Um einen Versorgungsengpass zu entschärfen, hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einem Pharmaunternehmen ausnahmsweise gestattet, das Antibiotikum Doxycyclin auch ohne deutsche Übersetzung zu vertreiben. Die Erlaubnis ist auf ein Jahr befristet.
In diesem Fall ist die Verpackung auf Englisch, Französisch und Portugiesisch beschriftet. In denselben Sprachen ist auch die Packungsbeilage abgefasst.
In dem Bescheid an den Münchner Hersteller Denk Pharma heißt es:
- Es wird im Einzelfall gestattet, dass das o.g. Arzneimittel mit einer Kennzeichnung und Packungsbeilage in englischer / französischer / portugiesischer Sprache in den Verkehr gebracht wird.
- Diese Gestattung ist befristet bis zum 31. August 2025 und erfolgt unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs.
Maßnahme zur „Sicherstellung der Patientenversorgung“
Zur Begründung schreibt das in Bonn ansässige Bundesinstitut:
Nach §§ 10 Absatz 1a, 11 Absatz 1c AMG kann die zuständige Bundesoberbehörde im Fall eines drohenden oder bestehenden Versorgungsengpasses auf Antrag des Zulassungsinhabers im Einzelfall gestatten, dass das Arzneimittel befristet mit einer Kennzeichnung und Packungsbeilage in einer anderen als der deutschen Sprache in den Verkehr gebracht wird. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. […]
Das BfArM hat eine Sachverhaltsermittlung durchgeführt und eine drohende versorgungsrelevante Lieferengpasssituation festgestellt. Nach aktuellen Lieferengpassmeldungen stehen wirkstoff- und darreichungsgleiche Arzneimittel bezogen auf die oben genannten Indikationen derzeit nicht in einem den vollständigen Bedarf deckendem Umfang zur Verfügung. Das Inverkehrbringen des Arzneimittels dient der Sicherstellung der Patientenversorgung.
Übersetzung eigentlich unverzichtbar
Arzneimittel dürfen in Deutschland grundsätzlich nur mit einem Beipackzettel in deutscher Sprache vertrieben werden. Das gilt auch für Reimporte, deren beispielsweise griechische Packungsbeilage dann ins Deutsche rückübersetzt werden muss, selbst wenn das Produkt (wie etwa Aspirin) in Deutschland hergestellt wurde. Auf der fremdsprachigen Verpackung wird in solchen Fällen ein deutschsprachiger Aufkleber angebracht.
Bei einem Medikament mit ausschließlich fremdsprachiger Dokumentation können sich die Patienten nicht einmal über mögliche Nebenwirkungen informieren. Sie müssen sich blind auf die Angaben ihres Arztes verlassen, falls dieser ihnen überhaupt etwas außer „morgens und abends eine Tablette“ mitteilt.
Engpässe können für Patienten gesundheitliche Folgen haben
Die Deutsche Apotheker-Zeitung (DAZ) warnte am 15. Juli 2024: „Antibiotika-Engpässe können für Patienten schwere gesundheitliche Folgen haben.“ So sei Doxycyclin zur Bekämpfung einer Chlamydien-Infektion die erste Wahl. Stattdessen müsse nun aber häufig auf weniger wirksame Alternativen ausgewichen werden.
Dr. Heiko Karcher von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin legt ebenfalls in der DAZ den Finger in die Wunde:
Die Lieferengpässe erschweren die bestmögliche Behandlung, schränken den ärztlichen Spielraum bei der Therapie unzumutbar ein und gefährden damit das Wohl unserer Patienten.
Missstände seit Langem bekannt
Im Februar 2022 hatte das Bundesministerium für Gesundheit noch versprochen:
Die Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen sicherzustellen, Engpässe in der Versorgung entschieden zu bekämpfen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Herstellung von Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland oder in die EU zurück zu verlagern. (Ergebnisprotokoll der 7. Sitzung des Beirats zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln vom 16.03.2022)
Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind eine Nebenwirkung der Globalisierung und traten verstärkt in der Corona-Pandemie auf, als viele Lieferketten unterbrochen waren.
Das BfArM hat deshalb auf seiner Website eine eigene Rubrik „Lieferengpässe im Fokus“ eingerichtet und führt eine „Lieferengpass-Datenbank“.
Versorgungsschwierigkeiten schon bei frei verkäuflichen Schmerztabletten
Von Lieferschwierigkeiten sind selbst harmlose Mittelchen für die Hausapotheke betroffen, wie etwa rezeptfrei verkäufliche Schmerztabletten mit dem Wirkstoff Naproxen (z. B. „Dolormin GS“). Bei Gelenk- und Regelschmerzen hilft dieser Wirkstoff besser als die Klassiker Ibuprofen oder Paracetamol. Naproxen-haltige Schmerztabletten waren in den vergangenen Jahren immer wieder über Monate hinweg nicht lieferbar.
Das führt dazu, dass Patienten, die auf den Wirkstoff angewiesen sind (etwa bei Rheuma), Naproxen in großen Mengen bevorraten, was die Engpass-Situation nur noch mehr verschärft.
Weiterführender Link
- Gestattung des BfArM in Sachen Doxycyclin (PDF, 32 Seiten)
Richard Schneider