Norma Keßler als BDÜ-Präsidentin verabschiedet – Amt bis auf Weiteres vakant

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Am 5. und 6. April 2025 trafen sich in Saarbrücken rund 45 Delegierte der nach der Liquidierung der Landesverbände Thüringen und Rheinland-Pfalz nur noch zehn Mitgliedsverbände des BDÜ zur Frühjahrsversammlung. Turnusgemäß wurde diese vom Landesverband Saar ausgerichtet.

Auf der Mitgliederversammlung ist die langjährige BDÜ-Präsidentin Norma Keßler aus Aschaffenburg verabschiedet worden, wie es in einer Mitteilung des Verbands heißt:

Mit viel Applaus und großem Dank verabschiedeten die Delegierten schließlich die bisherige Präsidentin Norma Keßler, die den BDÜ mit immensem Engagement und Durchhaltevermögen durch insgesamt sieben für den Verband äußerst herausfordernde Jahre manövriert hat und die nach drei Amtsperioden nicht erneut zur Wiederwahl stand.

Keßler 20 Jahre in verschiedenen Funktionen für Verband tätig

Keßler kann auf ein ununterbrochenes Engagement für die Berufsgruppe von über zwei Jahrzehnten zurückblicken:

  • Von 2006 bis 2009 wirkte sie im Vorstand des Landesverbands Bayern.
  • Dem Bundesvorstand gehörte sie von 2009 bis 2016 an und verantwortete damals die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
  • Anschließend war sie zwei Jahre für den BDÜ-Fachverlag tätig.
  • 2018 wurde sie als Nachfolgerin von André Lindemann zur Präsidentin des Bundesverbands gewählt.

Präsidentenamt bleibt vorerst unbesetzt

Normalerweise wird das Präsidentenamt gleichzeitig mit dem Ausscheiden des früheren Amtsträgers neu besetzt, zumal es in der Satzung heißt: „Jedes Bundesvorstandsmitglied bleibt so lange im Amt, bis ein Nachfolger gewählt ist.“ Dies geschah jetzt – im 70. Jahr des Vereinsbestehens – erstmals nicht. Dazu heißt es in der Mitteilung:

Die Entscheidung über die Nachfolge im Präsidentenamt wurde vorerst zurückgestellt, um zunächst die favorisierten Modelle der künftigen Verbandsstruktur, die sich unterschiedlich auf die Aufgabenverteilungen im Gesamtverband auswirken können, weiter auszuarbeiten.

Bis dahin wird der BDÜ e.V. satzungsgemäß durch die Vizepräsidentinnen bzw. den Vizepräsidenten des Bundesvorstands vertreten.

Offenbar war niemand bereit, das höchste Amt zu übernehmen. Und möglicherweise wird für die Zukunft eine andere Art der Verbandsleitung in Erwägung gezogen.

Petitesse oder Super-GAU?

Der jetzt eingetretene „kopflose“ Zustand gehört zu den Horrorszenarien aller rund 30 Übersetzerverbände im deutschsprachigen Raum, vor allem der kleineren. Die Situation drohte sowohl außerhalb des BDÜ als auch innerhalb bei den Mitgliedsverbänden bereits mehrmals, konnte bislang letztendlich aber immer abgewendet werden.

Einen dauerhaften Ausweg finden kleine Verbände meist im Zusammenschluss mit einem Nachbarverband, wie dies zuletzt bei den BDÜ-Landesverbänden Thüringen (zu BDÜ Ost) und Rheinland-Pfalz (zu BDÜ Hessen) geschehen ist.

Geht das überhaupt? Was sagt die Satzung?

Für den BDÜ-Bundesverband sieht die Situation laut Satzung wie folgt aus:

§ 6 Organe

Organe des BDÜ sind:
1. die Mitgliederversammlung und
2. der Vorstand [nachfolgend „Bundesvorstand“].

§ 14 Bundesvorstand

1. Der BDÜ wird gerichtlich und außergerichtlich durch den Präsidenten oder durch den Bundesschatzmeister und einen Vizepräsidenten oder durch zwei Vizepräsidenten vertreten.
2. Der Bundesvorstand besteht aus dem Präsidenten, mindestens zwei Vizepräsidenten und dem Bundesschatzmeister.
[…]
5. Jedes Bundesvorstandsmitglied bleibt so lange im Amt, bis ein Nachfolger gewählt ist.

§ 15 Zuständigkeit des Bundesvorstandes

3. Der Präsident leitet den Bundesvorstand. Er ist für die Einhaltung der Satzung und der Beschlüsse der Mitgliederversammlung sowie des Bundesvorstandes verantwortlich.

Vertretung des Präsidenten durch zwei Vizepräsidenten möglich

Der BDÜ kann durchaus statt durch den Präsidenten durch zwei andere Mitglieder des Vorstands vertreten werden. Entweder durch den Schatzmeister und einen Vizepräsidenten oder durch zwei Vizepräsidenten. Die Handlungsfähigkeit des Vorstands wird dadurch nicht eingeschränkt. Aber es müssen immer zwei Vorstandsmitglieder gemeinsam handeln, was die Abläufe erschwert.

Bundesvorstand satzungsgemäß besetzt?

Die Satzung zeigt aber auch, dass der Bundesvorstand zurzeit nicht ordnungsgemäß besetzt ist. Denn er hat keinen Präsidenten, obwohl die Satzung dies vorschreibt. Es gibt nicht einmal einen Interimspräsidenten.

Erstaunlich ist für Außenstehende auch, dass die bisherige Präsidentin verabschiedet werden konnte und die Geschäfte von ihr offenbar nicht zumindest kommissarisch weiterführt werden. Obwohl es in der Satzung heißt, dass jedes Bundesvorstandsmitglied so lange im Amt bleibt, bis ein Nachfolger gewählt ist.

Kurzfristig unproblematisch, mittel- und langfristig gefährlich

Besteht ein solcher Zustand nur vorübergehend, z. B. wenn der Präsident erkrankt oder verstorben ist, scheint dies unproblematisch zu sein.

Mittelfristig bestehe aber Handlungsbedarf, wie es auf Websites zum Vereinsrecht heißt. In der Satzung vorgesehene Vorstandsmitglieder seien in solchen Fällen zeitnah nachzubesetzen. Eine kommissarische Besetzung sei nur zulässig, wenn die Satzung dies vorsehe.

Zu Problemen mit dem Vereinsregister könne es kommen, wenn ein Vorstandsposten längere Zeit vakant bleibe. Wie lange das Gericht die Vakanz akzeptiere, liege in seinem Ermessen. Es könne eine Frist zur Neubestellung des Vorstandspostens setzen und bei deren Verstreichen Zwangsgelder verhängen. Fände sich dauerhaft niemand für das in der Satzung vorgesehene Amt, bleibe nur die Auflösung des Vereins.

Vier neue Köpfe im BDÜ-Bundesvorstand

Bei den turnusmäßigen Wahlen für einen Teil der Vorstandsämter stellten sich vier neue Kandidaten zur Verfügung, sodass der Bundesvorstand nun aus acht Personen besteht, wie der Verband mitteilt:

Verstärkt wird der bestehende Bundesvorstand aus Dr. Luisa Callejón, Jerzy Czopik, Cornelia Rösel und Schatzmeisterin Alice Rollny künftig durch Beatrix Luz (Dolmetschen), Dr. Zahra Samareh (Aus- und Weiterbildung) sowie Isabelle Hofmann und Uta Stareprawo, mit denen nun auch wieder das schon länger vakante – und vor allem mit Blick auf die massiven Veränderungen in Branche, Berufen und Verbandsaufgaben ungemein wichtige – Ressort Kommunikation besetzt werden konnte.

Öffnung für Quereinsteiger?

Angesichts stagnierender und künftig sinkender Mitgliederzahlen will sich der Verband offenbar für Sprachmittlergruppen öffnen, die er bis vor Kurzem noch verschmäht hat:

Angesprochen wurden auch die Möglichkeiten, die BDÜ-Mitgliedschaft für Quereinsteiger ohne einschlägigen translationswissenschaftlichen Hochschulabschluss attraktiver zu gestalten, sowie eine Weiterentwicklung der außerordentlichen Mitgliedschaft.

Interne Strukturreform seit Jahrzehnten überfällig

Neben den turnusmäßig anstehenden Wahlen ging es bei der zweitägigen Versammlung hauptsächlich um die Frage, wie sich der mit mehr als 7.000 Mitgliedern größte deutsche Berufsverband für Übersetzer und Dolmetscher strukturell für die Zukunft aufstellen sollte:

Im Mittelpunkt der Diskussionen in der Landeshauptstadt Saarbrücken stand insbesondere der Austausch darüber, wie sich der größte Dolmetscher- und Übersetzerverband Deutschlands eine schlagkräftige Aufstellung für den Weg in die Zukunft mit ihren vielfältigen – und nicht gerade kleinen – Herausforderungen geben kann.

Hierzu wurde insbesondere die Diskussion verschiedener Modelle für die interne Verbandsorganisation weitergeführt, die in den vergangenen Monaten ausgearbeitet worden waren und nun in verschiedenen Evaluierungsstufen für eine möglichst zügige Umsetzung weiter konkretisiert werden sollen.

Strukturreformen werden im BDÜ seit mindestens den 1990er Jahren diskutiert. 2012 wurde gar bei der Unternehmensberatung „Hommerich Forschung“ eine Analyse der Organisationsstruktur in Auftrag gegeben, die jedoch keine neuen Erkenntnisse und nur wenige verwertbare Ergebnisse und Vorschläge erbrachte.

Das einzig Gute an der gegenwärtigen Situation ist, dass nun auch dem letzten Funktionsträger klar werden dürfte, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann.

Zu wirklich großen Schritten, etwa der Umwandlung der föderalen in eine zentrale Struktur mit einem einzigen, aber dafür sehr viel besser ausgestatteten Vorstand (anstelle der zurzeit 11 Vorstandsgremien), scheint beim BDÜ aber noch niemand bereit zu sein.

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Richard Schneider

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