Der 26. Anglophone Tag, der in diesem Jahr von ATICOM in Münster organisiert wurde, stand unter dem Thema Challenging times for translators and interpreters (herausfordernde Zeiten für Übersetzer/-innen und Dolmetscher/-innen).
[This report was very kindly provided by Regina Simmes.]
Reiner Heard hatte ein interessantes Programm zusammengestellt, das Freitag mit einer Führung durch die Warhol-Ausstellung im Kunstmuseum Picasso startete und – wie auch die sonntägliche Stadtführung – deutlich machte, dass Münster nicht nur eine Stadt des Mittelalters, sondern auch der Moderne ist.
Der Anglophone Tag, der abwechselnd von ATICOM, BDÜ, CIOL und ITI in Deutschland und dem Vereinigten Königreich organisiert wird, wurde aufmerksam von 20 Teilnehmenden aus Großbritannien und Deutschland verfolgt. Im Mittelpunkt der diesjährigen Veranstaltung stand natürlich die Coronazeit, die für uns alle durch Herausforderungen und eine neue Herangehensweise an unsere Arbeit gekennzeichnet ist.
Andrea Wilming (Proscenium – Kommunikation & Resonanz) hat dies in ihrem Vortrag „Wir können den Wind nicht ändern… Navigation einer Konferenzdolmetscherin durch die Pandemie“ dargestellt. Sie begann mit Schlussfolgerungen, die sie aus dieser Zeit abgeleitet hat: „Unfassbar, wie wir die Navigation durch die Pandemie bewältigt haben“ und „Gemeinsam sind wir stärker“.
Die Konferenzdolmetscherin (KD) machte sehr anschaulich die Entwicklung deutlich: Der letzte Termin im März 2020 und dann nur noch ein leerer Kalender, weil die weitere Entwicklung im Konferenzbereich nicht absehbar war. Sie konnte sich durch den Umstieg auf Übersetzungen und den Einsatz „neuer“ Technik über Wasser halten. Online-Meetings wurden der tägliche Normalzustand, was fehlte war die Kollegin in der Kabine, die unterstützend tätig werden konnte und auch die technische Hilfe vor Ort.
Das bereits vor der Pandemie geplante Kollegennetzwerk von Dolmetscherinnen deutschlandweit setzte sich jetzt mit den neuen Dolmetschplattformen für Onlinekonferenzen auseinander. Allerdings musste nicht nur die Aufrüstung der eigenen Technik gewährleistet werden, sondern es galt auch, sich mit Sicherheitsproblemen (Vertraulichkeit) der zu verdolmetschenden Konferenzen auseinanderzusetzen. Zudem bergen diese Dolmetschplattformen weitere Herausforderungen, da man mitunter nur über den Umweg eines weiteren Endgeräts den/die dolmetschende/n Teamkolleg/-in hören kann. Nicht zuletzt traten aufgrund langer Online-Dolmetschsitzungen gesundheitliche Probleme auf. Hier wirkten die Berufsverbände unterstützend, u. a. durch die Durchführung entsprechender Studien. Auch die Technikfirmen mussten auf die neue Situation reagieren und taten dies schnell und professionell mit mobilen oder fest eingerichteten Dolmetsch-Hubs (Einrichtung von Dolmetschkabinen abseits des Veranstaltungsorts).
Nach einem Vortrag auf der Nerd Night über Simultandolmetschen vs. Synchronübersetzen hat sie ein weiteres Feld für ihre Aktivitäten entdeckt: Durch das Format „The Black Forest Cake Sessions – Coffee Breaks“ tauscht sie sich mittlerweile weltweit mit Kolleginnen und Kollegen aus. Ihrer Einschätzung nach wird das Distanzdolmetschen bleiben, muss sich jedoch, nachdem die Branche in der Coronazeit implodiert ist, neu sortieren; dazu gehört natürlich auch die Anpassung der entsprechenden Vorschriften.
Graham Mead (ATICOM) machte deutlich, dass mit „RSI and other Covid-related challenges“ Probleme zu bewältigen sind, denen wir uns stellen müssen, um weiterhin in unserem Beruf erfolgreich zu sein. Er führte aus, dass RSI (Remote Simultaneous Interpreting) auf dem anglo-amerikanischen Markt schon länger genutzt wird. Auch er stellte seine allgemeinen Schlussfolgerungen an den Beginn seines Vortrags: „RSI muss die gleichen Qualitätsstandards erfüllen wie das Dolmetschen vor Ort, gleichzeitig gibt es größere Herausforderungen.“
Wir gehen davon aus, dass bei Konferenzen ein Techniker anwesend ist, alle Teilnehmenden in einem Raum sitzen, eine gute Sicht auf die Sprechenden gewährleistet ist sowie zwei KD in einer Kabine sind, die miteinander kommunizieren können, sowohl verbal als auch visuell. Beim Remotedolmetschen gibt es eine andere Konstellation: der KD ist z. B. in einem Raum mit einer Partei, die anderen werden zugeschaltet oder alle Parteien sind in einem Raum und der KD wird zugeschaltet, oder aber jeder ist in seinem Raum und sie werden per Audio oder Video zusammengeschaltet; die meisten Personen nehmen eine starre auf die Kamera fixierte Position ein.
Bei Konferenzen ist ein Versuchsdurchlauf üblich, bei denen die Teilnehmenden eingewiesen werden; dies fehlt jetzt Jede Person loggt sich ein und der KD hofft, dass die Mikrofone so eingestellt sind, dass die Aussage verfolgt werden kann. Wie bereits von Frau Wilming ausgeführt, kann der KD auf manchen Plattformen seiner dolmetschenden Kollegin nicht zuhören. Während der Veranstaltung gibt es Unterbrechungen durch unerfahrene Teilnehmende mit technischen Problemen, eine schlechte Internetverbindung, einen Mangel an Synchronisierung. Und das Wichtigste: der KD sieht weder die Gesten noch die Körpersprache der Sprechenden, manchmal sind sogar die Kameras ausgestellt, und der KD muss versuchen, diese Situation zu meistern. Bei Terminen vor Ort kommt hinzu, dass die Sprechenden durch Plexiglaswände getrennt sind und dadurch schwer verständlich sind. Darüber treten Fragen auf wie: Was passiert, wenn der KD vor Ort positiv auf Corona getestet wird? Wird man dann trotzdem bezahlt? Was passiert mit der Veranstaltung?
Dies ist nur eine kurze Zusammenfassung der Herausforderungen, mit den KDs konfrontiert werden und die sie in kürzester Zeit bewältigen müssen.
Als Keynote Speaker wurde Thomas Imhof (language technology consulting) begrüßt, der es verstand mit der Frage „Werden KI, Deep Learning und NMT unser Leben verändern und wenn ja, wie?“ die Teilnehmenden mit Tools vertrauter zu machen, die schon seit einiger Zeit zu unserem Arbeitsalltag gehören.
Er stellte zunächst Maschinelles Übersetzen (MÜ) und Deep Learning (DL) anhand der Definitionen von wikipedia.org vor und gab einen kurzen geschichtlichen Überblick über die Entwicklungen auf diesem Gebiet. Anhand von Texten, die von verschiedenen Tools übersetzt wurden, zeigte sich, dass DeepL die besten Lösungsvorschläge anbot, da es Übersetzungsvorschläge aus Linguee zieht, das seit vielen Jahren mit Übersetzungen „gefüttert“ wird. Natürlich ist weiterhin ein Post-Edit erforderlich, um die hohen Qualitätsanforderungen zu erfüllen, die unsere Branche auszeichnet. DeepL verwendet wie andere moderne Übersetzungssysteme neuronale Netze, die mit einer großen Menge von frei verfügbaren Übersetzungen trainiert werden. Die neuronalen Netze lernen selbständig aus diesen Informationen.
MÜ wird heute bereits regelmäßig bei großen Textmengen angewendet, da es den Durchsatz an Übersetzungen steigert, die Time-to-Market-Spanne verkürzt sowie die Redaktionskosten senkt. Häufig wird es auch von Firmen genutzt, um festzustellen, ob sich eine Übersetzung überhaupt „lohnt“. Der Einsatz von MÜ beim Dolmetschen gestaltet sich wesentlich schwieriger, da durch die höhere Komplexität – Aussprache trainieren, Spracherkennung – höhere Hürden zu bewältigen sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele Auftraggeber heute den Einsatz dieser Tools erwarten, und die Bearbeitungszeiten und die Vergütung entsprechend angepasst haben. Natürlich gibt es einiges beim Einsatz zu beachten, angefangen bei den unterstützten Sprachrichtungen, über die Kosten (die Preisgestaltung der einzelnen Anbieter variiert stark) bis zur Integrierbarkeit in Drittsysteme. Nicht zuletzt sind Sicherheitsaspekte – wo steht der Server, wie sieht es mit der Verschlüsselung aus, wer hat Zugriff auf die Daten – zu berücksichtigen. Dies muss z. B. auch mit Auftraggebern vereinbart werden.
Zum Abschluss wagte Herr Imhof einen Blick in die Glaskugel und sagte voraus, dass die entsprechende technische Ausstattung billiger und NMÜ-Systeme sich nahtlos in alle Systeme wie z. B. Handys einfügen werden. Er wies allerdings auch darauf hin, dass Post-Editing andere Fähigkeiten erfordert als Übersetzungen und bejahte seine eingangs gestellte Frage, dass KI, Deep Learning und NMT unser Leben verändern werden.
Nach dem Mittagessen widmete sich Richard Delaney (BDÜ/CIoL) dem Thema „The devil is in the detail – the importance of subject-specific CPD for specialised professional translators”. Continuous Professional Development (CPD) dient zur Verbesserung der eigenen Leistung und führt dazu, dass die Übersetzenden immer auf dem neuesten Stand sind.
Zu Beginn seiner Ausführungen stellte Herr Delaney die Sicht des Klienten dar, der hinterfragt, ob ein qualifizierter Übersetzer auch juristische Fachtexte verstehen kann und weist darauf hin, dass der Übersetzer den Kunden durch seine Kompetenz überzeugen muss. Kenntnisse der verschiedenen Rechtssysteme sowie soziokulturelle und linguistische Kenntnisse spielen hier ebenso eine Rolle wie das Bewusstsein für die speziellen Anforderungen, mit denen Übersetzer juristischer Texte konfrontiert werden.
Als Bespiel für die Herausforderungen, denen sich Übersetzer gegenübersehen, nannte Herr Delaney die unterschiedliche englische Terminologie, die in Gerichten in England, Schottland und in EU-Gerichten verwendet wird und verdeutlichte dies anhand einiger Bespiele. Hier zeigt sich der ständige Wandel und die Entwicklung der Fachsprache, die bewältigt werden muss. Hinzu kommen natürlich auch noch Entwicklungen im juristischen Bereich, die verfolgt werden sollten. Daher stellte er klar, dass CPD erforderlich ist, um mit den Veränderungen Schritt halten zu können, die Denkprozesse der Klienten nachvollziehen zu können und ein Verständnis für den Inhalt der Texte zu entwickeln. Er wies darauf hin, dass diese Fähigkeit die von menschlichen Übersetzern angefertigten Texte auszeichnet – im Vergleich zu maschinellen Übersetzungen (MÜ), die seiner Meinung nach heute noch nicht den menschlichen Übersetzer ersetzen können. Bei MÜ ist beispielsweise die Fähigkeit, Fehler, Mehrdeutigkeit und Inkohärenz zu erkennen sowie schwierige rechtliche Texte zu übertragen, noch nicht ausreichend entwickelt. Welche CPD sollten Übersetzende also wahrnehmen? Natürlich ist an erster Stelle eine akademische/professionelle Qualifikation wichtig, aber auch (formale/informale) Fortbildung in dem Bereich, in dem man tätig ist, sollte auf dem Programm stehen.
Zum Abschluss wies er auf die für den Frühsommer 2023 geplante Veranstaltung The legal translators’s retreat 2023 (https://legal-translators-retreat.de/) zu Schiedsgerichtsbarkeit und internationalem Kaufrecht hin.
„German from Home: Reading together in Uncertain Times” war der Vortrag von Gwen Clayton überschrieben, den sie zusammen mit Dr. Kate Sotejeff-Wilson und Rachel Ward (alle MITI) vorbereitet hatte. Der ITI German Network Club beschäftigt sich mit verschiedenen Büchern (fiction und non-fiction), die in den jeweiligen Online-Sitzungen diskutiert werden. So wurden z. B. Katja Oskamps „Marzahn Mon amour“ und Barbara Honigmanns „Chronik meiner Straße“ diskutiert, und bei der nächsten Online-Sitzung am 15. Juli um 12:30 p.m. (UK-Time) steht das Buch „Tasting sunlight“ (Alte Sorten) von Ewald Arenz auf dem Programm, bei der die Übersetzerin Rachel Ward anwesend sein wird.
Die Zoom-Zugangsdaten und weitere Informationen sind über Gwen Clayton (gwenclayton@perfectlyphrased.com) erhältlich Alle, die gern lesen und darüber sprechen möchten, sind herzlich eingeladen teilzunehmen.
Timm Richter brachte uns „Masematte – Renaisance einer münsterschen Sondersprache“ näher, so dass wir einen tieferen Eindruck in Münsters Kultur erhalten konnten. Wurde Masematte ursprünglich als Geheimsprache etwa von den Viehhändlern gesprochen, hat sich dies inzwischen stark geändert und sie ist jetzt eine Art „Kultsprache“ Jugendlicher. Die Ursprünge liegen im Jiddischen, aber auch im Romanes. Masematte umfasst ca. 500 Worte und wurde in ihrer Hochzeit in den 1920er Jahren hauptsächlich in den ärmeren Vierteln der Stadt verwendet. Da viele Sinti, die diese Sprache hauptsächlich verwendeten, im Dritten Reich deportiert wurden, war sie vom Aussterben bedroht und wird erst heute wieder in geringem Umfang verwendet, auch damit sich die Münsterländer von den Osnabrückern abgrenzen können. Übersetzer könnte man etwa als Rakaweltransschmuser übertragen.
Unter der Überschrift News from the associations gab es folgende Berichte:
ATICOM: Reiner Heard kündigte an, dass das nächste Treffen des Réseau franco-allemand vom 14.-16.10.2022 in Arles stattfinden wird; es wird wie der Anglophone Tag von ATICOM, BDÜ, ITI sowie den Schweizer, österreichischen, französischen belgischen Verbänden im Wechsel organisiert. (https://aticom.de/aktuelle-termine/28-jahrestreffen-des-rseau-franco-allemand/)
FIT: im Mai 2022 tagte der Weltübersetzerverband FIT in Kuba. Die Australierin Alison Rodriguez, die den neuseeländischen Verband vertritt, wurde neue FIT-Präsidentin. Die fünf anderen Mitglieder kommen aus Österreich (Generalsekretärin), den USA (Schatzmeister), Südafrika, Argentinien und Irland (drei Vizepräsidentinnen). Der nächste SC/Weltkongress wird 2025 in Costa Rica stattfinden. Außerdem bekommt die FIT jetzt eine dritte „Amtssprache“: Spanisch, zusätzlich zu Englisch und Französisch.
BDÜ: Richard Delaney wies auf die Fachkonferenz Sprache und Recht vom 16.-17.09.2022 in Berlin hin (www.fsr2022.de). Referenten aus der Praxis bieten Vorträge und Workshops über Dolmetschen/Übersetzen aus dem juristischen Alltag in Gerichten und bei Notaren an.
Darüber hinaus ging er auf den Stand der Verhandlungen über das Gerichtsdolmetschergesetz ein, die in die nächste Runde gehen. Strittig ist z. B. die Wahrung des Bestandsschutzes bereits vereidigter Dolmetscher und Dolmetscherinnen.
CIOL: Informationen unter https://www.ciol.org.uk/
ITI German Net Work (https://www.itigermannetwork.org.uk/): Gwen Clayton wies auf verschiedene Veranstaltungen, den Newsletter und das Mentoring Programm hin.
Der nächste Anglophone Tag wird 2023 in Wales stattfinden.
Alle Teilnehmenden haben den persönlichen Austausch sehr genossen und dankten Reiner Heard, dass er nach dem geplanten Anglophonen Tag 2021, der coronabedingt ausfallen musste, einen erneuten Anlauf gestartet hat.
Regina Simmes
regina@simmes.de