Universität Neuchâtel: Forschungsprojekt zur Telefonüberwachung mit Sprachmittlern

Telefon
Bild: Alexas Fotos / Pixabay

„Die Überwachung von Kommunikation in Echtzeit ist in bestimmten Fällen technisch möglich, rechtlich erlaubt und kann helfen, Straftaten zu verhindern bzw. aufzuklären. Aber sie kann auch scheitern, wenn der Inhalt nicht verstanden wird. Die Abhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden von Sprachmittlern ist in diesem Bereich enorm und dennoch ein wenig erforschter Teilbereich von Strafverfahren“, heißt es im Magazin SKP INFO der interkantonalen Fachstelle „Schweizerische Kriminalprävention“ (SKP).

Die Professorin Dr. iur. Nadja Capus stellt dort in einem Beitrag erste Ergebnisse eines dreijährigen Forschungsprojekts an der Université de Neuchâtel (Neuenburg) vor. Dieses befasst sich eingehend mit der – wie es in der Schweiz heißt – „geheimen Kommunikationsüberwachung“, die in Deutschland meist als Telefonüberwachung (TÜ) oder Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) bezeichnet wird.

Mehrere Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften verschiedener Kantone haben den Forschern Akteneinsicht gewährt, nicht aber die Bundesanwaltschaft. Capus schreibt:

Was passiert, wenn die Nachrichten in einer für die zuständige Strafverfolgungsbehörde fremden Sprache ausgetauscht werden? […] [Die Schwierigkeit, den Inhalt zu verstehen,] ist noch grösser, wenn es nicht um abgespeicherte Textnachrichten geht, sondern um mündliche Gespräche. Der erste und wichtigste Überwacher ist dann jeweils ein/e Dolmetscher/in oder, wie wir diese Berufsgruppe bezeichnen: ein/e Sprachmittler/in. Wie sehr die Strafverfolgungsbehörden von diesen Personen abhängig sind, wird meist viel zu wenig beachtet.

Die Folgen einer geheimen Kommunikationsüberwachung können fatal sein, wenn es zu wenig Sprachmittler/innen hat, wenn sie schlecht oder gar nicht ausgebildet und/oder ungenügend instruiert sind; wenn Zeit verloren geht, weil als falsch monierte Übersetzungen von einer anderen Person überprüft werden müssen; wenn Fehler passieren, die dazu führen, dass die überwachten, gespeicherten und übersetzten Sequenzen nicht als Beweismittel verwendet werden können. […]

Die aus mangelhaften Sprachmittlungseinsätzen resultierenden Probleme können Kosten verursachen, zum Verlust von Beweisen führen, be- oder entlastendes Material abschwächen und damit zum Scheitern von Strafverfahren beitragen oder Verzögerungen verursachen, die das Verjährungsrisiko erhöhen. […]

Hervorzuheben ist, dass die Sprachmittler an einem heiklen Schnittpunkt zwischen Sachverhaltserhebung und Rechtsinterpretation handeln, weshalb informelle Kooperationsformen rasch erhebliche Bedeutung erlangen können. Die Rollenzuteilung von Seiten der Behörden, die Eigeneinschätzung der Sprachmittler/innen sowie die Art und Weise der Instruktion betreffend Fall und Arbeitsweise divergieren allerdings nach unseren noch nicht beendeten Erhebungen erheblich. […]

Die hohe Spontaneität des Arbeitsauftrages erfordert von Sprachmittler/innen neben der hybriden Transfertätigkeit zudem hohe Antizipationsfähigkeit und fachliches Hintergrundwissen. Angesichts dieser Vielfalt erstaunt die allgemeine (und vom Bundesgericht gestützte) Annahme, dass bereits mit Zweisprachigkeit die notwendigen Kompetenzen für diese sehr spezielle und herausfordernde Tätigkeit abgedeckt werden könnten.

Unsere […] Aktenanalyse zeigt, dass die vom Bundesgericht aufgestellten Gültigkeitskriterien in der Praxis grösstenteils nicht erfüllt werden. So wird z. B. die Identität der Dolmetscher in den Akten nicht erwähnt, die Angaben zur verwendeten Übersetzungsmethode und die den Sprachmittlern erteilten Anweisungen tauchen in den analysierten Akten überhaupt nicht auf. […]

SKP InfoUnser transdisziplinäres Forschungsprojekt, das im November 2022 nach drei Jahren Laufzeit enden wird, hat zum Ziel, zur Schliessung der genannten Forschungslücken beizutragen und im Austausch mit Vertretern der Praxis Erkenntnisse zu erarbeiten, die der Polizei und Staatsanwaltschaft helfen, eine «good practice» bei der Auswahl und dem Einsatz von Sprachmittlern bei der geheimen Kommunikationsüberwachung zu entwickeln. Ziel ist es auch, den Gerichten eine Orientierung zu geben, welche Standards in Sachen Beweiserhebung und -verwertung anzustreben sind.

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Richard Schneider