Zur Frankfurter Buchmesse 2021 hat es wieder einmal Boykottaufrufe gegeben. Diesmal kritisierte eine Twitterin, dass ein Kleinstverlag vom rechten Rand einen Stand betreibt. Sie fühle sich davon bedroht. Die Buchmesse wurde aufgefordert, „rechte Verlage“ von der Veranstaltung auszuschließen.
Da die Messe dieser Aufforderung nicht nachkam, kündigte sie an, nicht zur Vorstellung ihres neuen Buches nach Frankfurt zu kommen. Darüber hinaus rief sie alle dazu auf, aus Protest der Buchmesse fernzubleiben.
Da die umstrittene Aktivistin mehr als 100.000 Twitter-Follower hat und in den Medien gut vernetzt ist, sah sich die Buchmesse genötigt, darauf zu reagieren:
Gemeinsames Statement von Frankfurter Buchmesse und Börsenverein des Deutschen Buchhandels zur Absage von Autor*innen
Wir bedauern, dass einzelne Autor*innen ihre Auftritte auf der Frankfurter Buchmesse 2021 abgesagt haben. Ihre Stimmen gegen Rassismus und ihr Eintreten für Diversität werden auf der Frankfurter Buchmesse fehlen.
Mit unserer eigenen Programmgestaltung und der unserer Partner setzen wir eindeutige Zeichen für eine vielfältige Gesellschaft und beziehen Position für einen toleranten und respektvollen Umgang miteinander. Damit grenzen wir uns von extremen Positionen deutlich ab. Die Frankfurter Buchmesse ist seit jeher ein Ort des Diskurses, an dem Fragen zu Menschenrechten, Rede- und Meinungsfreiheit oder zum Umgang mit Extremismus verhandelt werden.
Meinungs- und Publikationsfreiheit stehen für uns an erster Stelle. Sie sind die Grundlage dafür, dass der freie Austausch in unserer Demokratie und die Buchmesse überhaupt möglich sind. Die Frankfurter Buchmesse und der Börsenverein setzen sich weltweit für die Freiheit des Wortes und Publikationsfreiheit ein. Deshalb steht für uns auch fest, dass Verlage, die sich im Rahmen der Rechtsordnung bewegen, auf der Buchmesse ausstellen können, auch wenn wir ihre Ansichten nicht teilen.
Das Verbot von Verlagen oder Verlagserzeugnissen obliegt in unserem Rechtsstaat den Gerichten, und nicht einzelnen Akteur*innen wie der Frankfurter Buchmesse.
Die Sicherheit der Messe-Teilnehmer*innen hat für uns höchste Priorität. Der Messe liegt ein umfassendes Sicherheitskonzept zugrunde, das es allen ermöglicht, die Messe sicher zu besuchen.
Boykottaufruf hat das Gegenteil von dem bewirkt, was beabsichtigt war
Boykottaufrufe bewirken meist nichts und führen oft – wie auch in diesem Fall – zum Gegenteil des Beabsichtigten. Der unbedeutende Kleinstverlag, von dessen Existenz ohne die Aktion die breitere Öffentlichkeit nie erfahren hätte, hat sich für die unverhoffte Werbung ganz offen bedankt.
Der Inhaber ging zuvor noch davon aus, dass die Messebeteiligung für den finanziell klammen Verlag „ein Draufzahler werden würde“. Jetzt führt er gegenüber einem ihm zugeneigten Online-Medium aus:
Durch die ganze „Rassismus“-Aufregung sieht das nun alles anders aus. Für so viel Aufmerksamkeit zahlt man sonst mehrere Hunderttausend an Marketingbudget. Man wird sehen, ob sich das für uns auf die längere Sicht auszahlt. Fakt ist: Unsere „Gegner“ haben uns geholfen: Wir sind in aller Munde, dominieren die Gespräche auf der Messe und sind „Zuschauermagnet“.
Der Sicherheitsdienst habe sogar bemängelt, dass vor dem kleinen Stand zu viele Personen stünden, was nicht mit den Corona-Regelungen vereinbar sei. Die Messe habe dann verfügt, dass dort nur drei Interessenten gleichzeitig bedient werden dürfen.
Monika Grütters: Im Rahmen der Gesetze Spannungen aushalten
Ein Jahr zuvor hatte sich Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, bei der Eröffnung der digitalen Frankfurter Buchmesse 2020 in ähnlicher Weise wie jetzt die Buchmesse zu den rasant zunehmenden Forderungen der Cancel Culture geäußert, unliebsame Stimmen auszublenden:
Vielfalt ist mehr als der schmale Bereich der Abweichung in einem selbst definierten Radius um den eigenen Standpunkt. Vielfalt wertzuschätzen heißt, im Rahmen geltender Gesetze die Spannungen auszuhalten zwischen der Freiheit des Wortes, der Freiheit der Kunst einerseits und den damit möglicherweise verbundenen, persönlichen Kränkungen andererseits – im Bewusstsein, dass Kränkungen und Missverständnisse, Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten der Preis für die Freiheit der Kunst und die Freiheit des Wortes (und damit auch für eine demokratische Debattenkultur) sind.
Unter Druck gerate dabei auch die Literatur selbst:
Immer wieder allerdings gerät auch die Literatur, gerät auch die Kunst zwischen die Fronten, wo einzelne gesellschaftliche Gruppen mit kompromissloser Selbstgerechtigkeit um Deutungshoheit ringen und ihr Terrain für sakrosankt erklären. Mich beunruhigt das.
Denn die Freiheit des Wortes, die Freiheit der Kunst gerät in Gefahr, wenn aus politischen oder moralischen Gründen die Ächtung einzelner Künstlerinnen und Künstler und ihrer Werke gefordert wird, wenn Bücher gereinigt werden sollen von Begriffen, die – aus heutiger Sicht! – angeblich diskriminierend sind, wenn einzelne sich zu Richtern darüber aufschwingen, wer über welche Themen schreiben darf und wer nicht oder wenn Kunstwerke unter Verweis auf ihr Kränkungspotential aus dem öffentlichen Raum verbannt werden. […]
Eine Kunst, die sich festlegen ließe auf die Grenzen des politisch Wünschenswerten, eine Kunst, die das überall lauernde Risiko verletzter Gefühle scheute, die den Absolutheitsanspruch weltanschaulich begründeter Wahrheiten respektierte, die gar einer bestimmten Moral oder Weltanschauung diente – eine solchermaßen begrenzte oder domestizierte Kunst würde sich nicht nur ihrer Möglichkeiten, sondern auch ihres Wertes berauben.
Gerade das Buch eigne sich als Mittel gegen verengte Sichtweisen:
Lesen bewahrt deshalb vor der Enge des Denkens und Wahrnehmens und davor, die eigene Weltsicht für das Maß aller Dinge zu halten. Lesen schützt vor Dogmatismus und Fanatismus und damit vor jenen demokratiezersetzenden Giften, die der Spaltung und Zersplitterung pluralistischer Gesellschaften Vorschub leisten.
Richard Schneider