Ganz entzückt ist der China-Korrespondent der Dresdner Nachrichten, als er 1902 nach Hause telegrafieren kann, dass Kaiserin Cixi bei einem Empfang für die Damen der ausländischen Diplomaten ihre deutschen Gäste in einwandfreiem Deutsch begrüßt.
Dies habe sie von ihrer Dolmetscherin gelernt, einer „mandschurischen Dame“, die als Tochter eines früheren Legationssekretärs der chinesischen Gesandschaft mehrere Jahre in Berlin gelebt habe. Deutlich werde das in ihrem „unverfälschten Berlinerischen Akzent“, der sich aus dem Mund der „kleinen, hübschen“ Dame „ganz allerliebst“ ausnehme.
Berlinerisches im Kaiserpalast zu Peking
In der Zeitung heißt es in der Ausgabe vom 30. April 1902:
Frische Luft ist unbedingt in den Kaiserpalast in Peking eingezogen. Die Kaiserin-Witwe wird immer mehr und mehr von modernem Geiste erfüllt und bricht mit den alten verzopften Traditionen.
Bei dem letzten Damen-Empfang des diplomatischen Corps streckte sie die Hand den eintretenden Damen entgegen: „Guten Tag“, rief sie und ließ dann die Unterhaltung durch eine junge mandschurische Dame theils deutsch, theils englisch führen: aber das Deutsche floß ihr viel besser von den Lippen; es hatte den unverfälschten Berlinerischen Akzent, und es nahm sich im Munde der kleinen, hübschen, mandschurischen Dame, die übrigens – auch eine Neuerung – neben der Kaiserin stand, ganz allerliebst aus.
Die Dolmetscherin ist die Tochter eines früheren Legationssekretärs bei der chinesischen Gesandschaft in Berlin, drei Jahre hat sie sich in Spree-Athen aufgehalten und in dieser Zeit das Idiom so gelernt, als wäre sie in Berlin aufgewachsen.
Prinz Ching soll die junge Legationssekretärstochter als Dolmetscherin der Kaiserin empfohlen haben, und diese war mit ihr und ihrer Thätigkeit ganz außerordentlich zufrieden.
Berlinerisches im Kaiserpalast zu Peking bei den Audienzen der Kaiserin, das ist jedenfalls ein ganz enormer Fortschritt, den man sich vor wenigen Jahren nicht träumen ließ.
Als historische Figur umstritten, im Westen negativ verzerrt dargestellt
Von 1861 bis 1872 führte Cixi als „Kaiserinwitwe“ die Regentschaft für ihren Sohn, den minderjährigen Kaiser Tongzhi, und von 1875 bis 1889 für ihren Neffen, den ebenfalls minderjährigen Kaiser Guangxu. 1898 übernahm sie erneut die Regierungsgeschäfte, nachdem sie Guangxu unter einem Vorwand hatte inhaftieren lassen. Sie behielt die Macht dann bis zu ihrem Tod 1908 und regierte damit länger als jede andere Kaiserin.
Zum Image von Cixi in China und im Westen heißt es in der Wikipedia:
Historisch betrachtet gehört sie zu den zwiespältigsten Personen der chinesischen Geschichte. Innenpolitisch versuchte Cixi ausgleichend zwischen den konservativen und reformorientierten Fraktionen des Hofes zu wirken, um so die Macht des Kaiserhauses erneut zu festigen und das im Niedergang befindliche Land wieder zu stabilisieren.
Dabei unterliefen ihr immer wieder schwere Fehleinschätzungen der wirklichen Lage, die etwa in der Katastrophe des Boxeraufstands und einer völlig verspäteten Reformpolitik endeten. Dies hatte auch in der Außenpolitik schwerwiegende Folgen; das technisch rückständige und wirtschaftlich schwer angeschlagene China verlor nun seine Hegemonialstellung in Ostasien.
Der Aufstieg der Cixi von der unbedeutenden Nebenfrau zur einflussreichen Kaiserinwitwe beschäftigte bereits die Phantasie ihrer Zeitgenossen. Ihre Palastkarriere wurde vor allem im Westen mit einem Reigen von Morden, sexuellen Perversionen und Intrigen in Verbindung gebracht. Maßgeblich für dieses Zerrbild ihrer Persönlichkeit war eine bereits 1910 erschienene Biographie von Edmund Backhouse, welche die Kaiserinwitwe als niederträchtige und degenerierte Persönlichkeit schilderte.
Romane und Erzählungen des westlichen Kulturkreises griffen dies auf und charakterisieren Cixi als ehrgeizig agierende Frau, die ihre Aufnahme in den kaiserlichen Harem und den Aufstieg innerhalb der Palasthierarchie gezielt plante und betrieb. Zu den bekanntesten ihr Leben so thematisierenden Erzählungen zählt der Roman Das Mädchen Orchidee von Pearl S. Buck.
In den 1970er Jahren wiesen verschiedene Historiker wie Hugh Trevor-Roper nach, dass die chinesischen Quellen, auf die sich Edmund Backhouse stützte, Fälschungen waren. Die moderne Geschichtsschreibung zeichnet heute ein deutlich nüchterneres Bild der letzten Regentin Chinas als Backhouse: Nur weil Cixi den einzigen Sohn des Kaisers gebar, konnte sie innerhalb der Palasthierarchie aufsteigen. Nach der Macht griff sie anscheinend nur, weil Streitigkeiten um die Nachfolge des toten Kaisers sowohl ihr Leben wie auch das Leben ihres Kindes in Gefahr brachten.
Richard Schneider