Genetischer Ursprung der Indoeuropäer: Missing Link in Geschichte der IE-Sprachen entdeckt?

DNA
Bild: Gerd Altmann / Pixabay

Wo liegt der Ursprung der indoeuropäischen Sprachfamilie? Ron Pinhasi und sein Team vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien haben in Zusammenarbeit mit David Reich von der Harvard University ein neues Stück zur Lösung dieses Puzzles gefunden.

Sie analysierten alte DNA von 435 Menschen aus archäologischen Stätten in ganz Eurasien zwischen 6.400 und 2.000 vor Christi Geburt. Die Forscher fanden heraus, dass eine neu entdeckte Population aus der Gegend des Kaukasus und der unteren Wolga mit allen Populationen in Verbindung gebracht werden kann, die indoeuropäische Sprachen sprechen. Die neue Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

Ursprung und Ausbreitung teils noch ungeklärt

Die mehr als 400 indoeuropäischen Sprachen (IE), zu denen wichtige Gruppen wie das Germanische, Romanische, Slawische, Indo-Iranische und Keltische gehören, werden heute von fast der Hälfte der Weltbevölkerung gesprochen.

Historiker und Sprachwissenschafter untersuchen seit dem 19. Jahrhundert die Ursprünge und die Ausbreitung der aus dem Proto-Indoeuropäischen (PIE) hervorgegangenen Sprache, da es hier immer noch Wissenslücken gibt. In jüngerer Zeit bringt auch die Genetik Licht ins Dunkel.

In der neuen Studie, an der auch Tom Higham und Olivia Cheronet von der Universität Wien beteiligt sind, wurde das Erbgut von 435 Individuen aus archäologischen Stätten in ganz Eurasien aus der Zeit zwischen 6.400 und 2.000 vor Christus analysiert.

Verbreitung der IE durch Migration aus pontisch-kaspischen Steppen?

Frühere genetische Studien hatten gezeigt, dass sich die Yamnaya-Kultur (3.300 – 2.600 v. Chr.) beginnend 3.100 v. Chr. aus den pontisch-kaspischen Steppen nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meers sowohl nach Europa als auch nach Zentralasien ausbreitete. Dies erklärt das Auftreten von „Steppenvorfahren“ in menschlichen Populationen in ganz Eurasien zwischen 3.100 und 1.500 v. Chr.

Diese Migrationen aus den Steppen hatten von allen demografischen Ereignissen der letzten 5.000 Jahre die größten Auswirkungen auf das Genom des europäischen Menschen und werden weithin als wahrscheinliche Träger für die Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen angesehen.

Nur Anatolisch und Hethitisch ohne Steppenvorfahren

Der einzige Zweig der indoeuropäischen Sprachen (IE), der davor keine Vorfahren aus der Steppe aufwies, war das Anatolische, einschließlich des Hethitischen, das sich wahrscheinlich als ältester Zweig abspaltete und sprachliche archaische Muster bewahrte, die in allen anderen IE-Zweigen verloren gingen.

Frühere Studien hatten bei den Hethitern keine Vorfahren aus der Steppe gefunden, weil die anatolischen Sprachen, so die neue Studie, von einer Sprache abstammten, die von einer „neuen“ Gruppe gesprochen wurde, die bisher noch nicht ausreichend erforscht worden war: nämlich einer endneolithischen Bevölkerung, die 4.500 bis 3.500 v. Chr. in den Steppen zwischen dem Nordkaukasus und der unteren Wolga lebte.

Wenn die genetischen Daten dieser neu anerkannten Kaukasus-Niederwolga-Population (CLV) als Quelle herangezogen werden, weisen mindestens fünf Individuen in Anatolien, die vor oder während der hethitischen Ära datiert wurden, diese CLV-Abstammung auf.

Sprachliche Vorfahren des Hethitischen und aller späteren IE-Sprachen

Die neue Studie zeigt, dass die Yamnaya-Bevölkerung zu etwa 80 Prozent von der CLV-Gruppe abstammt, die wiederum zu mindestens einem Zehntel von bronzezeitlichen Zentralanatoliern abstammen, die Hethitisch sprachen.

„Die CLV-Gruppe kann daher mit allen IE-sprechenden Populationen in Verbindung gebracht werden und ist der wahrscheinlichste Kandidat für jene Bevölkerung, die Indo-Anatolisch sprach: den sprachlichen Vorfahren sowohl des Hethitischen als auch aller späteren IE-Sprachen“, erklärt Ron Pinhasi.

Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass die Integration der proto-indoanatolischen Sprache – die sowohl von anatolischen als auch von indoeuropäischen Völkern gesprochen wurde – zwischen 4.400 und 4.000 v. Chr. ihren Höhepunkt erreichte.

Wendepunkt in Suche nach Ursprüngen

Pinhasi resümiert: „Die Entdeckung der CLV-Bevölkerung als ‚Missing Link‘ in der indoeuropäischen Geschichte markiert einen Wendepunkt in der 200 Jahre alten Suche nach den Ursprüngen der Indoeuropäer und den Wegen, auf denen sich diese Menschen über Europa und Teile Asiens ausbreiteten.“

Weiterführender Link

  • Ron Pinhasi, David Reich, Iosif Lazaridis, Nick Patterson, David Anthony, Leonid Vyazov, et al. (2025): „The genetic origin of the Indo-Europeans„, in: Nature, 05.02.2025. DOI: 10.1038/s41586-024-08531-5 (Bezahlschranke).

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Theresa Bittermann (Universität Wien)

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