In der literarischen Beilage der Deutschen Allgemeinen Zeitung (DAZ) ist am 8. April 1929 ein Artikel von Käthe Miethe (1893 – 1961) erschienen, der die besonderen Herausforderungen beleuchtet, vor denen Literaturübersetzer damals standen und heute noch stehen. Miethe wirkte selbst als Übersetzerin aus dem Norwegischen, Niederländischen und Dänischen.
Nachfolgend der Beitrag im originalen Wortlaut (Digitalisierung: UEPO.de). Zur besseren Übersicht wurden lediglich zusätzliche Absatzeinteilungen vorgenommen.
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Probleme der Uebersetzung
Von Käthe Miethe
Es wird dem Anmelder der Uebersetzungsliteratur oftmals zum Vorwurf gemacht, daß er ein übersetztes Buch wohl seinem Wert nach mehr oder weniger ausführlich bespricht, der Uebersetzung dagegen höchstens in einigen wenigen Zeilen, oft aber gar nicht gedenkt.
Man wird dann auf das Beispiel Frankreichs verwiesen, wo es üblich sein soll, bei übersetzten Werken in erster Linie die übersetzerische Leistung und erst in zweiter Linie das Objekt dieser Leistung zu werten.
Es bedarf keiner Begründung, daß zwischen diesen beiden Extremen der rechte Weg zu suchen ist, auch dessen nicht, daß das Verlangen der deutschen Uebersetzung nach eingehender Würdigung ihrer Arbeit, die die Grenze künstlerischen Schaffens nicht nur berühren, sondern auch überschreiten kann, volle Berechtigung hat.
Es soll hier einmal an Hand einiger Uebersetzungen aus nordischen Sprachen mit dem Hinweis darauf, daß es eine große Anzahl allgemeingültiger Uebersetzungsprobleme, doch auch ebenso viele übersetzerische Sonderprobleme wie es Sprachen gibt, der umfassende Komplex dieser Fragen in einigen wesentlichen Zügen ausgezeichnet werden, denn es herrschen wohl kaum über irgendeine andere Tätigkeit, die Art ihrer Ausführung, ihr letztes Ziel und die Schwierigkeiten, die jeweils seiner Erreichung im Wege stehen, so vage Anschauungen, wie über die Uebersetzerarbeit.
Abgesehen von der Meinung, die sich unbegreiflicherweise mehr und mehr Bahn bricht und die sich auch mehr und mehr in die Tat umsetzt, daß eigentlich jeder übersetzen kann, der im landläufigen Sinne eine fremde Sprache beherrscht — und man weiß, wieviel es meist mit dieser Beherrschung auf sich hat —, wird vielfach übersehen, daß für den Uebersetzer die tatsächliche Beherrschung der fremden Sprache nur die selbstverständliche Voraussetzung ist, um die wahre Kunst seiner verantwortlichen Tätigkeit, die völlige Beherrschung der eigenen Sprache, zur Auswirkung bringen zu können.
Ein Kampf, ein ununterbrochenes Ringen ist in dem Versuch beschlossen, nicht nur den nackten Sinn eines Werkes, eines Satzes, eines Wortes, sondern auch seine Sprachmelodie, seinen inneren Rhythmus, seine Eigenart, gleichsam die Handschrift eines Künstlers, loszulösen aus seiner gegebenen Form, sie gewissermaßen für Augenblicke in ihrem innersten Wesen immateriell zu erfühlen und zu erfassen und sie dann in eine neue Form zu gießen, deren Material vielleicht nur wenig Aehnlichkeit mit dem der früheren, der eigentlichen Form hat, ohne daß die Veränderung zerstörend wirkt, ohne daß zu vieles bei diesem Umformungsprozeß verloren geht, ohne daß ein Neues dabei entsteht, das mit dem Ursprünglichen nur noch die äußeren Konturen, nicht aber das innere Wesen gemein hat. Welch eine Aufgabe sich daraus ergibt, das wird im allgemeinen viel zu wenig bedacht, viel zu wenig gewürdigt.
Sprachverwandtschaft kann diese Aufgabe noch erschweren. Gleich oder ähnlich klingende Worte haben sich in verwandten Sprachen leicht voneinander gelöst, sind jedes für sich einen anderen Weg gegangen. Die Gedanken- und Bildassoziationen, die sich zum Beispiel bei vielen Ausdrücken aus den skandinavischen Sprachen unmittelbar einstellen, erschweren den Versuch einer Umformung in der oben genannten Weise. Wer sich selbst einmal um diese Dinge bemüht hat, hat das sicher erfahren.
Zudem steht man gerade gegenüber den nordischen Büchern oftmals vor einer absolut anderen Gedanken-, also auch Sprachwelt. Eine Dichtung, die das norwegische Bauernleben auf einsamen Höfen, die Kreise der Fischerlager im Nordland umschließt, baut sich aus einer Umwelt auf, und somit auch aus einer Formung des sprachlichen Ausdrucks, für die es in Deutschland keine Parallelen gibt.
Hier wird der Uebersetzer vor sprachliche Probleme gestellt, die sich in jeder Hinsicht befriedigend überhaupt kaum lösen lassen, für die es wohl viele versuchsweise Lösungen gibt, doch keine, die als so vollendet angesehen werden könnte, daß sie als wegweisend gilt. Hier wird der Uebersetzer bei jedem Buch wieder vor Aufgaben gestellt, die er nach eigenem Ermessen unter Einsetzung all feines Könnens, seiner Beherrschung der deutschen Sprache mit all ihren zahllosen Möglichkeiten, zu erfüllen suchen muß.
Allein die eine Frage, die vielleicht im ersten Augenblick fast müßig scheint, wie man mit der Uebertragung fremdsprachlicher Mundarten verfährt, ob man aus sie verzichten soll oder ob man den Versuch einer Uebersetzung in andere Mundarten unternimmt, umschließt eine Fülle noch gänzlich ungelöster Probleme.
Sie ist für den Uebersetzer aus den nordischen Sprachen besonders akut, in erster Linie für den Uebersetzer aus dem Norwegischen, da in der norwegischen Dichtung die Anwendung streng lokal begrenzter Mundarten nicht nur durchaus alltäglich ist, sondern in vielen Fällen als Ausdruck einer gewissen nationalen Einstellung mit Eifer gepflegt wird.
Soweit sich die Anwendung eines Dialekts auf den gesamten Text eines Buches erstreckt, ist die Frage einfach, beschränkt sie sich auf die direkten Reden allein, werden in einem Buch also zwei Sprachformen verwandt, ist das Problem in seinem ganzen Ausmaß da und drängt auf Lösung.
Unter den neu erschienenen Uebersetzungen aus nordischen Sprachen befindet sich die Uebersetzung einer Erzählung des Dänen Antonius Nielsen: „Ein Jahr“ (München, Georg Müller-Verlag). Sie ist von Dora Landkabel gegeben worden. Ueber die Erzählung an sich ist wohl nicht viel mehr zu sagen, als daß sie eine durch geschickte Einfühlung in Hamsuns „Pan“ entstandene Schilderung aus dem Leben eines Jägers ist.
Doch die Uebersetzung bietet manchen Anknüpfungspunkt. Hier hat die Uebersetzerin nämlich den Versuch gemacht, die Gespräche nicht hochdeutsch, sondern in einer westplattdeutschen Mundart wiederzugeben. Man stutzt zuerst etwas, ein Gefühl der Befremdung schleicht sich ein. Der Klang dieses Dialekts weckt eine Welt der Vorstellungen und Bilder in einem, die sich nicht ganz mit denen, die das Buch selbst Hervorrufen will, decken kann.
Wohl fehlt in diesem einen Fall die Begründung solch eines Versuchs nicht, da es sich hier um eine Sprachform und eine Landschaft aus geographisch nicht allzufernen Gebieten handelt, um Menschen, die unter ähnlichem Breitegrad leben. Und doch ergibt ein Vergleich mit einem anderen dänischen ländlichen Buch, der neuen Erzählung von Marie Bregendahl „Goldgräber Peter“ (Verlag Georg Westermann, Braunschweig), welche durchgehend in hochdeutscher Sprache übersetzt worden ist, daß um der Einheit der Sprache willen ein geschlossens, ein natürlicherer Eindruck erzielt wird.
Wie weit sich die beiden Uebersetzer an das Original gehalten haben, wie weit mundartliche Vorbilder vorgelegen haben, läßt sich ohne Einsicht in die ursprachlichen Bücher nicht sagen. Man ist, wie in fast allen derartigen Fällen auf den Eindruck der Uebertragung angewiesen, übrigens nicht ganz ohne Unrecht, denn es handelt sich jetzt für uns um das deutsche Buch.
Die Möglichkeiten, einen Dialekt mit einem anderen auszutauschen, sind bei Uebersetzungen aus der norwegischen Sprache noch geringer als aus der dänischen. Die Umwelt, die aus dem Klang einer norwegischen Mundart ersteht, läßt sich mit einer deutschen Mundart kaum fangen, da keine Gleichheit noch Aehnlichkeit der geographischen und somit auch der menschlichen Verhältnisse aufzufinden ist.
Versuche, bestimmte norwegische Mundarten und somit auch bestimmte Lebenskreise und ihre Denkungsart durch Anwendung süddeutscher, alemannischer, schweizerischer Klänge in die deutsche Sprache hinüberzuretten, sind zwar im Gange, ihre Bewährung steht aber noch aus.
Daß es der Uebersetzerin Dr. Drösser bei ihrer Uebertragung des Nordlandbuchs „Die Krabbenbucht“ von Regine Normand gelungen ist, durch Gebrauch einer Mundart, mit deren Klang sich keine landschaftlichen Vorstellungen verbinden, nämlich des Dialekts, den die vor vielen Generationen an der russischen Grenze angesiedelten Salzburger heute noch sprechen, nichts von dem nordländischen Charakter dieser Erzählung zu verlieren, spricht nicht prinzipiell für diesen Versuch. Er gelang, well sich die Mundart nicht durch Assoziationen aus ihrer Heimat gegen die Dichtung verselbständigen konnte.
Die Empfindlichkeit einer Dichtung bei Uebertragung in eine andere Sprache ist erschreckend groß. Ein einziger Ausdruck kann bereits Schuld an einem Zwiespalt zwischen dem gestalteten Bild und einer vor dem Auge des Lesers unerwartet erwachenden anderen Vorstellung sein.
Ein typisches Beispiel dafür findet sich in der Uebersetzung des neuen Islandromans von Gunnar Gunnarsson „Schiffe am Himmel“ (Albert Langen Verlag, München). Gunnarsson schildert hier die ersten Jahre seiner Kindheit mit allen Einzelheiten kindlicher Wahrnehmung.
In dieser Dichtung, deren Höhepunkte leider durch die Breite in der Wiedergabe von Gesprächen beeinträchtigt werden, haben nicht nur die Menschen, sondern auch die Räume, in denen sich das Leben während der langen Winterzeit abspielt, eine wesentliche Bedeutung.
Der Raum der Eltern, das Zimmer, in dem die Mutter sitzt, in dem man schläft, ist von dem Uebersetzer vermutlich durch einen Anklang an den dänischen Urtext mit dem Wort „Badestube“ bezeichnet worden. Durch das ganze Buch hindurch wird man von diesem Wort verfolgt. Es zerreißt immer wieder die soeben geschaffene Vorstellung von einer Stube, in der Bettstellen stehen, in der man Kaffee kocht, in der die Geschwister geboren werden, und man denkt unwillkürlich an eine Wanne und an laufende Hähne.
Dieser Fall ist ein Beispiel dafür, wie eine Geringfügigkeit, ein einziges Wort, die Vorstellungswelt eines Buches erschüttern kann, selbst wenn es, wie hier, in einer sonst ausgezeichneten Uebersetzung sieht.
Es weist zudem auf eine weitere Folge übersetzerischer Probleme hin, deren erstes Gesetz die restlose Verständlichkeit für den deutschen Leser ist, das vor der Notwendigkeit wortgetreuer Genauigkeit steht.
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Miethe war Vorstandsmitglied im BdÜ
Die in Berlin aufgewachsene und ausgebildete Bibliothekarin Käthe Miethe verbrachte einige Jahre im Ausland (Belgien, Norwegen) und war seit 1936 in Ahrenshoop (Vorpommern) als Journalistin für verschiedene überregionale Zeitungen sowie als Schriftstellerin, Kinderbuchautorin und Übersetzerin tätig.
An der Ostsee wird sie heute noch vor allem wegen ihres auch international erfolgreichen Buchs Das Fischland als moderne Heimatdichterin verehrt. Eine Bibliothek, eine Straße und eine Veranstaltungsreihe wurden nach ihr benannt.
Frauenrechtlerinnen sehen in ihr eine zeitlebens unabhängige, vollständig emanzipierte Frau, die in dörflicher Umgebung den Mut zu einer Lebenspartnerschaft mit einer Frau hatte. Bei Fembio.org heißt es: „Von denen, die sie gekannt haben, wird sie als unkonventionelle, herbe Frau mit tiefer Stimme beschrieben, die trinkfest war und gerne starke Getränke mochte.“
Käthe Miethe war Vorstandsmitglied im Literaturübersetzer-Verband Bund deutscher Übersetzer (BdÜ). Dieser konstituierte sich 1929 innerhalb des seit 1909 bestehenden „Schutzverbands deutscher Schriftsteller“ (SdS). 1931 gehörten dem BdÜ 83 Übersetzer an. Der Zusammenschluss bestand bis 1933, gilt wegen der Beschränkung auf Literaturübersetzer aber nicht als Vorläuferverband des 1955 in München gegründeten Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ), der seine Geschäftsstelle in Bonn einrichtete.
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Richard Schneider