
Aus der Dortmunder Zeitung vom 7. Dezember 1915 (zusätzliche Absätze und Zwischenüberschriften eingefügt):
*
Der Dolmetscher im Kriege
Von Dolmetscher F. W. Koebner
oken. Die deutsche Armee verfügt über einen Stab von Dolmetschern jeder Art, dessen Organisation erst durch die Praxis dieses Krieges zu einer vorbildlichen geworden ist. In Frankreich tragen die Militärdolmetscher besondere Uniformen, in Deutschland tragen sie die Uniform der Truppenteile, denen sie angegliedert sind.
Vielfach sind die Arten und durch sie bedingten Verwendungsmöglichkeiten der Dolmetscher.
Der Felddolmetscher
Da ist zunächst der Felddolmetscher. Er ist vollständig lehmgrauer Feldsoldat. Zu denjenigen seiner Arbeiten, die hier genannt werden können, gehört das Verhör von Gefangenen und Überläufern, auch während des Kampfes.
Und daran anschließend sitzt der Felddolmetscher bei flackerndem Lichtstumpf die Nächte hindurch in seinem Unterstand und übersetzt beim Krachen der Geschütze die feindlichen Tagebücher.
Das Verhör der Gefangenen ist nicht ganz einfach. Erstens bedingt es an „Trommelfeuer“ gewohnte Nerven. Dann erfordert es neben ziemlich völliger Beherrschung der Sprache, des „Argots“, der Dialekte einige Schlagfertigkeit, denn zwischen der bereitwilligen Angabe der Gefangenen und dem Verweigern der Aussage liegt die bewußte Irreführung. Viel Ruhe hat der Felddolmetscher jedenfalls nicht, denn in den Gefechtspausen beginnt seine eigentliche Arbeit.
Der Etappendolmetscher – von „spaßigen Dingen“ bis zum Kriegsgericht
Wesentlich besser ergeht es seinem Kollegen, dem Etappendolmetscher. Der kann mit festem Quartier, geheizter Stube und warmem Essen rechnen. Der kann das Glück haben, in einer großen Stadt des besetzten Gebiets (Brüssel, Warschau, Lille etc.) zu sitzen.
Seine Tätigkeit besteht vornehmlich im Verkehr mit den Einwohnern des betreffenden Gebietes. Einen großen Teil seiner Zeit nimmt seine Tätigkeit bei Kriegsgerichten in Anspruch. Wie viele kleine Ortschaften gehören oft zu einer Etappen-Inspektion, wo kein Tag vergeht, an dem nicht die spaßigsten Dinge sich ereignen.
Da kommt eines Tages in einem idyllischen französischen Städtchen ein altes Mütterchen auf die Kommandantur. Sie bringt einen Brief für ihren Sohn, der in einem französischen Territorial-Regiment an der Front steht. Sie bittet um die Beförderung und kann nicht verstehen, daß das Werk so vieler Stunden Arbeit zurückgewiesen werden muß.
Und ein Bauer im blauen Kittel, mit struppigem Spitzbart und kurzer Pfeife bringt eine Kuh herbei, um sie zu verkaufen. Er bindet sie unten an einen Pfosten und bittet den Zahlmeister, sie durchs Fenster zu besichtigen.
Und wieder ein anderer will die städtischen Gutscheine in deutsches Geld umwechseln. Es ist ihm doch sicherer.
Manch heitere Episode würzt die Tätigkeit des Dolmetschers in der Etappe und schafft einen Ausgleich für die wirklich schweren Stunden vor dem Kriegsgericht, wenn verblendete, verzweifelte Menschen um ihr Leben kämpfen und mit allen Mitteln gewandter Dialektik in ihrer Sprache letzte Ausflüchte versuchen.
Dolmetscher im Kriegsgefangenenlager
Noch eine Stufe besser steht sich der Dolmetscher in dem Kriegsgefangenenlager. Ihm liegt als Hauptarbeit die Prüfung einer Korrespondenz von tausenden von Briefen ob, die seine Gefangenen schreiben oder empfangen.
Und besonders die schönen Französinnen, Engländerinnen und Russinnen beschränken sich in keiner Weise darauf, in ihren Briefen von dem schlechten Befinden der „Tante Française“, der „Faulheit“ des „Onkels John“ oder der Krankheit „Vater Iwans“ zu sprechen, sie versuchen mit allerhand Mitteln die Übermittelung verbotener Nachrichten, so daß die Kontrolle der Briefe und der zahlreichen Pakete viel Mühe erfordert.
Vereidigte Militärdolmetscher und zivile Dolmetscher
Die sämtlichen vorgenannten Dolmetscher sind als Soldaten vereidigte Militärdolmetscher. Neben ihnen gibt es noch eine Anzahl nicht im militärpflichtigen Alter stehende Zivil-Dolmetscher, mit denen die Heeresverwaltung einen besonderen Anstellungsvertrag schließt.
„Große Sprachkenntnisse des deutschen Volkes“ zahlen sich aus
Die großen Sprachkenntnisse des deutschen Volkes haben hier unseren Feinden gegenüber wieder einmal ihren hohen Wert erwiesen. Eine große Zahl von geprüften Dolmetschern steht dem Kriegsministerium zur Verfügung.
Es gibt kaum eine Sprache, für die Dolmetscher nicht vorhanden wären. Und neben Französisch, Englisch und Russisch, sowie den vielen Sprachen des russischen Riesenreiches ist ja auch Italienisch und Türkisch und neuerdings Serbisch und Bulgarisch erforderlich.
Bedeutung des Dolmetscherwesens zeigte sich erst im Krieg
Die Wichtigkeit des Dolmetscherwesens ist vor dem Kriege, wie viele Abteilungen des weitverzweiten Apparates des deutschen Heeres, fast unbekannt und vollständig unausgeprobt gewesen.
Erst einem Weltkriege blieb es vorbehalten, sie zu entdecken und in jener Vorbildlichkeit auszubauen, die stets das besondere Mißfallen unserer Feinde erregt hat.
- 2023-11-22: Kinderdolmetschen im Ersten Weltkrieg: „kleiner Dolmetsch bringt gefangenen Russen ein“
- 2022-03-11: „Viel erstrebt und umstritten“ – Der Dolmetscherberuf im Jahr 1926
- 2020-03-29: Systemrelevant: Sprachmittlerberuf rückt 1943 „in Vordergrund der öffentlichen Betrachtung“
Richard Schneider