An der Charité, dem gemeinsamen Uniklinikum von Humboldt- und Freier Universität Berlin, läuft eine dreiteilige Veranstaltungsreihe zum Thema „Medizin in Übersetzung – Labore, politische Ökonomien, Kliniken“ mit folgenden Terminen:
- 15.10.2022, 18:00 Uhr: Prophetien – Prekäre Übersetzungen zwischen Labor und Klinik. Gespräch zwischen Katrin Solhdju und Anika König.
- 06.12.2022, 18:00 Uhr: „Die Dritten im Raum“: Von Aushandlungsprozessen und Annäherungen. Gespräch zwischen Mascha Dabić und Ulrike Kluge.
- 31.01.2023, 18:00 Uhr: Translating the Body – Cultural Dimensions and Linguistic Issues. Discussion between Franz Pöchhacker and Elena Teodora Manea.
Jeder Übersetzungsakt impliziert buchstäblich einen Prozess des Übergangs oder der Verschiebung (translatio – Transport von einem Ort zum anderen). Dementsprechend wirken sich Übersetzungen unweigerlich auf ihren Gegenstand aus, indem sie ihn auf die eine oder andere Weise verändern und zuweilen auch entstellen.
Im Bereich der innovativen zeitgenössischen Medizin ist es zwingend geworden, translational zu forschen und zu arbeiten. Die zentrale Aufgabe der translational medicine besteht darin, die Hindernisse zu minimieren, die einer reibungslosen Umsetzung der in der Grundlagenforschung im Labor und in klinischen Studien gewonnenen Erkenntnisse in die alltägliche klinische Praxis und Entscheidungsfindung entgegenstehen könnten. Es scheint uns jedoch, dass Fragen der Übersetzung auch auf anderen Ebenen des Feldes von Krankheit und Gesundheit auf dem Spiel stehen. Auf Ebenen, die im medizinischen Diskurs nur selten angesprochen und noch seltener im Zusammenhang mit dem Imperativ nach einer translationalmedicine reflektiert werden.
Auf einer ersten und sehr konkreten Ebene sind Übersetzungen erforderlich, damit Ärzte und Pflegekräfte mit Patienten kommunizieren können, mit denen sie keine gemeinsame Sprache teilen; eine Situation, die in den heutigen Migrationsgesellschaften immer häufiger vorkommt.
Weit über die Frage der sprachlichen Herausforderungen hinausgehend werden Übersetzer, Patienten, Ärzte und Pflegekräfte regelmäßig mit den vielfältigen Reibungen konfrontiert, die zwischen differierenden und oft unvereinbaren Vorstellungen davon auftreten, was ein Körper oder was ein Geist ist, wie Krankheit und Gesundheit konzeptualisiert werden und was entsprechend von diagnostischen Handlungen und therapeutischen Interventionen zu erwarten ist.
Ausgehend von diesen konkreten Situationen sollen in der Veranstaktungsreihe andere Übersetzungsprozesse, die für die medizinische Praxis konstitutiv sind, neu beleuchtet werden:
- Übersetzungen von der Grundlagenforschung im Labor über klinische Studien bis hin zu therapeutischen Protokollen; – Übersetzungsprozesse von statistischen – evidenzbasierten – Erkenntnissen zu einzelnen klinischen Fällen;
- Übersetzungen von faktischem Wissen über eine Diagnose zur Offenbarung dieserTatsache an die von ihr betroffenen Personen;
- und nicht zuletzt Übersetzungen zwischen dem medizinisch-pharmakologischen Komplex und politischen Ökonomien (des Vertrauens und Misstrauens und natürlich von Finanzen).
Die Organisatoren zielen darauf ab, heterogene Übersetzungspraktiken rund um Krankheit und Gesundheit neu zu problematisieren und miteinander in Dialog zu bringen.
Referenten
Mascha Dabić, geboren 1981 in Sarajevo. Studium der Translationswissenschaft (Englisch und Russisch). Dissertation an der Uni Wien zum Thema „Dolmetschen in der Psychotherapie“. Sie lehrt an der Universität Wien (Konferenzdolmetschen und Übersetzen, Russisch) und übersetzt Literatur aus dem Balkanraum. Außerdem dolmetscht sie psychotherapeutische Gespräche im Betreuungszentrum für Kriegs- und Folterüberlebende „Hemayat“ in Wien.
Franz Pöchhacker ist Professor für Dolmetschwissenschaft am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien. Nach seiner Ausbildung zum Konferenzdolmetscher in Wien und Monterey und seiner Promotion forschte er unter anderem zum Kommunaldolmetschen im Gesundheitswesen. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen, u. a. der Routledge Encyclopedia of Interpreting Studies (2015) und des Lehrbuchs Introducing Interpreting Studies (2022).
Anika König ist Gastprofessorin am Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin. Sie hat in Berlin und Amsterdam Ethnologie und Soziologie studiert und promovierte in Sozialanthropologie an der Australian National University in Canberra. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medizinanthropologie (mit Fokus auf Reproduktionstechnologien), die Anthropologie des Körpers und der Sinne, Gender Studies, und Anthropologie der Gewalt, zu denen sie verschiedene Projekte an der Freien Universität Berlin, der Universität Luzern und der Universität zu Lübeck durchgeführt hat.
Ulrike Kluge ist Professorin für medizinische und psychologische Integrations- und Migrationsforschung an der Universitätsmedizin der Charite, Berlin. Dort leitet sie u. a. das Zentrum für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie (ZIPP). Zudem leitet sie die Abteilung Migration, körperliche und psychische Gesundheit und Gesundheitsförderung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der HU. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Migration und (Global Mental) Health, Ethnopsychoanalyse sowie Sprach- und Kulturvermittlung in der Psychotherapie.
Elena Teodora Manea studierte Philosophie in Rumänien und Deutschland und spezialisierte sich auf Hermeneutik, Existenzialismus und Bioethik. Sie arbeitete als medizinische Dolmetscherin und ist derzeit Dozentin für angewandte klinische Ethik an der School of Medicine der University of Liverpool. Zwischen 2010 und 2018 lehrte sie Medical Humanities und Ethik an der Universität Exeter und seit 2011 ist sie als Ethikexpertin für die Europäische Kommission tätig. Ihr neuestes Projekt: The Other Voice of Medical Consultations ist eine soziologische Analyse der Emotionsarbeit im medizinischen Dolmetschen.
Katrin Solhdju ist Kulturwissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkten in der Geschichte und Philosophie der Biowissenschaften und den Medical Humanities. Sie ist Forschungsprofessorin des Fonds national de la recherche scientifique (FNRS) am Institut für Soziologie und und Anthropologie der Universität Mons. Sie ist Mitglied des belgischen Ethikrats, Mitbegründerin von Dingdingdong (Institut für die Koproduktion von Wissens über die Huntington-Krankheit) und Mitglied der Groupe d’études constructivistes an der Freien Universität Brüssel.
Anmeldung
Wegen der Hygieneregularien der Charité ist eine Anmeldung bis spätestens drei Tage vor der jeweiligen Veranstaltung notwendig. Sie erhalten daraufhin ein Einladungsschreiben, das den Zutritt zum Gelände gewährt. Kontakt: ronja.wagner@charite.de
Veranstaltungsort ist die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité Campus Mitte, Charitéplatz 1, 10117 Berlin; Bonhoefferweg 3, Seminarraum 41, 3. Ebene.
Die Organisation liegt in den Händen von Ulrike Kluge (Charite, Berlin) und Katrin Solhdju (FNRS, Universite de Mons).
rs