Nein, liebe Medien, Jimmy Carter erhält keine „Hospizpflege“, sondern häusliche Palliativpflege

Jimmy Carter
Jimmy Carter im Jahr 1977 nach seiner Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten (1977 - 1981). - Bild: Department of Defense, gemeinfrei

Am 18. Februar 2023 rauschte abends um 21:15 Uhr eine kurze Eilmeldung zum Gesundheitszustand des 98-jährigen früheren US-Präsidenten Jimmy Carter durch die Medien.

In der Mitteilung seiner Stiftung The Carter Center, die auf Twitter verbreitet wurde, heißt es unter anderem:

[…] Jimmy Carter today decided to spend his remaining time at home with his family and receive hospice care instead of additional medical intervention.

Der für Medienleute offenbar schwierige Fachausdruck lautet hier „hospice care“. Was ist damit gemeint?

The Carter Center

Von mangelhaft (Zeit, n-tv, SZ, Bild) über gut (Spiegel) bis sehr gut (FAZ)

Wenn es schnell gehen muss, übersetzen Journalisten selbst und machen dabei alle Fehler, die man auch in einer Übersetzungsübung im ersten Semester beobachten kann.

  • Völlig falsch heißt es kurz nach der amerikanischen Eilmeldung in der Online-Ausgabe der Zeit: „Der frühere US-Präsident begibt sich in Hospizpflege.“ Nein, genau das tut er eben bewusst nicht, sondern er bleibt selbstbestimmt zu Hause im Kreis der Familie, in der sicheren Erwartung des Todes.
  • Auf den gleichen Irrweg der wörtlichen Übersetzung begibt sich n-tv, wo es heißt: „Ex-US-Präsident in Hospizpflege“. Wenig später korrigiert der Sender die Überschrift zu „Palliativpflege“. Gut so!
  • Die Süddeutsche Zeitung formuliert einen Widerspruch in sich: „[…] hat sich für Hospizpflege zuhause entschieden“. Was denn nun? Geht er ins Hospiz oder bleibt er zu Hause?
  • Die Bild-Zeitung ringt um Worte und schreibt etwas hilflos und schwammig von „Hospizhilfe bei Ex-US-Präsident“ und einer „Hospizversorgung“.

Viermal mangelhaft, setzen! Kommen wir nun zu den Redaktionen, die begriffen haben, worum es geht und die die deutschen Fachausdrücke kennen:

  • Korrekt und gut formuliert heißt es beim Spiegel: „Jimmy Carter entscheidet sich für Palliativpflege“.
  • Eine glatte Eins hat sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit ihrer Übersetzungsvariante von „hospice care“ verdient: „Jimmy Carter entscheidet sich für häusliche Palliativpflege“. Volltreffer. Genau das ist gemeint.

Aber da steht doch „hospice care“

Jetzt könnte man einwenden: Aber da steht doch ausdrücklich „hospice care“ und nicht „palliative care“. Den Ausdruck „palliative care“ gibt es im Englischen doch ebenso wie im Deutschen. Die Begrifflichkeiten sind in beiden Sprachen gleich. Muss man das dann nicht so übersetzen, wie es da steht?

Nein, denn aus der weiteren Beschreibung der Umstände geht eindeutig hervor, was in diesem Fall gemeint ist: keine Versorgung im Hospiz, sondern eine palliative Pflege im eigenen Heim.

Und so sollte das dann auch im Deutschen wiedergegeben werden. Denn man übersetzt nicht Wörter, sondern Bedeutungsinhalte.

Übersetzungsfehler werden online meist stillschweigend korrigiert

Kommen solche Meldungen wie in diesem Fall spät abends herein, muss in den Redaktionen oft die Nachtschicht oder Notbesetzung übersetzen. Am nächsten Morgen, wenn die Profis anrücken, werden schiefe Formulierungen meist ausgebügelt, Fehler korrigiert und holprige wörtliche Übersetzungen eleganter umformuliert.

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Richard Schneider