In einem Beitrag zur Wochenzeitung Jüdische Allgemeine kritisiert die Journalistin Ayala Goldmann den Online-Duden, der den Eintrag „Jude, der“ mit einem „besonderen Hinweis“ versehen hat:
Gelegentlich wird die Bezeichnung Jude, Jüdin wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als diskriminierend empfunden. In diesen Fällen werden dann meist Formulierungen wie jüdische Menschen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger oder Menschen jüdischen Glaubens gewählt.
Der Duden irre sich, so Goldmann. Sie selbst hasse nichts mehr als die Bezeichnung „jüdische Mitbürgerin“. Auch „Mensch jüdischen Glaubens“ wolle sie sich nur ungern nennen lassen. Sie schreibt:
Ich kenne keinen einzigen Juden – weder gläubig noch ungläubig –, der sich ungerecht behandelt fühlt, wenn er als Jude bezeichnet wird. Als „diskriminierend“ empfinden den Begriff „Jude“ wohl eher Nichtjuden, denen es unangenehm ist, das Wort auszusprechen – „wegen der Erinnerung“ et cetera.
Aber was können wir dafür? Muss der Duden deswegen auf Formulierungen hinweisen, die reine Verlegenheitslösungen sind, durch die wir aber erst recht darauf gestoßen werden, dass unsere Gesprächspartner gerade ein Problem haben?
Die in Ulm aufgewachsene gebürtige Hamburgerin Goldmann hat in Berlin und Jerusalem studiert. Sie fordert die Duden-Redaktion auf, ihren „besonderen Hinweis“ noch einmal zu überdenken, und schreibt:
Eine Facebook-Freundin hat den Wahnsinn auf den Punkt gebracht: „Wir sollten darauf achten, nicht als J-Wörter zu enden!“
Eine Befürchtung, die nicht unberechtigt ist, denn das N-Wort (Neger) und das Z-Wort (Zigeuner) wurden von der Duden-Redaktion längst mit ähnlichen „besonderen Hinweisen“ versehen.
Zentralratspräsident Schuster schließt sich der Kritik an
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, erklärte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa): „Das Wort ‚Jude‘ ist für mich weder ein Schimpfwort noch diskriminierend.“
Zwar wisse er, dass die Bezeichnung auf Schulhöfen abwertend und von einigen nur zögerlich verwendet werde, aber gerade deshalb solle „alles vermieden werden, um den Begriff als diskriminierend zu verfestigen.“
Sein Verband heiße bewusst „Zentralrat der Juden“ und nicht „Zentralrat der jüdischen Mitbürger“. Schuster weiter:
Jude oder Jüdin ist die Bezeichnung, die Augenhöhe signalisiert wie zum Beispiel „Katholik“ oder „Protestant“. Das ist besser als Formulierungen aus vermeintlich großzügiger Toleranz gegenüber Menschen, von denen man sich letztlich doch abgrenzen will.
Duden-Redaktion kündigt Prüfung und Überarbeitung an
Die ebenfalls von der dpa kontaktierte Leiterin der Duden-Redaktion, Kathrin Kunkel-Razum, sagte, man nehme die Kritik, dass der Hinweis auf Diskriminierung selbst als diskriminierend empfunden werden könne, sehr ernst. „Ich kann das nachvollziehen, aber das ist in keinster Weise unser Anliegen.“ Nach ihren Angaben gibt es Juden, die diese Bezeichnung selbst nicht verwenden.
Auf jeden Fall werde die Redaktion den „besonderen Hinweis“ noch einmal gründlich prüfen und überarbeiten, „um die Komplexität der Debatte abzubilden“.
Nachtrag Oktober 2022: Duden hat Eintrag erweitert
Im Anschluss an die Debatte hat die Duden-Redaktion den Eintrag erweitert. Er lautet jetzt:
Besonderer Hinweis
Im Abschnitt „Bedeutung“ finden Sie einen besonderen Hinweis zum Gebrauch dieses Wortes.
Der dem Eintrag zugeordnete „besondere Hinweis“ besteht jetzt aus neun statt aus vier Zeilen:
Besonderer Hinweis
Wegen des antisemitischen Gebrauchs in Geschichte und Gegenwart, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, werden die Wörter Jude/Jüdin seit Jahrzehnten von der Sprachgemeinschaft diskutiert. Gleichzeitig werden die Wörter weithin völlig selbstverständlich verwendet und nicht als problematisch empfunden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland, der die Bezeichnung selbst im Namen führt, spricht sich für die Verwendung aus. Besonders im öffentlichen Sprachgebrauch finden sich auch alternative Formulierungen wie jüdische Menschen, Bürger/-innen, Mitbürger/-innen oder – in religiösem Zusammenhang – Menschen jüdischen Glaubens. Eine weitere Variante ist ich bin jüdisch / er ist jüdisch. Ausführlicher wird der Umgang mit den Wörtern Jude/Jüdin beleuchtet in „Antisemitismus in der Sprache“ von Ronen Steinke (Dudenverlag Berlin, 2. Auflage 2022).
Richard Schneider