Studie zeigt: Grundschüler lernen gerne Englisch und Französisch

Gestikulierendes Mädchen
Bild: Berzin / Pixabay

Die im Dezember 2023 veröffentlichte neueste Pisa-Studie hat aufgezeigt, dass deutsche Schüler immer noch große Defizite in Deutsch und Mathematik aufweisen. Auch das schlechte Abschneiden in der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung „IGLU 2021“ unterstreicht den Befund. Vor diesem Hintergrund hat der Fremdsprachen-Unterricht in der Grundschule einen schweren Stand: Nicht selten fordern Politiker eine Reduktion oder gar Abschaffung der Englischstunden zugunsten der beiden Hauptfächer.

Englischdidaktikerin Prof. Dr. Jutta Rymarczyk hat in ihrer Studie „KiwiS“ (Kinder wollen internationale Sprachen) untersucht, wie Grundschüler selbst den Fremdsprachenunterricht einschätzen. Dazu wurden 1.624 Kinder befragt.

Die Studie zeigt, dass sich Englisch oder Französisch bei Kindern großer Beliebtheit erfreuen. Die Kinder befürworten zudem einen frühen Beginn der Fremdsprache in der Grundschule. Auch die Mehrzahl der Kinder mit einer anderen Erstsprache als Deutsch wünscht sich, möglichst früh Englisch zu lernen, so ein weiteres Ergebnis.

Deutsch zuerst und dann erst Fremdsprachen?

Bildungspolitiker reagieren auf Schwächen bei den Deutsch- und Mathematikleistungen häufig mit Eingriffen in den Fremdsprachenunterricht. So wurde der Beginn für Englisch und Französisch in Baden-Württemberg ab dem Schuljahr 2020/2021 von der ersten in die dritte Klasse verschoben und Nordrhein-Westfalen folgte dem Beispiel im Schuljahr 2021/2022. Proteste von Fremdsprachendidaktikern verschiedener Bundesländer blieben ungehört.

In den meisten europäischen Ländern gehört Fremdsprachenunterricht in den Bildungsplan der Grundschule. EU-weit haben 2021 knapp 85 Prozent der Grundschülern Englisch gelernt, rund fünf Prozent Französisch und 3,5 Prozent Deutsch, wie aus der Erhebung „Foreign Language Learning Statistics 2023“ des Statistikportals Eurostat der Europäischen Kommission hervorging.

Zwischen 2013 und 2021 stieg der Anteil der Grundschüler in der Europäischen Union, die sogar zwei oder mehr Fremdsprachen lernen, von 4,6 Prozent auf 7,2 Prozent an.

Untersuchung an baden-württembergischen Grundschulen

Vor diesem bildungspolitischen Hintergrund hat Prof. Dr. Jutta Rymarczyk in der zweiten Hälfte 2023 die „KiwiS“-Studie zum frühen Fremdsprachenlernen unter Kindern der Klassen 3 und 4 an Grundschulen in Baden-Württemberg durchgeführt.

Nachdem der Fokus früherer Studien auf Lehrern, Eltern und Experten für das Fremdsprachenlernen lag, sollten nun die Kinder selbst in einer Befragung gehört werden. Ihre jeweilige Motivation ist ein entscheidender Faktor für Lernerfolge in der Grundschule.

Es wurde unter anderem ermittelt, ob die Kinder sich den Fremdsprachenunterricht (je nach Region Englisch oder Französisch) ab der ersten, dritten oder fünften Klasse wünschten, wieviel Spaß ihnen der Unterricht machte und ob sie lieber mehr Deutsch- bzw. Mathematikunterricht statt des Erlernens der Fremdsprachen hätten.

Die Fragebögen wurden den Kindern online oder in Papierform an ihren Grundschulen zugänglich gemacht. Der Kontakt zu den Grundschulen wurde größtenteils über die Referendare an den Seminarstandorten hergestellt.

43 % der befragten Kinder befürworten Fremdsprachenunterricht ab Klasse 1

Erste Ergebnisse zeigen, dass die meisten der befragten der 1.624 befragten Kinder sich für den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule aussprechen. Dabei haben mit 43,35 Prozent sogar etwas mehr Kinder für den Beginn ab der ersten Klasse gestimmt als ab der dritten Klasse (42,55 Prozent). Lediglich knapp zehn Prozent haben sich für Fremdsprachenunterricht ab Klasse 5 ausgesprochen.

Der großen Mehrheit der Kinder (1.355 Schüler) macht der Unterricht „viel“ bis „sehr viel“ Spaß. 686 Kinder, also rund 42 Prozent der gesamten Befragten, gibt an, mehrsprachig zu sein. Sehr viele dieser Kinder wünschen sich den Fremdsprachenunterricht ab Klasse 1 (42,42 Prozent).

Auch Migrantenkinder befürworten frühen Beginn

Aufhorchen lässt insbesondere dieser Befund, so Professorin Rymarczyk, also dass sich fast die Hälfte der mehrsprachigen Kinder wünscht, gleich zu Beginn ihrer Schullaufbahn mit dem Fremdsprachenunterricht anfangen zu können. Diese Kinder haben häufig Probleme, dem deutschsprachigen Unterricht zu folgen. „Im Englisch- oder Französischunterricht haben sie jedoch Erfolgserlebnisse, weil sie über Erfahrungen im Erlernen einer Zweitsprache verfügen oder diese Sprache sogar bereits zu einem gewissen Grad beherrschen“, schlussfolgert die Englischdidaktikerin.

Diese Erfahrung unterstreicht die Aussage eines deutsch-türkischsprachigen Mädchens: „Bitte streichen sie nicht diese zwei Stunden Englisch. Es macht mir sehr Spaß und es ist die einzige Fach, die ich sehr gut kann.“

Im Fremdsprachenunterricht herrscht Chancengleicheit

Studienleiterin Rymarczyk erläutert auf der Basis dieser Ergebnisse: „Auf jeden Fall haben sie im Fremdsprachenunterricht die gleichen sprachlichen Voraussetzungen wie die Kinder mit Deutsch als Erstsprache: Alle sitzen hier in demselben Boot. Das gibt ein Gefühl von Sicherheit. Neben den Erfolgserlebnissen und der Anerkennung durch die Peer Group ist das für die Ausbildung des Selbstwertgefühls und die Identitätsfindung von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit“.

In EU wird früher Beginn des Fremdsprachenunterrichts bevorzugt

Um auf europäischer Ebene anschlussfähig zu bleiben, so die Englischdidaktikerin in Bezug auf den internationalen Kontext, ist es notwendig, dass die deutsche Bildungspolitik Schülern gleiche Lernbedingungen ermöglicht wie in den Nachbarstaaten. International gelinge dies Deutschland nur mit dem Beginn des Fremdsprachenunterrichts in der Primarstufe. Die Grundschüler sind der „KiwiS“-Studie zufolge dazu offenbar bereit.

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Dr. Birgitta Hohenester (PH Heidelberg)