Deutschland ist schon seit etwa 2002 nicht mehr in der Lage, die im Land benötigten Ärzte in ausreichender Zahl auszubilden. Deshalb wirbt man diese zunehmend im Ausland ab.
Ein leitender Arzt eines Krankenhauses in Nordrhein-Westfalen weist jedoch im Gespräch mit der Tageszeitung Die Welt darauf hin, dass der Einsatz ausländischer Ärzte in deutschen Krankenhäusern oft mit mangelnden Sprachkenntnissen und einer unzureichenden Qualifikation einhergeht.
Kritiker „in die rechte Ecke gestellt“
Der 58-Jährige war nur unter der Zusicherung, dass sein Name und sein Arbeitsort nicht genannt werden, bereit, über die Situation in den Kliniken zu berichten. Man werde oft „in die rechte Ecke gestellt“, wenn man Missstände erwähne, die mit Migration zu tun haben.
„Ich verstehe diese Sensibilität, aber meine Kritik hat nichts mit der Herkunft der Ärzte zu tun, sondern allein mit der Qualität der Ausbildung und der Sprachkenntnisse“, so der Mediziner. Und weiter:
Ich habe auch absolut kein Problem mit ausländischen Ärzten, wenn sie gut ausgebildet und qualifiziert sind. Viele von ihnen leisten großartige Arbeit. Bei mir hat mal eine algerische Ärztin hospitiert, die sehr fähig war, ausreichend Deutsch sprach und einfach Ahnung hatte.
Wenn die Anforderungen an Sprache und Fachwissen aber nicht erfüllt werden, dann gefährdet das die Patientenversorgung.
Syrien, Jemen, Jordanien, Rumänien oder Bulgarien Hauptherkunftsländer
Nach seinen Angaben haben inzwischen zumindest an seinem Krankenhaus etwa 90 Prozent der Assistenzärzte einen Migrationshintergrund und leben erst seit Kurzem in Deutschland. Die meisten stammten aus Syrien, Jemen, Jordanien, Rumänien oder Bulgarien. Er kritisiert:
Es reicht nicht, einfach mehr Ärzte aus dem Ausland zu holen, wenn diese nicht ausreichend qualifiziert sind. Die Qualität der medizinischen Versorgung muss gewährleistet sein. Und das ist sie häufig nicht.
Die Mediziner kämen aus Ländern, in denen die medizinische Ausbildung oft nicht mit unseren Standards vergleichbar sei. Das sei nicht nur für Deutschland ein Problem, sondern auch für die Herkunftsländer, die ihre besten Fachkräfte verlören.
„Das größte Problem ist die Sprache“
Der Insider schildert, welche Schwierigkeiten sich aus mangelnden Deutschkenntnissen im Krankenhausalltag ergeben:
Das größte Problem ist die Sprache. 90 Prozent unserer Assistenzärzte kommen aus dem Ausland, davon sprechen etwa drei Viertel kein ausreichendes Deutsch, um das von der Ärztekammer geforderte Sprachniveau C1 zu erreichen. Diese Sprachbarriere führt zu gravierenden Missverständnissen – sowohl bei der Kommunikation mit den Patienten als auch unter den Ärzten.
In Konferenzen verstehen die Kollegen häufig nicht, was besprochen wird. Es herrscht dann eine bedrückende Stille im Raum, und man merkt, dass niemand etwas sagen will. Die deutschen Kollegen schauen dann teils verlegen auf den Boden, weil es unangenehm ist, jemanden zu kritisieren, der offensichtlich überfordert ist. Manchmal greift auch niemand ein, weil man schnell in die rechte Ecke gestellt werden könnte, wenn man die sprachlichen Defizite anspricht. […]
Ein besonders dramatisches Beispiel war der Fall eines Krebspatienten, der in die Notaufnahme kam. Er hatte bereits eine bekannte Tumorerkrankung, aber der zuständige Assistenzarzt – ein Kollege aus dem Ausland – erkannte den Ernst der Lage nicht, weil er den Patienten schlichtweg nicht verstand.
Er schickte den Patienten mit Rückenschmerzen nach Hause, obwohl klar war, dass seine Beschwerden auf Metastasen zurückzuführen waren. Wenige Wochen später kam der Patient mit einer inkompletten Querschnittlähmung zurück in die Klinik. Die Verzögerung hat seine Prognose massiv verschlechtert.
Klinikleitung beschwichtigt
Auf die Frage, wie die Verantwortlichen in solchen Fällen reagieren, sagt der Arzt:
Leider verweist die Klinikleitung nur darauf, dass wir einen Fachkräftemangel haben und froh sein müssen, dass überhaupt jemand die Stellen besetzt. Die Verantwortlichen wissen um die Probleme, aber es gibt kaum Konsequenzen oder Verbesserungen.
Es fehlt an qualifizierten Ärzten, und deshalb wird jede Hilfe genommen, selbst wenn sie nicht den Anforderungen entspricht. Das führt dazu, dass die Oberärzte enorm belastet sind, weil sie ständig die Fehler der Assistenzärzte ausbügeln müssen.
Ärztekammer verlangt bei Antragstellung nur Sprachniveau B2
Die Bundesärztekammer teilte der Zeitung auf Anfrage mit, dass bei Antragstellung auf Approbation und Berufserlaubnis Prüfungsnachweise über ausreichende Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2 verlangt werden. Seit 2014 würden zusätzlich auch Fachsprachprüfungen auf dem Niveau C1 abgenommen.
Diplome aus Drittstaaten werden vor der Anerkennung einer Gleichwertigkeitsprüfung unterzogen. Bei wesentlichen Abweichungen müssen ausländische Ärzte eine Kenntnis- oder Eignungsprüfung ablegen.
Was tun?
Auf die Frage, wie man die Probleme aus der Welt schaffen könne, antwortet der interviewte Klinikarzt:
Zunächst einmal bräuchten wir mehr Medizinstudienplätze in Deutschland. Es kann nicht sein, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt nicht genügend Ärzte ausbilden.
Die jungen deutschen Ärzte, die wir haben, wandern oft ins Ausland ab, weil die Arbeitsbedingungen hier so unattraktiv sind. Länder wie die Schweiz, Skandinavien oder die USA bieten deutlich bessere Bedingungen. Es müsste dringend etwas getan werden, um den Beruf in Deutschland wieder attraktiver zu machen.
- 2014-01-08: NRW beauftragt Ärztekammern mit Durchführung von Sprachtests für ausländische Ärzte
- 2012-11-10: Krankenhausdirektoren: „Mangelnde Deutschkenntnisse ausländischer Ärzte Gefahr für Patienten“
Richard Schneider, Quelle: Die Welt, 17.10.2024