
Verkehrs- und Wissenschaftssprache war damals Französisch
Der Fokus liegt dabei auf Übersetzungen ins Französische, dem im 17./18. Jahrhundert die Rolle einer Verkehrssprache in Europa zukommt. Ähnlich wie heute das Englische garantierte das Französische zu jener Zeit die größtmögliche Sichtbarkeit von Publikationen innerhalb der Scientific Community.
Konkret untersucht das Projekt Übersetzungen von Schriften zu Medizin, Mathematik, Physik, Naturgeschichte, Land- und Forstwirtschaft, Mineralogie, Bergbau und Chemie. In einer ersten Phase wurden Übersetzungen in Buchform aus dem Italienischen und Deutschen erfasst. Gegenwärtig werden Übersetzungen in Zeitschriften sowie aus dem Englischen ergänzt, womit für die Herausbildung der modernen Naturwissenschaften zentrale Ausgangssprachen berücksichtigt sind.
Übersetzungen waren Bestandteil wissenschaftlicher Kommunikation
Neben einem präzisen Blick auf Übersetzungskonjunkturen aus einzelnen Sprachen und innerhalb einzelner Disziplinen liefert die so entstehende Datenbank auch Informationen zu Vorworten und Fußnoten, die den Übersetzungen standardmäßig beigegeben wurden.
In diesen zeigt sich, dass Übersetzungen nicht nur dem reinen Wissenstransfer dienten, sondern wichtiger Bestandteil wissenschaftlicher Kommunikation waren. So fand die Debatte zwischen Lavoisier und dem irischen Chemiker Kirwan als Anhänger der Phlogistontheorie innerhalb von Übersetzungen statt, in denen die Forscher durch massive Kommentierungen die jeweils andere Position zu widerlegen suchten.
Gleichzeitig konnten Übersetzer qua Übersetzung auch gezielt solche Positionen in den wissenschaftlichen Diskurs einbringen, die sie selbst unterstützen wollten. Erstaunlich häufig traten außerdem nationale Argumentationsmuster auf, die die eigene wissenschaftliche Community gegen die Konkurrenz aus dem Ausland profilierten.
Übersetzungen hatten auch eine qualitätssichernde Funktion
Als aus heutiger Sicht hochaktuell erweist sich die qualitätssichernde Funktion, die Übersetzungen zukam. Denn zu einer guten Übersetzung gehörte die Kontrolle der in den Ausgangstexten geschilderten Versuche.
Diese Anforderung erklärt, warum wissenschaftliche Übersetzungen von Fachleuten vorgenommen werden mussten. Die im Projekt ermittelten Daten zu den Übersetzern, ihren Sprachbiographien und beruflichen Werdegängen bieten insofern eine wesentliche Ergänzung zu bestehenden Forschungen, die sich nahezu ausnahmslos auf Übersetzer literarischer Texte beschränken.
Übersetzervorworte werden in Textdatenbank übernommen
Zur Nachnutzung der Daten durch andere Forschende richtet das Projekt eine Datenbank ein, die unter anderem die Übersetzervorworte in durchsuchbarer Form enthalten wird.
Im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 2130 „Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit“ kooperieren Andreas Gipper, die Projektmitarbeiterin Dr. Caroline Mannweiler und der Projektmitarbeiter Dr. Diego Stefanelli mit 16 Forschungsteams in ganz Deutschland, darunter einem weiteren in Germersheim angesiedelten Projekt zu „Kolonialen Translationspraktiken an der Peripherie Neu-Spaniens“.
Dr. Caroline Mannweiler / FTSK