Valentin Bereschkow: Ich war Stalins Dolmetscher – Hinter den Kulissen der politischen Weltbühne

Valentin Bereschkow: "Ich war Stalins Dolmetscher"
Bild: Richard Schneider

Als Deutsch- und Englisch-Dolmetscher Stalins und Molotows und Mitarbeiter des sowjetischen Außenministeriums erhielt Valentin Michailowitsch Bereschkow (Валентин Михайлович Бережков, 1916-1998) einen tiefen Einblick in das Machtgefüge der Sowjetunion und in den Charakter der Akteure.

Seine 1991 in Russland und Deutschland erschienenen Lebenserinnerungen Ich war Stalins Dolmetscher – Hinter den Kulissen der politischen Weltbühne (Как я стал переводчиком Сталина) ist ein zeithistorisches Dokument, über das der heute nicht mehr existierende Münchner Universitas Verlag im Klappentext schreibt:

Dies ist der Lebensbericht eines Mannes, der zu den wenigen Überlebenden aus dem innersten Zierkel um Stalin gehörte, der eine Zeitlang fast täglich persönlichen Umgang mit dem Diktator hatte. Zentrales Thema ist die Zeit des Zweiten Weltkrieges, während der Bereschkow Stalins und Molotows Dolmetscher war. Als Dolmetscher für Deutsch und Englisch kam er aber nicht nur mit den Großen des Dritten Reiches in Berührung, sondern etwa auch mit Churchill und Eden.

Im November 1940 begleitete Bereschkow Molotow nach Berlin, wo Gespräche mit Hitler und Ribbentrop stattfanden. Kurz danach wurde er erster Sekretär an der sowjetischen Botschaft. Zusammen mit Botschafter V. Dekanosow nahm er am frühen Morgen des 22. Juni 1941 in der Wilhelmstraße die deutsche Kriegserklärung entgegen.

Valentin Bereschkow wurde 1916 in St. Petersburg geboren. Er schildert die Erlebnisse seiner Familie während des Bürgerkrieges und die Erfahrungen nach der Zwangskollektivierung, die insbesondere für die Ukraine und deren Hauptstadt Kiew, in die sich die Familie geflüchtet hatte, unvorstellbares Elend brachte.

Nach Abschluss des Universitätsstudiums in Kiew begann Bereschkow seine Militärzeit in Wladiwostok bei der Pazifikflotte, deren Befehlshaber, Flottenadmiral N. Kuznetzow (später Marineminister), ihm den Zugang zum Kreml verschaffte.

Schon bald befand sich Bereschkow mitten im sowjetischen Machtzentrum. Er war bei den Verhandlungen Stalins mit Hitler, mit Italien und Japan dabei. Er war bei der Annexion der baltischen Staaten, der Westukraine und Belorusslands engagiert sowie im russisch-finnischen Krieg. Auch in Jalta war er dabei.

Stalin schildert Bereschkow als einen Menschen, der bei allen negativen Eigenschaften über die Fähigkeit verfügte, seine Gesprächspartner zu bezaubern. Er wird als großer Schauspieler geschildert, der den Eindruck eines reizenden, bescheidenen, sogar einfachen Menschen erwecken konnte.

Nach dem Krieg endete Bereschkows Karriere im Außenministerium. Von Geheimdienstchef Beria denunziert, war es nur einer der seltenen Fürsprachen Molotows zu verdanken, dass er nicht verfolgt wurde, sondern eine journalistische Karriere beginnen konnte.

Bereschkow besuchte in Kiew eine deutsche Schule

Seine nahezu muttersprachlichen Deutschkenntnisse erwarb Bereschkow bereits als Schüler in Kiew. Er schreibt:

Die Eltern wollten, daß ich weiter Fremdsprachen lernte. Hier in der Nachbarschaft gab es aber Wohnviertel, in denen seit langem Kiewer deutschen Ursprungs lebten. Durch die Kolonie der Deutschen führte die Lutherstraße (die später in Engelsstraße umbenannt wurde). Dort befand sich eine Siebenklassenschule, in der alle Fächer in Deutsch unterrichtet wurden, wogegen Russisch und Ukrainisch als Fremdsprachen angesehen wurden.

Neben der Schule befand sich eine evangelisch-lutherische Kirche, deren Organist Herr Ulpe, ein älterer gebildeter Deutscher, war. Er erklärte sich dazu bereit, mein Repetitor zu werden. Obwohl ich mich schon ziemlich gewandt in Deutsch auszudrücken verstand, reichten meine Deutschkenntnisse für die dritte Klasse der Spezialschule nicht aus. Zwei Monate lang vor dem Schulanfang und danach während des ganzen ersten Semesters ging ich regelmäßig zum Ehepaar Ulpe, wo mich die eigenartige Atmosphäre einer patriarchalischen deutschen Familie umgab. […]

Die Strenge und die unerbittliche Bestrafung [in der Schule] hatten auch eine positive Seite. Die Schüler erwarben gute Kenntnisse und prägten sie sich gründlich ein. Vieles von dem, was man uns damals gelehrt hat, habe ich bis heute im Gedächtnis behalten und kann ganze Seiten Text auswendig hersagen. Und die deutsche Sprache lernte ich so, daß sie zu meiner zweiten Muttersprache wurde und ich sie für mein ganzes Leben nicht vergessen habe.

Hitler ist von Bereschkows Deutschkenntnissen verblüfft

Sein fließendes Deutsch sorgt bei Gesprächspartnern immer wieder für Erstaunen. Im Buch schildert Bereschkow die erste Begegnung mit Adolf Hitler am 12. November 1940:

In der Reichskanzlei machte mir der „Führer“ ein eigenartiges Kompliment. Als ich Molotows Worte zu dolmetschen begann, mit denen er seine Freude über das Zusammentreffen mit dem Reichskanzler zum Ausdruck brachte, blickte mich Hitler, anscheinend wegen meines Berliner Akzents überrascht, aufmerksam an und fragte plötzlich:
„Was sind Sie, ein Deutscher?“
„Nein“, antwortete ich und beeilte mich, Molotow zu informieren, worum es ging. Ich nahm an, dass beide Politiker das Gespräch fortsetzen würden, aber der „Führer“ ließ nicht locker:
„Sind Sie ein Volksdeutscher?“
„Nein, ich bin Russe.“
„Unmöglich“, sagte Hitler verwundert. Er wandte sich dann Molotow zu und lud ihn ein, an einem niedrigen runden Tisch, wo ein Sofa und ein Sessel standen, Platz zu nehmen …

Stalin, der „Führer der Völker“, verlangt nach Bereschkow

Valentin Bereschkow beschreibt auch, wie er 1941 zum Dolmetscher Josef Stalins berufen wurde:

Später erzählte [Botschafter] Harriman gern folgende Anekdote: Die Unterredung wurde zunächst auf sowjetischer Seite von Pawlow und auf amerikanischer von Charles Bohlen, dem dritten Botschaftssekretär der USA in der UdSSR, gedolmetscht. Pawlow hatte zu einem bestimmten Zeitpunkt gewisse Schwierigkeiten mit der Übersetzung, und Bohlen mußte ihm zur Hilfe kommen.

Das gefiel Stalin nicht, und er wandte sich mit der Frage an Molotow: „Weshalb verbessert ein Amerikaner meinen Dolmetscher? Das gehört sich nicht. Wo ist denn der junge Mann, der bei den Gesprächen mit Hitler übersetzt hat? Er soll kommen und uns helfen.“
„Aber er hat doch aus dem Deutschen übersetzt …“
„Das macht nichts. Wenn ich es ihm sage, wird er auch aus dem Englischen übersetzen …“
So geriet ich – der Anekdote zufolge – vor das lichte Antlitz des „Gebieters“ und wurde sein persönlicher Dolmetscher.

Seine eigene Dolmetschtätigkeit und die seines Kollegen Wladimir Nikolajewitsch Pawlow (1915-1993) für den damaligen Generalsekretär des ZK der KPdSU, Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare (Regierungschef) und Obersten Befehlshaber der Roten Armee charakterisiert Bereschkow wie folgt:

Mir gegenüber verhielt sich Stalin stets ausgewogen und mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Bisweilen schien es mir, als blicke er durch mich hindurch, so etwa wie durch ein im Zimmer befindliches Möbelstück.

Doch wie sich bald herausstellte, wählte er selbst jedes Mal den Übersetzer aus. Mitunter wurde Pawlow zu den Gesprächen mit den Amerikanern hinzugezogen und ich zu den Gesprächen mit den Engländern, obwohl die USA in meinen Kompetenzbereich fielen und umgekehrt. Es kam aber auch vor, daß einige Wochen hintereinander nur einer von uns beiden eingesetzt wurde, unabhängig davon, mit wem die Unterredung geführt wurde.

Beide waren wir in einem derartigen Fall verunsichert, nervös und rätselten, wodurch wir das Mißtrauen des „Herrn“ erregt und seine Unzufriedenheit hervorgerufen haben konnten. Doch bald kam wieder alles ins Lot. Erklärungen wurden uns nicht gegeben, und wir wagten natürlich auch nicht, danach zu fragen.

Vielleicht spielte man mit uns ein kleines Spielchen, um uns ständig in Anspannung und in den Zustand einer „gesunden Konkurrenz“ zu versetzen.

Später entsteht ein vertrauteres Verhältnis. Vor dem ersten Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt erkundigt sich Stalin aufmerksam nach dem Befinden seines Dolmetschers:

Er […] kniff die Augen zusammen, blickte mich prüfend an und fragte: „Sind Sie nicht müde von der Reise? Sind Sie überhaupt in der Lage zu übersetzen? Es wird eine wichtige Unterredung werden.“

Eine der großen Dolmetscherbiografien

Valentin M. Bereschkows Erinnerungen gehören zu den großen Dolmetscherbiografien, die vor allem für Historiker von unschätzbarem Wert sind. Im Mittelpunkt stehen seine Erlebnisse als Zeitzeuge weltgeschichtlich bedeutsamer Ereignisse.

Aber auch für Dolmetscher und Übersetzer sind sein Werdegang, die Schilderungen des Arbeitsalltags sowie sein Blick als Freund der deutschen Sprache auf Deutschland eine spannende Lektüre.

Bibliografische Angaben

  • Valentin M. Bereschkow (1991): Ich war Stalins Dolmetscher – Hinter den Kulissen der politischen Weltbühne. München: Universitas (in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH). Übersetzung aus dem Russischen von Kurt Baudisch, Vera Stutz-Bischitzky und Yvonne Thiele.
    518 Seiten, ISBN 3-8004-1228-4. Die Auflage ist vergriffen, das Buch ist jedoch antiquarisch über Portale wie ZVAB.com problemlos zum Preis von 10 bis 20 Euro bestellbar.

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Richard Schneider