150 Jahre Thomas Mann: Achim Hölter dokumentiert die Übersetzungen von „Der Zauberberg“

Thomas Mann 1929
Thomas Mann im Jahr 1929. - Bild: Nobel Foundation, gemeinfrei, verfremdet von UEPO

Heute hat er Geburtstag, und zwar den einhundertfünfzigsten. Im Jahr 2025 feiert das deutsche Feuilleton den runden Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann (6. Juni 1875 – 12. August 1955). Kritische Töne sucht man dabei vergebens, denn das gesamte gesellschaftliche Spektrum scheint sich voller Hochachtung vor ihm zu verneigen.

Die großbürgerliche Elite sieht in ihm einen der ihren. Die Bildungsbürger feiern ihn als Großschriftsteller, der zweifellos zum Bildungskanon gehört. Konservative Patriarchen erkennen in Thomas Mann ein idealtypisches Familienoberhaupt. Die Freunde der deutschen Sprache verehren den Meister der verschlungenen Schachtelsätze als echten Könner.

Erstaunlich ist, dass selbst gesichert linksextreme Blätter, die Sympathien für die Schlägertruppe der Antifa hegen, nicht über die vorangehend aufgezählten Aspekte mosern, denn der Literat aus Lübeck war, als es darauf ankam, nachweislich Antifaschist.

Und auch die LGBTQIA+-Community ist voll des Lobes, denn sie halten den sechsfachen Vater für „queer“. Wegen einiger als homoerotisch interpretierbaren Passagen in seinem Werk und Bekenntnissen zu jener „Gefühlsart“ bzw. „Gefühlsrichtung“ (Mann in einer Korrespondenz an Carl Maria Weber) in seinen posthum veröffentlichten Briefen und Tagebüchern.

Zauberberg mindestens 60 Mal übersetzt

Achim Hölter
Prof. Dr. Achim Hölter – Bild: Uni Wien

Achim Hölter, der in Wien lehrende Professor für vergleichende Literaturwissenschaft, hat vor einigen Monaten am Beispiel von Manns Der Zauberberg näher untersucht, wie oft und in welche Sprachen dieses weltbekannte Werk bisher übersetzt wurde.

Der Zauberberg ist ein dickes Buch. Gebunden kommt der Roman auf mindestens 750 Seiten, in der Taschenbuchausgabe sind es gar 1072. Die ungekürzte Hörbuchfassung hat eine Laufzeit von mehr als 38 Stunden, es sind aber auch zurechtgestutzte Versionen von 18 Stunden in Umlauf.

Nachfolgend einige Auszüge aus Hölters Aufsatz, der als Open-Access-Volltext im Netz abrufbar ist (siehe Link weiter unten). Wir haben hier zur besseren Online-Lesbarkeit lediglich einige Absatzeinteilungen und zwei Zwischenüberschriften eingefügt.

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Die Übersetzungen von Thomas Manns „Der Zauberberg“

Als Thomas Manns Der Zauberberg 1924 erschien, dauerte es nicht allzu lange, bis das im zweibändigen deutschen Original 578 und 679 Seiten umfassende Buch in andere Sprachen übersetzt wurde; noch im selben Jahr erschien der große Zeitroman auf Ungarisch.

Zweifellos war für das Interesse der literarischen Weltöffentlichkeit schon der Erfolg der Buddenbrooks (1901) verantwortlich, mit deren Titel der inzwischen beinahe fünfzigjährige Autor allgemein in Verbindung gebracht wurde.

Wenn dies auch der Roman war, für den Thomas Mann offiziell 1929 der Literaturnobelpreis verliehen wurde, so ist doch ebenfalls allgemein akzeptiert, dass diese Zuerkennung wesentlich, mindestens aber als Auslöser, dem zweiten Welterfolg, eben dem Zauberberg zu verdanken war […].

Komplexe Aufgabe für Übersetzer – nicht nur wegen der Länge

Der Roman bietet eine Reihe interessanter Spezifika, gerade, was das Übersetzen angeht, angefangen beim Titel, der in den indoeuropäischen Sprachen beinahe abwechselnd mit der Wurzel „Zauber-“ und dem Attribut „magisch“ gebildet wird (wobei sich mal die eine, mal die andere Variante durchsetzt – beispielsweise war der erste französische Teildruck in der Übersetzung von Georges Peÿ 1925 La montagne enchantée betitelt, während es später bei La montagne magique blieb), über die Frage, wie die leise Ironie des Erzählers gegenüber seinem Helden und wie dessen lethargisches Interesse an den verschiedensten Bildungsimpulsen sprachlich spürbar gemacht werden, über das Faktum, dass man sich das Sanatorium Berghof geradezu als Prototyp des kosmopolitischen und damit auch vielsprachigen Europa am Vorabend des Ersten Weltkriegs vorstellen muss, über die teilweise hochspeziellen, zitathaft einmontierten oder mit Hans Castorps Worten nacherzählten Diskurse über das Wesen der Zeit oder die Medizin, bis hin zu der berühmten Passage am Ende des 1. Bandes, die Thomas Mann auf Französisch schrieb und für deren Transfer in Übersetzungen sich logischerweise verschiedene Lösungen anbieten. […]

Von besonderer Relevanz für die Verbreitung war als zweite erschienene Übersetzung die englische (1927). Die späten 1920er und frühen 1930er Jahre sahen dann Übertragungen des Zauberberg in weitere wichtige europäische Sprachen wie Polnisch und Schwedisch (1929), Dänisch, Jiddisch, Tschechisch (1930) und Französisch (1931). […]

60 Übersetzungen in 36 Sprachen

Inzwischen zählen wir knapp 60 Übersetzungen (einige davon allerdings nur revidierte Fassungen) in 36 Sprachen, von denen die neuesten die Übertragung ins Vietnamesische 2013 und die Neuübersetzung ins Tschechische von 2016 sind. […]

Wer die hier folgende Liste überfliegt, wird konstatieren, dass dennoch bisher weiterhin einige Lücken verblieben sind. Natürlich ließe sich eine sehr viel längere Liste lebender Sprachen entwickeln, indes sollen hier nur die größeren aktiven Literatursprachen genannt werden, in die nach bisheriger Kenntnis der Zauberberg noch nicht übersetzt wurde: Belarussisch, Birmanisch, Hindi, Indonesisch, Isländisch, Letzeburgisch,Maltesisch, Mongolisch, Pashtuni, Suahili, Thailändisch, Urdu.

Dies sind Desiderate, durch deren Erfüllung die Verflechtung der Weltliteratur, ganz in Goethes Sinn und in dem seines überzeugten Jüngers Thomas Mann, weiter vervollkommnet würde.

Achim Hölter

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Thomas Mann, Playmobil
Der Großschriftsteller ganz klein: Zum Jubiläum hat der S. Fischer Verlag bei Playmobil eine limitierte Sonderauflage in Auftrag gegeben, die Thomas Mann mit Sonnenhut im kalifornischen Exil zeigt. – Bild: Playmobil

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