Bei genauem Hinhören weisen die Melodien von menschlichen Sprachen und von Tiervokalisationen viele Ähnlichkeiten auf. Ob gleiche Muster in diesen Tonfolgen von Menschen und Tieren auch ähnlich wahrgenommen werden, ist jedoch noch weitgehend ungeklärt.
Wissenschaftler der Universität Wien haben nun eine neue Methode vorgestellt, mit der sie die Bedeutung melodischer Muster in Tiervokalisationen entschlüsseln wollen: den Vergleich tierischer Lautäußerungen mit menschlichen Sprachen. Erste Erkenntnisse wurden im Fachjournal Philosophical Transactions of the Royal Society B veröffentlicht.
Variationen von Tonlänge und Tonhöhe ähneln sich
Hundebellen, Vogelzwitschern und menschliche Sprachen wirken beim ersten Hinhören sehr unterschiedlich. Wenn man diese Vokalisationen genauer analysiert, finden sich jedoch viele Gemeinsamkeiten.
So sind zum Beispiel fast alle menschlichen Sprachen und Vokalisationen von Landwirbeltieren durch Pausen sowie Variationen in der Tonlänge und Tonhöhe strukturiert. Nur die genauen Ausprägungen dieser Eigenschaften, etwa die Betonungsmuster einzelner Phrasen, unterscheiden sich zwischen den verschiedenen menschlichen Sprachen und Tiervokalisationen.
Theresa Matzinger und Tecumseh Fitch vom Institut für Anglistik und dem Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien nahmen die Melodien unterschiedlicher Sprachen und von Vokalisation von Landwirbeltieren in einem Review-Artikel genauer unter die Lupe.
Gemeinsamkeiten evolutionär bedingt
Die Gemeinsamkeiten zwischen den Melodien verschiedener Sprachen und der Lautproduktion von Tieren lässt sich durch die Evolution von Menschen und anderen Landwirbeltieren erklären, die über lange Zeit hinweg parallel verlief. Dadurch gleichen sich ihr Vokaltrakt und die Gehirnstrukturen, die für die Lauterzeugung verantwortlich sind.
Unterschiede entstanden als individuelle Anpassungen verschiedener Gruppen an die jeweiligen Umweltbedingungen. Dass diese Adaptionen flexibel sind, zeigte sich auch zu Beginn der Covid-19-Pandemie: Als Anpassung an das reduzierte Verkehrsaufkommen sangen Vögel tiefer und leiser.
Untersuchung sprachübergreifender melodischer Eigenschaften
„Wie Landwirbeltiere Laute produzieren und wie ihre Vokalisationen aufgebaut sind, wurde schon häufig untersucht. Daten dazu, wie Tiere die Melodien in ihren Vokalisationen wahrnehmen und interpretieren, gibt es jedoch kaum“, stellt Matzinger fest, die derzeit als Gastwissenschaftlerin an der Universität Toruń in Polen forscht.
Doch wie können Wissenschaftler am besten damit beginnen, die Bedeutung der melodischen Muster in Tiervokalisationen zu entschlüsseln? „Als vielversprechende Kandidaten für die Untersuchung der Bedeutung von melodischen Mustern erweisen sich jene melodischen Eigenschaften, die in allen menschlichen Sprachen vorkommen und dort ähnlich interpretiert werden“, erklärt Matzinger.
Markieren lang ausgesprochene Silben auch beim Tier Satzgrenzen?
So werden zum Beispiel lang ausgesprochene Silben von Menschen unabhängig von ihrer Muttersprache als Satz- oder Phrasengrenzen aufgefasst.
Aufgrund dieser ähnlichen Funktion von verlängerten Silben über alle Sprachen hinweg ist es wahrscheinlich, dass nicht nur für die Produktion, sondern auch für die Wahrnehmung von melodischen Mustern sehr grundlegende physiologische und kognitive Prozesse verantwortlich sind.
Ihre gemeinsame Evolution macht es wahrscheinlich, dass verlängerte Silben auch von anderen Landwirbeltieren als Grenzen zwischen Phrasen interpretiert werden. Dies experimentell zu testen ist der nächste wichtige Schritt in der Entschlüsselung der Bedeutung von Melodien in Tiervokalisationen.
Bibliografische Angaben
- Theresa Matzinger, Tecumseh Fitch (2021): „Voice modulatory cues to structure across languages and species“, in: Philosophical Transactions of the Royal Society B. DOI: 10.1098/rstb.2020.0393
Universität Wien