„Knackige Übersetzung“: Helen-und-Kurt-Wolff-Übersetzerpreis 2024 für Jon Cho-Polizzi

Helen-und-Kurt-Wolff-Übersetzerpreis
Bild: Goethe-Institut New York

Der „Helen-und-Kurt-Wolff-Übersetzerpreis“ für eine herausragende Literaturübersetzung vom Deutschen ins Englische geht 2024 an Jon Cho-Polizzi. Die Auszeichnung ist mit 5.000 US-Dollar und einer vollständig finanzierten Reise zur Frankfurter Buchmesse dotiert. Die Übergabe erfolgt im Rahmen einer Feierstunde am 1. Oktober 2024 im Goethe-Institut New York.

Überzeugt hat die Jury die 2023 bei Restless Books erschienene Übersetzung De-Integrate! A Jewish Survival Guide for the 21st Century. Die von Max Czollek verfasste Streitschrift Desintegriert euch! erschien 2020 beim btb Verlag.

Max Czollek: Desintegriert euch!

„Knackige, ausdrucksstarke Sprache mit vielen Registerwechseln“

Die Jury schreibt in ihrer Begründung:

Wir gratulieren Jon Cho-Polizzi, dessen wunderbar selbstbewusste Interpretation englischsprachigen Lesern eine frische und kraftvolle Stimme mit einer wichtigen Botschaft vorstellt.

Max Czolleks Reflexionen über Deutschlands Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukunft, während das Land mit zunehmendem Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu kämpfen hat, fordern die Minderheitengemeinschaften in Deutschland auf, sich nicht auf das Assimilationsversprechen der dominanten Kultur einzulassen – die nur allzu bereit ist, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen – und nicht mehr an einer kitschigen Erinnerungskultur teilzunehmen.

Stattdessen empfiehlt Czollek, eine Haltung des Widerstands einzunehmen und „Anderssein“ anzunehmen, während man sich bemüht, eine wirklich pluralistische Gesellschaft zu schmieden. Daher der Titel Desintegriert Euch!

Cho-Polizzis knackige, ausdrucksstarke Sprache meistert die Herausforderungen der vielen Registerwechsel (theoretisch, akademisch, kritisch, umgangssprachlich), des Tons (von sarkastisch und humorvoll bis nachdenklich und persönlich) und der Form (Gedichte, Rap-Texte, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Reden, Stellungnahmen) des Buches auf brillante Weise.

Seine lebhafte Prosa, die sich mühelos und einladend liest, fängt den Geschmack des Originals ein und vermittelt gleichzeitig Themen von dringendem aktuellem Interesse. Seine glänzende Präsentation reicht sogar bis in die Fußnoten des Übersetzers. Max Czolleks Buch in Jon Cho-Polizzis herausragender Übersetzung wird den Lesern sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben.

Assistenzprofessor für Deutsch an University of Michigan

Jon Cho-Polizzi
Jon Cho-Polizzi – Bild: Cho-Polizzi

Jon Cho-Polizzi ist Assistenzprofessor für Deutsch an der University of Michigan in Ann Arbor. Er ist in Nordkalifornien geboren und aufgewachsen und promovierte in Deutsch und Mittelalterstudien an der University of California in Berkeley, nachdem er in Santa Cruz und Heidelberg Literatur, Geschichte und Übersetzung studiert hatte.

Seine literarischen Übersetzungen heben die Polyphonie der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur hervor. Jon lebt und arbeitet abwechselnd in Michigan, Kalifornien und Berlin.

Dreiköpfige Jury

Die Jury bestand 2024 aus Shelley Frisch, Princeton, New Jersey (Vorsitzende), Elisabeth Lauffer, Hannacroix, New York, und Philip Boehm, Houston, Texas.

Wolff-Preis musste sich in kleinerer Form neu aufstellen

Der seit 1996 vergebene Wolff-Übersetzerpreis musste 2023 ein Jahr pausieren sich in kleinerer Form neu aufstellen, weil sich das Auswärtige Amt 2023 aus der Finanzierung zurückzog. Das Preisgeld wurde von 10.000 auf 5.000 US-Dollar verringert, die Jury besteht jetzt aus drei statt zuvor fünf Personen.

Zwar wird der Wettbewerb immer noch vom Goethe-Institut New York organisiert, das Preisgeld stellt jetzt aber offenbar ein privater Förderkreis zur Verfügung, der sich Friends of Goethe New York nennt. Auf diese Weise ist es gelungen, den traditionsreichen Übersetzerpreis fortzuführen, der schon seit 28 Jahren vergeben wird.

Mehr zum Thema

Richard Schneider