Lippenbekenntnisse: „Sprachen für den Frieden“ Motto des Europäischen Tags der Sprachen 2024

Sprechblasen
Bild: Gerd Altmann / Pixabay

Auf Initiative des Europarats in Straßburg wird seit 2001 jährlich am 26. September – gemeinsam mit der Europäischen Kommission – der „Europäische Tag der Sprachen“ gefeiert. Das diesjährige Motto lautet „Sprachen für den Frieden“. Europaweit sind fast 70 größere und insgesamt mehrere Hundert Veranstaltungen und Aktionen rund um den Sprachentag geplant.

In Europa gibt es mehr als 225 autochthone Sprachen, wobei Hunderte weiterer Sprachen, die durch Migration auf den Kontinent gelangt sind, noch gar nicht eingerechnet sind.

Europa durch Achtung der Sprachenvielfalt einzigartig?

Gitanas Nausėda, Präsident der Republik Litauen, dessen Land zurzeit den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats innehat, erklärt:

Sprachliche Vielfalt, aus der sich eine bemerkenswerte kulturelle Vielfalt ergibt, ist die Grundlage des heutigen Europas. Dieses Europa ist insofern einzigartig, als es jeder Sprache, ihrer Erhaltung und ihrer Verbreitung im öffentlichen Raum besondere Aufmerksamkeit widmet.

Die Achtung aller Sprachen, selbst der am wenigsten gesprochenen, sichert unsere Gemeinschaft und hält das Projekt der europäischen Einheit lebendig, wie die in ganz Europa organisierten Veranstaltungen zeigen.

Lassen Sie uns dieses Geschenk der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in Ehren halten, in dem wir nicht nur unsere Muttersprache pflegen, sondern auch andere Sprachen lernen!

Der Europäische Tag der Sprachen verfolgt mehrere Ziele:

  • Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Bedeutung des Sprachenlernens zur Steigerung der Mehrsprachigkeit und des Verständnisses zwischen den Kulturen.
  • Förderung der reichen sprachlichen und kulturellen Vielfalt Europas.
  • Stärkung des lebenslangen Sprachenlernens im schulischen und außerschulischen Rahmen.

Die Europaratsbüros sind an der Koordinierung mehrerer Sprachenmessen beteiligt, darunter in Graz (Österreich), wo das Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarates sein 30-jähriges Bestehen feiert, in Belgrad (Serbien) in Zusammenarbeit mit den Kulturinstituten und der Europäischen Kommission und sogar in Tunis (Tunesien), wo ein vielfältiges Unterhaltungsprogramm in Verbindung mit Sprachen organisiert wird.

Ausgewählte Veranstaltungen:

  • Berlin: Konferenz über KI und das Lernen und den Gebrauch von Sprachen
  • Reims: Woche mit Veranstaltungen rund um Sprachen unter dem Titel „Vivons les langues“
  • Belgrad: Projekt „Eine Sprache vereint uns alle, es ist die Sprache der Liebe“ in einer Berufsschule für Schüler mit Entwicklungsstörungen
  • Tiflis: Quizze, Wettbewerbe, Debatten und Filmvorführungen im Rahmen der Veranstaltung ენების ევროპულიდღე
  • Kiew: Grafik- und Kunstwettbewerb
  • Rom: Veranstaltungen rund um das Motto „Sguardi e parole di Pace“

Kommentar: Bloße Lippenbekenntnisse

Die Politiker rufen seit Jahrzehnten zum Erlernen von Fremdsprachen auf, handeln aber weder persönlich noch politisch entsprechend:

  • Statt mit gutem Beispiel voranzugehen, begnügen sie sich wie der durchschnittliche Schüler mit einfachem, schlechtem Englisch.
  • Auch bildungspolitisch wird das Fremdsprachenangebot nicht ausgebaut, sondern eher reduziert.

Alle klassischen Bildungssprachen – mit Ausnahme von Englisch und Spanisch – haben es in der Schule, auf den Hochschulen und im gesellschaftlichen Leben zunehmend schwer, auch nur den Status Quo zu behaupten.

In den Schulen macht man es den Schülern immer leichter, Fremdsprachen früh abzuwählen. Latein wird seltener und Altgriechisch meist gar nicht mehr angeboten. Französisch-Kurse kommen oft nur in Kooperation mehrerer Schulen zustande.

In den Hochschulen werden die Angebote einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Fremdsprachen europaweit eher abgebaut als erweitert. Das gilt ebenso für die speziell auf künftige Übersetzer und Dolmetscher zugeschnittenen Translationsstudiengänge, die nicht erst seit dem Siegeszug der maschinellen Übersetzung einen deutlichen Rückgang der Studierendenzahlen verzeichnen.

Auch auf aktuelle Entwicklungen vermag die Politik sprachpolitisch nicht adäquat zu reagieren. Das Land bräuchte Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Berufsdolmetschern für die Sprachen Ukrainisch und Arabisch. Entsprechende Studienmöglichkeiten werden aber nicht geschaffen.

Kein Trend zur Mehrsprachigkeit, sondern zur Verkehrssprache Englisch

In den autochthonen europäischen Gesellschaften ist trotz Propagierung des Gegenteils keine Entwicklung hin zu einer zunehmenden Mehrsprachigkeit erkennbar.

Ins Auge fällt lediglich ein Trend zur Verkehrssprache Englisch, der bis zur Aufgabe der Muttersprache reicht. So werden in den Niederlanden bereits 90 (neunzig) Prozent der Masterstudiengänge nur noch in englischer Sprache angeboten.

Bahn, Reisende
Wie viele Muttersprachen drängeln sich hier im Eingangsbereich des doppelstöckigen Rhein-Ruhr-Express? – Bild: Richard Schneider

Die Mehrsprachigkeit kommt von außen

Eine tatsächlich zunehmende, ganz hautnah erlebbare Mehrsprachigkeit ergibt sich aber durch die anhaltende Massenmigration. Im öffentlichen Nahverkehr ist schon jetzt Arabisch die nützlichste Fremdsprache. Die Zahl der Sprachen, die sich bei Fahrten im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr in Hörweite identifizieren lassen, liegt selten unter fünf, wobei Deutsch nicht unbedingt die dominierende Sprache ist.

In der Bahn gilt: Je höher die Wagenklasse und je teurer die Fahrkarte, desto geringer die Sprachenvielfalt. In der S-Bahn herrscht Multikulti und babylonische Sprachverwirrung, während sich die Sprachenvielfalt in der ersten Klasse des ICE auf Deutsch und Englisch reduziert. Früher war die Oberschicht mehrsprachig, heute ist es die Unterschicht.

Die rege Reisetätigkeit der Migranten führt übrigens zu einer erfreulichen Verbreitung der deutschen Sprache bis in die hintersten Winkel Afghanistans und Syriens – ganz ohne Goethe-Institute. Eine ähnliche Entwicklung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bereits für die Türkei ergeben, wo man heute überall Einheimische mit Deutschkenntnissen findet.

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Richard Schneider