
Goethe war nie in Japan, dennoch ist er im Land der aufgehenden Sonne präsent. In Tokio gibt es einen Goethe-Park und einen Goethe-Weg. Nicht nur durch die Übersetzung seiner Werke, sondern auch durch vielfältige Anime- und Manga-Adaptionen ist er den Japanern bekannt.
Das erfolgreiche Erstlingswerk Goethes Die Leiden des jungen Werthers wurde in Japan als ein Medium nationaler Selbstfindung geachtet. Der erste deutsche Bestseller repräsentierte eine Erfolgsgeschichte, in der deutsches Literatur- und Kulturgut zu europäischer wie weltweiter Beachtung aufstieg.
Auch der im Faust thematisierte Konflikt zwischen dem Streben nach Wissen und moralischer Verantwortung fand Resonanz in Japan.
Kabinettausstellung im Goethe-Museum Düsseldorf
Anlässlich des Japan-Tags und des Internationalen Museumstags präsentiert das Düsseldorfer Goethe-Museum im Mai und Juni 2025 eine Sonderausstellung zur interkulturellen Literaturbeziehung zwischen Deutschland und Japan.
Bei der Eröffnung am 17. Mai 2025 sprach Museumsdirektor Dr. Boris Roman Gibhardt ein Grußwort, anschließend führte Regina Müller, wissenschaftliche Volontärin des Museums und Kuratorin der Kabinettausstellung, in das Thema ein.



Unter Exponaten auch Übersetzungen
Ausgestellt werden Erstübersetzungen der literarischen Werke Goethes, deren Adaptionen als Manga (japanische Comics) und weitere überraschende Goethe-Bezüge aus Japan. Illustrationen aus dem Goethe-Archiv in Tokio zeigen unter anderem den Dichter im Kimono.
Der Kimono als traditionelles, aber auch zeitloses Kleidungsstück kann wie ein Buch eine Geschichte erzählen. Den kunstvollen Mustern, Stickereien und handgemalten Motiven ist eine tiefe Verbundenheit mit der Natur und ein kulturelles Selbstbildnis abzulesen. Der Kimono ist ein Symbol für den Austausch zwischen Japan und der Welt – ähnlich wie es für Deutschland Goethes Werke sind.
Daher wurde dieses Kleidungsstück auf der Vernissage durch Roxanne Draeger ausführlich vorgestellt und in verschiedenen Varianten präsentiert. Sie ist stellvertretende Leiterin des Kimono-Clubs der Heinrich-Heine-Universität. Eine Freiwillige aus dem Publikum wurde entsprechend eingekleidet.



Wolfgang Nitz schreibt in seinem Aufsatz „Goethe in Japan“ (erschienen 1999 in Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in Europa):
Goethe hat Japan kaum zur Kenntnis genommen. In seinem ‘Vorschlag zur Einführung der deutschen Sprache in Polen’ erwähnt Goethe zwar Kaempfers Besuch am Hofe des Shoguns, und man kennt natürlich sein berühmtes Gedicht über den Gingkobaum, […], aber damit erschöpft sich schon Goethes Interesse an Japan, das ungleich größer gewesen wäre, hätte er seinen späteren Ruhm in diesem weitentfernten Lande auch nur annähernd voraussehen können […].
Heute ist Goethe in Japan bekannt wie Grimms Märchen oder Beethovens neunte Symphonie, die zu einer Art inoffizieller Neujahrshymne Japans geworden ist.
Wie erklärt sich die große Popularität Goethes in Japan? […] Zunächst einmal scheint ein Blick auf die Liste der Übersetzungen Goethescher Werke ins Japanische den Eindruck zu bestätigen, daß die Goethesche Popularität in Japan ein unmittelbares Ergebnis seines hohen Bekanntheitsgrades im Ausland ist.
Am häufigsten wurden Die Leiden des jungen Werthers ins Japanische übersetzt, wohl auch in Deutschland neben dem Faust Goethes bekanntestes Buch, obwohl man annehmen könnte, daß zwei gleichfalls sehr früh übersetzte Werke, nämlich Faust und Hermann und Dorothea den Japanern in der Umbruchszeit der Meiji-Ära mehr zu sagen gehabt hätten als die Werthersche Biedermeier-Idylle/-Tragödie. […]
Zweifellos haben bei der Entscheidung, ob und welche Werke Goethes ins Japanische übersetzt werden, auch persönliche Vorlieben der Übersetzer und der frühen japanischen Germanisten eine große Rolle gespielt, doch wird man bei allen Einschränkungen feststellen müssen, daß Goethe und Werther in Japan populär wurden, weil sie es in Deutschland waren.


Stefan Keppler-Tasaki hat zum Thema 2020 ein Buch geschrieben: Wie Goethe Japaner wurde – Internationale Kulturdiplomatie und nationaler Identitätsdiskurs 1889–1989.
Dort heißt es in der Einführung:
Was das Japanische an Japan sei, haben mehrere Intellektuellengenerationen in Tokyo und Kyoto mit dem undeutschen Deutschen von Weimar zu bestimmen versucht.
- Schriftsteller wie Mori Ōgai und die Japanischen Romantiker wollten gerade durch Goethe zum Bewusstsein japanischer Werte gelangen.
- Zen-Buddhisten wie Nishida Kitarō und D. T. Suzuki fanden bei ihm ihre tiefsten Überzeugungen bestätigt.
- Zur Suizidkultur hatte Goethe, der Japaner, ebenso viel beizutragen wie zum ästhetischen Lebensstil. […]
Wie Goethe Japaner wurde beschreibt Vorgänge der Nostrifizierung, in denen das zugrunde gelegte Wir laut Keppler-Tasaki zugleich erstmals ausbuchstabiert wurde.
Die Studie zeigt, wie Weltliteratur in den deutsch-japanischen Beziehungen ein doppeltes Potenzial entfalten konnte:
- „als Währung, die unter unwahrscheinlichen Verständigungsbedingungen Vertrauen genießt,“
- „und als Medium, das kulturelle Selbstverständigung auch in anderen sozio-politischen Zusammenhängen als denen seiner jeweiligen Ausgangskultur ermöglicht“.
Ausstellungsdaten
- ゲーテ (Gēte): Goethe in Japan
Kabinettausstellung von Regina Müller im Goethe-Museum Düsseldorf.
18. Mai bis 15. Juni 2025, jeweils 11:00 Uhr bis 17:00 Uhr.
Der Eintritt ist frei.
Richard Schneider