Bündnis für Sprachmittlung im Gesundheitswesen appelliert erneut an Bundesregierung

Notarzt Ambulance Niederlande
Tatütata, der Notarzt ist da und leistet Erste Hilfe. Auch bei solchen Einsätzen ergeben sich oft genug sprachliche Hürden, die sich im Krankenhaus fortsetzen. Im Bild: Ein Notarzt-Einsatzfahrzeug in Venlo. Rettungswagen haben in den Niederlanden ein einheitliches Erscheinungsbild: leuchtend gelbe Grundlackierung mit rot-blauer Streifenbeklebung. - Bild: Richard Schneider

Im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wird derzeit an einem Gesetzentwurf gearbeitet, der Sprachmittlung im Gesundheitswesen regeln soll. Diese Entwicklung wird von vielen Seiten, so auch dem Bündnis für Sprachmittlung im Gesundheitswesen, begrüßt, da eine gesetzliche Regelung wesentlich dazu beitragen könnte, die Versorgung von Patienten mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen zu verbessern.

Eine entsprechende Regelung, die eine Abrechnung der Dolmetschkosten über die Krankenkassen ermöglichen würde, stand schon 2021 im Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Ampel-Koalition. Umgesetzt wurde dieses Versprechen bislang allerdings noch nicht, da unter anderem unklar ist, wer letztlich die Kosten übernehmen soll.

Die Krankenkassen vertreten den Standpunkt, dass man die Beitragszahler nicht mit diesen Mehrkosten belasten dürfe. Mangelnde Deutschkenntnisse seien keine Krankheit. Sie sehen vielmehr den Staat in der Pflicht, der Millionen von Einwanderern durch eine Politik der offenen Grenzen und durch finanzielle Anreize ins Land lockt.

Gefahr der Fokussierung auf maschinelle Dolmetschlösungen

Trotz der guten Absichten von SPD, Grünen und FDP wird jetzt befürchtet, dass sich der Gesetzentwurf vor allem auf unpersönliche digitale Lösungen konzentrieren könnte, bei denen etwa per App eine maschinelle Übersetzung angeboten wird.

Tatsächlich wird diese Möglichkeit im Koalitionsvertrag ausdrücklich genannt. Dort wurde vereinbart, dass „Sprachmittlung auch mit Hilfe digitaler Anwendungen im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des SGB V wird“.

„Digitale Lösungen wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz für Sprachmittler“

Das Bündnis, dem unter anderem die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Diakonie und die Berliner Charité angehören, weist deshalb jetzt in einer Pressemitteilung auf die Bedeutung der konkreten Ausgestaltung der Regularien hin:

Der Gesetzentwurf muss die differenzierten Bedarfe in diversen medizinischen Settings und Kontexten berücksichtigen. Dabei muss auch sichergestellt werden, dass digitale Lösungen eine wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz sein können.

Telefon- und Video- sowie Face-to-face-Sprachmittlung sind in bestimmten medizinischen Kontexten unverzichtbar. Generell ist eine universelle Lösung in Anbetracht der Diversität der Versorgungsangebote im Gesundheitssektor nicht zielführend.

Eine ganzheitliche und patientenzentrierte Gesundheitsversorgung erfordert entsprechende Sprachmittlungsangebote, um die Bedürfnisse von Patienten zu berücksichtigen und dem Gesundheitspersonal das Erbringen qualitativ hochwertiger Versorgungsleistungen zu ermöglichen.

Idealerweise solle der Gesetzentwurf daher die Möglichkeit einer Auswahl zwischen einer persönlichen Sprachmittlung (vor Ort, per Video oder per Telefon) sowie automatisierten digitalen Sprachmittlungslösungen (z. B. in Form einer App mit maschineller Übersetzung) umfassen. Das Bündnis erläutert:

Insbesondere in sensiblen Bereichen, wie z.B. der psychiatrischen oder onkologischen Versorgung, können rein digitale Sprachmittlungslösungen die erforderliche sprachliche Genauigkeit, die an die Situation angepasste Kommunikation sowie das Einbringen eines adäquaten, nicht stigmatisierenden kulturellen Kontextverständnisses nicht garantieren.

Balance zwischen digitalen Lösungen und persönlicher Sprachmittlung finden

Das Bündnis für Sprachmittlung im Gesundheitswesen appelliert daher an die Bundesregierung sicherzustellen, dass der Gesetzentwurf die richtige Balance zwischen digitalen Lösungen und persönlicher Sprachmittlung findet.

In seinem Positionspapier vom 14.12.2022 fordert das Bündnis den Aufbau eines Netzes aus lokalen und bundesweiten Sprachmittlungsdiensten mit geschulten Sprachmittlern. Aus diesem sollen dann persönliche sowie Video- und Telefondolmetschleistungen mit geringem organisatorischem Aufwand kurzfristig angefordert werden können.

Insbesondere wird angemahnt, den Nutzen der persönlichen Sprachmittlung nicht zu ignorieren und in die gesetzliche Regelung einfließen zu lassen.

Stimmen von Betroffenen

Im Rahmen eines „Kiosk of Solidarity“ am 05.07.2023 am Berliner Leopoldplatz hat das TransVer-Ressourcen-Netzwerk zur interkulturellen Öffnung, ein Akteur des Sprachmittlungsbündnisses, Stimmen und Meinungen von Bürgern aufgenommen, die nachfolgend beispielhaft wiedergegeben werden:

  • Frau mit Nierenerkrankung, langwierig, drei Jahre Arztbesuche, unzählige Behandlungen und Medikation, die unwirksam bleibt: „Wenn mir einmal jemand erklärt hätte, was wozu dient, wäre die Behandlung vielleicht schon abgeschlossen. Und wenn die Ärzte einmal verstanden hätten, was das Problem und die Erkrankung ist, wäre es besser gelaufen.“
  • „Ich glaube, viele haben auch Hemmungen zu telefonieren, wenn sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Das Gegenüber berücksichtigt das am Telefon nicht.“
  • Erzieherin begleitet arabischsprachige Mutter in ihrer Freizeit zum Arzt, weil diese es allein nicht geschafft hätte. Sie ist beeindruckt, wie einfach es eigentlich ist, wenn man sich die Zeit nimmt, aber wie hart die Hürden sind.
  • Frau von Befragtem wartet drei Stunden im Wartezimmer. Dann beim Arzt sagt dieser, sie spreche zu wenig Deutsch, sie brauche einen Sprachmittler. Der Arzt bleibt hart. Er hat sie nicht aufgenommen.
  • Vater eines fünfjährigen Sohnes mit Schilddrüsenerkrankung berichtet, dass er aufgrund seiner geringen deutschen Sprachkompetenzen erst beim fünften Krankenhaus einen Termin erhalten hat. Und das war großes Glück, weil die Sprechstundenhilfe selbst arabischsprachig war und bereit war zu übersetzen.
  • „In meiner Arbeit als Sozialarbeiter und Psychologe in einer Erstaufnahmeeinrichtung für geflüchtete Menschen stoße ich praktisch täglich auf Sprachbarrieren. Dringende Hilfe aus dem medizinischen Bereich und psychosozialen, aber auch dem rechtlichen Bereich kann oft nicht in Anspruch genommen werden. Dies gefährdet nicht nur die Gesundheit der Klienten, es verhindert auch deren Integration in unserer Gesellschaft. Mehr noch, es erschwert die Bewältigung der erforderlichen Schritte zur Inanspruchnahme ihrer Rechte als Bewerber um Asyl. Ich bitte daher dringlichst um den Ausbau kostenfreier Sprachmittlung. Die derzeitigen Kapazitäten sind zu gering und erschweren nicht zuletzt auch mir die Ausübung meiner Funktionen.“
  • „Ich wünsche mir mehr präventive Hilfe und nicht erst, wenn alles ganz schlimm ist, gesundheitlich.“
  • Junger Mann: Onkel hatte einen Hirntumor, wegen Sprachbarrieren konnten sie nicht mal einen Notarzt rufen. Dolmetscher, den sie organisiert haben, hat eine Rechnung von über 1000 Euro gestellt.

Die Aussagen zeigen, wie groß die Hürde der fehlenden Sprachmittlung zurzeit für Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse ist, wie belastend diese Situation für Angehörige sein kann und wie wichtig eine adäquate Lösung ist.

Bundesweites Bündnis für Sprachmittlung im Gesundheitswesen

Das Bündnis für Sprachmittlung im Gesundheitswesen ist ein offener bundesweiter Zusammenschluss von Akteuren im Gesundheitsbereich, die sich gemeinsam für die Aufnahme von Sprachmittlung in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) bzw. ins SGB V einsetzen.

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rs