Einstündige Putin-Rede zur Ukraine: Schwerstarbeit für Simultandolmetscher

Wladimir Putin
Keine kurze Erklärung, sondern eine Geschichtsvorlesung hatten die Dolmetscher auf n-tv und Welt aus dem Stegreif zu verdolmetschen. - Bild: Bildschirmfoto n-tv

Die Dolmetscheinsätze ihres Lebens hatten gestern Abend ein Dolmetscher auf n-tv und eine Dolmetscherin auf Welt (ehemals N24). Sie waren von den Nachrichtensendern beauftragt worden, eine kurzfristig anberaumte Erklärung des russischen Präsidenten Wladimir Putin simultan zu verdolmetschen.

Das erwies sich als Herkulesaufgabe, denn statt eines fünfminütigen Statements zur Anerkennung der „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk setzte Putin zu einer Art Vorlesung zur Geschichte der Ukraine an, die erst nach gut einer Stunde endete.

Das hatten die Kollegin und der Kollege so sicher nicht erwartet, denn sonst wären jeweils zwei Dolmetscher bestellt worden. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als fast 60 Minuten am Stück ohne Pause dem Redefluss des Präsidenten hinterherzuhecheln.

Dass es sich um eine historisch bedeutsame Rede handelte, die möglicherweise einen Wendepunkt für Europa darstellt, dürfte der Kollegin und dem Kollegen in der Kabine spätestens nach zehn Minuten klar geworden sein. Unsere Berufsgruppe war wie immer ganz vorne mit dabei, wenn Geschichte geschrieben wird.

Vor allem die Verdolmetschung von n-tv wurde noch am selben Abend x-fach wiederholt und war wegen der im Vergleich zu Welt größeren Reichweite Grundlage der Berichterstattung vieler anderer Medien. Vermutlich konnte der Dolmetscher am nächsten Tag viele seiner Übersetzungen wortwörtlich in den Zeitungen nachlesen.

Verdolmetschung angesichts widriger Umstände gut bewältigt

Auf Twitter wurden Beschwerden laut, die Verdolmetschung klinge abgehackt und sei inhaltlich unverständlich. Das hält einer näheren Betrachtung aber nicht stand.

Zwar hört man den Stimmen aus der Dolmetschkabine die Anspannung an und und dass es schwierig war, mit dem Redetempo Putins Schritt zu halten. Dieser hatte auf einem Teleprompter offenbar ein ausgearbeitetes Redemanuskript vor sich, an dem er sich orientierte. Sicherlich ging in der Hektik des Augenblicks auch der eine oder andere Nebensatz verloren.

Angesichts der widrigen Umstände wurde die Dolmetschaufgabe aber in beiden Fällen gut bewältigt. Und die Botschaft Putins scheint im deutschen Sprachraum im Wesentlichen verstanden worden zu sein.

Unverständlich und nicht nachvollziehbar waren die Ausführungen Putins nur für diejenigen, die sich noch nie mit der russischen Sichtweise vertraut gemacht hatten. Denn inhaltlich enthielt die Rede – abgesehen von der Anekdote zu Bill Clinton – nichts Neues.

Privatsender hatten Nase vorn – Öffentlich-Rechtliche verpassten Chance

Die beiden Privatsender n-tv und Welt waren die einzigen deutschen Medien, die eine Direktübertragung mit Live-Verdolmetschung organisiert hatten. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender bekamen das in der Kürze der Zeit nicht auf die Reihe, obwohl sie mit Tagesschau24 (NDR/ARD) und Phoenix (WDR/ARD/ZDF) ebenfalls über reine Nachrichtenkanäle verfügen.

Von den ausländischen Fernsehsendern bot auch RT Deutsch eine Verdolmetschung ins Deutsche an.

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Richard Schneider