Welche Rolle spielen Übersetzungen heute in Kultur, Politik und Gesellschaft? Und wie haben sie sich historisch entwickelt? Diesen Fragen geht ein DFG-Schwerpunktprogramm nach, das nun an der Uni Würzburg beheimatet ist.
Sei es Migration, Flucht oder die Corona-Pandemie: Die weltweite Kommunikation und damit das globale Zusammenleben ist in unserer Zeit schon fast eine Selbstverständlichkeit. Doch dafür bedarf es der Übersetzung. Schließlich wird kaum ein Würzburger die tagesaktuelle Corona-Statistik aus Peking, Neu-Delhi oder Rom ohne Not selbst verstehen können.
DFG-Schwerpunktprogramm zur Übersetzung im historischen Kontext
Ein Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) befasst sich mit der Übersetzungsthematik im historischen Kontext – und ist nun im Sommer von der TU Braunschweig an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) umgezogen.
Regina Toepfer ist seit Juni 2021 Professorin und Lehrstuhlinhaberin für deutsche Philologie (Ältere Abteilung) an der JMU. Sie ist Sprecherin des DFG-Schwerpunktprogramms 2130 „Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit“ und mit ihrem Wechsel von Braunschweig zur JMU zog auch das Programm nach Würzburg um.
Startschuss für das Programm war der 1. Oktober 2018. Interdisziplinär untersucht werden unterschiedliche Praktiken, Konzepte und Methoden des Übersetzens – mit dem Fokus auf die frühe Neuzeit zwischen 1450 und 1800. In wenigen Wochen startet die zweite und letzte Förderphase bis 2024.
Exponentieller Anstieg der Übersetzungstätigkeiten ab Mitte des 15. Jahrhunderts
Toepfer spricht von einem exponentiellen Anstieg der Übersetzungstätigkeiten ab der Mitte des 15. Jahrhunderts. Humanismus, Buchdruck, die Entdeckung der neuen Welt und frühe Formen des Kolonialismus waren Treiber der Übersetzungstätigkeit: „Unsere These ist, dass Übersetzungen in der frühen Neuzeit von so zentraler Bedeutung sind, dass man sogar sagen kann, dass sie die gesamte Epoche konstituieren.“
„Übersetzungen sagen viel über diejenigen aus, die übersetzen“
Übersetzen ist in dem Programm deutlich weiter gefasst, als nur einen Text von der Ausgangsprache in eine Zielsprache zu überführen. Es geht auch um die Übersetzung verschiedener Medien, von Architektur oder kultureller Riten.
„Wir stellen uns auch die Fragen: Was sind die Voraussetzungen dafür, dass sich heute so viele Menschen trotz sprachlicher und kultureller Unterschiede miteinander verständigen können? Wie hat sich das historisch entwickelt?“, sagt Annkathrin Koppers, koordinierende Mitarbeiterin des Programms. Übersetzung bedeuten auch nicht, dass man direkt mit der Quelle spricht – sondern stets mit einem Mittler.
„Es geht darum, die Sensibilität für dieses Thema zu entfalten“, so Koppers. „Übersetzungen sagen viel mehr über diejenigen aus, die übersetzen, als über diejenigen, die übersetzt werden.“
Drei Sektionen und 17 Teilprojekte
Das Programm gliedert sich in drei Sektionen und 17 Teilprojekte:
- Zeichensysteme und mediale Transformationen (Professor Jörg Wesche, Universität Göttingen)
- Anthropologie und Wissen (Professorin Regina Toepfer, JMU)
- Kulturelle Zugehörigkeit und Gesellschaft (Professor Peter Burschel, Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel)
So werden zum Beispiel in Sektion 1 „Lehnstuhlgeographen“ untersucht, die mit Briefen und Notizen Karten der neuen Welt angefertigt haben – ohne jemals ihr Land verlassen zu haben. Toepfer untersucht in einem Teilprojekt der Sektion 2 deutschsprachige Antikenübersetzungen des 16. Jahrhunderts – unter anderem von Ovid und Homer.
„Bei Ovid gibt es viele Geschichten, die waren aus frühneuzeitlicher Sicht skandalös: Ehebruch, Inzest, Sex zwischen Göttern und Menschen. Daher wurden sie beim Übersetzen an die bürgerlichen Werte und Moralvorstellungen angepasst. Auf welche Weise das geschehen ist und welchen Einfluss Übersetzer nahmen, sind für uns wichtige Fragen“, erklärt Toepfer.
In Sektion 3 wird beispielsweise in einem Teilprojekt die Übersetzungstätigkeit von Salomon Negri, einem syrischen Christen, als Mittler zwischen Europa und der arabischen Welt analysiert.
Jahreskonferenz und virtuelle Ausstellung
Vom 15. bis zum 18. September 2021 findet in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel die diesjährige Jahreskonferenz des Schwerpunktprogramms statt, an der mehrere internationale Mercator Fellows teilnehmen.
Die wissenschaftliche Konferenz ist auch für die Öffentlichkeit online zugänglich. Das aktuelle Thema lautet „Ambiguität und Subversion“. Es geht also um Widersprüche und Gegenläufigkeiten in den Übersetzungskulturen.
Höhepunkt der Konferenz ist die Eröffnung der virtuellen Ausstellung „Übersetzen ist Macht: Geheimnisse, Geschenke, Geschichten in der frühen Neuzeit“, die spannende Einblicke in die Forschung bietet. So werden Filme, Bilder, Karten und Drucke gezeigt, bei denen Übersetzungen Geheimnisse enthüllen und etwas Neues zugänglich machen; die als Geschenke eingesetzt werden, um Kontakte zu knüpfen; oder die Lebensgeschichten von historischen Übersetzerinnen und Übersetzer erzählen, die als Grenzgänger zwischen alter und neuer Welt unterwegs waren.
Weiterführender Link
- Mehr zum Schwerpunktprogramm „Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit“, zur anstehenden Jahrestagung und virtuellen Ausstellung gibt es online unter www.spp2130.de.
Gunnar Bartsch / Universität Würzburg