Aus dem Aachener Anzeiger / Politisches Tageblatt vom 4. Februar 1928 (Zwischenüberschriften und zusätzliche Absatzeinteilungen von UEPO.de):
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Die Hilfskräfte der Diplomatie
Wie wird man Dolmetscher, Kurier, Agent?
Von Dr. A. von Wilke.
Im Reichstagsausschuß für auswärtige Angelegenheiten und im Auswärtigen Amt wird gegenwärtig über die Neugestaltung des diplomatischen Dienstes beraten.
Als dem Fürsten Bismarck einst jemand zur Uebernahme in den diplomatischen Dienst des Reiches empfohlen wurde, fragte er trocken, wie es seine Art war: „Was kann der Mann? – „Er spricht französisch und englisch“, lautete die Antwort. „“Das tut jeder Oberkellner“, versetzte Bismarck. Ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass jeder künftige Diplomat französisch und in zweiter Linie auch englisch in Wort und Schrift beherrscht. Vorläufig hat sich der schöne Traum von einer Einheitssprache, die allen auf einer höheren Bildungsstufe stehenden Erdbewohnern als Verständigungsmittel dienst, eben noch nicht erfüllt.
Erst Latein, dann Französisch, dann Englisch Diplomatensprache
Im Mittelalter sprachen und schrieben bekanntlich Gelehrte und Staatsmänner lateinisch; da der glänzende Versailler Hof den Fürsten Europas als Vorbild diente, trat dann an die Stelle des Lateinischen das Französische, das nun, aus dieser privilegierten Stellung in den letzten Jahren immer mehr verdrängt worden ist.
Die Zeiten sind dahin, in denen die preußischen, österreichischen, bayerischen und württembergischen Gesandten, die im Ausland weilten, an ihre vorgesetzten Minister in der Sprache Voltaires berichteten.
Andererseits gereichte es dem Ansehen Deutschlands gewiß nicht zum Vorteil, wenn der deutsche Botschafter in London, Freiherr Marschall von Bieberstein, einen Trinkspruch auf das damalige deutsche Kaiserpaar in die Worte kleidete: „A la sante de Sa Majeste et de Sa Majestee l’Empereuse“, statt auf die Gesundheit der „Imperatrice“ zu trinken.
Institut der Dolmetscher-Dragomane in Konstantinopel
Daß sich ein Diplomat — wie es der berühmte Kardinal Rezzosanti es konnte — in sämtlichen bedeutenderen lebenden und toten Sprachen auszudrücken vermöge, wäre ein unbilliges Verlangen. Deshalb entstand das dem eigentlichen diplomatischen Dienst angegliederte Institut der Dolmetscher-Dragomane, das namentlich in Konstantinopel eine außerordentlich wichtige Rolle spielte, solange die Türkei noch eine europäische Großmacht war.
Die Dragomane waren das Bindeglied zwischen den in Konstantinopel beglaubigten Diplomaten und den türkischen Ministern des Auswärtigen, dem „Haridschte“. Auf dem orientalischen Seminar der Berliner Universität vorgebildet, rückten die diplomatischen Dolmetscher Deutschlands vom Dragoman-Eleven zum Dragoman auf.
Im Jahre 1917, im letzten Lebensstadium des alten türkischen Reiches, gab es bei der deutschen Botschaft am Goldenen Horn, an deren Spitze Dr. von Kühlmann als „Botschafter in außerordentlicher Mission“ stand, einen „ersten“, „zweiten“, „dritten“ und „vierten Dragoman“. Auch die anderen diplomatischen Missionen zählten einen oder mehrere Dragomane zu ihrem diplomatischen Personal, während die Botschaft der Vereinigten Staaten neben ihren amerikanischen Botschaftssekretären zwei türkische Sekretäre hatte.
Die Botschafter, die Gesandten, kommen und gehen. Die Dragomane dagegen bleiben, auch in Angora, der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Sie sind aufs innigste vertraut mit der Mentalität der Orientalen, ihren Schlichen, Ausflüchten, halben Versprechungen und ganzen Unwahrheiten.
Zuweilen gabes sogar ganze Geschlechter, in denen sich die Profession des Dragomans regelmäßig vom Vater auf den Sohn vererbte; das war z. B. in der österreichischen Familie der Ritter und Freiherren von Testa der Fall.
Dragomane machen in Politik Karriere
Es ist auch immer wieder vorgekommen, daß einzelne Dragomane zur eigentlichen diplomatischen Karriere übergingen. Der verstorbene Dr. Clemens Busch, einst Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin, sodann deutscher Gesandter in Bukarest, begann seine Laufbahn als Dragoman. Der frühere Reichsaußenminister Dr. Rosen, Gesandter im Haag und in Lissabon, ging ebenfalls aus der Dragoman-Karriere hervor.
Der neuerrichteten deutschen Gesandtschaft in Afghanistans Hauptstadt Kabul dient Dr. Leschuski als Dragoman, während der Dolmetscher der deutschen Gesandtschaft in Teheran schon durch seinen orientalischen Namen – er heißt nämlich Ruhollah Khau Meykadeh – verrät, daß seine Wiege nicht in Deutschland, sondern in Persien stand.
Der vielsprachige Ferne Osten macht das Dolmetscherwesen unentbehrlich.
Dolmetscher mittelbare Reichsbeamte ohne Pensionsanspruch und kündbar
Die Dolmetscher, die im diplomatischen Dienst des Deutschen Reiches verwendet werden, können naturgemäß nicht wie die Diplomaten bald da, bald dort tätig sein. Ihre Verwendungsmöglichkeit ist an ihr spezielles Sprachgebiet gebunden, und ihre Anstellung erfolgt daher auf Grund eines Privatdienstvertrages, der von Fall zu Fall abgeschlossen wird, und durch den sie mittelbare Reichsbeamte werden, keine gesetzlichen Pensionsansprüche haben und innerhalb gewisser Fristen kündbar sind.
Auf Privatdienstverträgen beruht auch das Arbeitsverhältnis der Uebersetzer, die das Auswärtige Amt anstellt, und die dann entweder in Berlin beschäftigt ober im Gefolge einer deutschen Delegation nach einer der Konferenzen der Völkerbundstagungen entsandt werden.
In Genf ist bei jeder Tagung eine kleine Armee von rasch und zuverlässig arbeitenden, mehrerer Sprachen kundigen Stenotypistinnen versammelt, die in ihrer Gesamtheit an der gemeinsamen Tafel einen überaus angenehmen und erfreulichen Anblick bieten.

Diplomatische Kuriere: „Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, auch Mut und Körperkraft“
Der Nimbus des Abenteuerhaften ist noch nicht vollständig von den Aufgaben gewichen, die den diplomatischen Kurieren obliegen. Sie übermitteln Depeschen und Akten, die man der Post nicht anvertrauen will, da sie nicht der Gefahr, in Verlust zu geraten, ausgesetzt werden dürfen; ständig pendeln sie zwischen der „Zentrale“, dem Auswärtigen Amt in Berlin und den ausländischen Hauptstädten.
Der diplomatische Kurierdienst lag früher in den Händen der Offiziere des „Reitenden Feldjägerkorps“; diese Verquickung von zwei Betätigungen, die an sich keinerlei Berührungspunkte aufweisen, stammte zweifellos aus der Zeit vor der Erfindung der Eisenbahnen. Ist doch ein Kurier, im wörtlichen Sinn, ein Läufer, ein Schnelläufer.
Der diplomatische Kurier bedarf keiner weiteren diplomatischen Schulung. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, auch Mut und Körperkraft sind die Vorzüge, über die er verfügen muß. Hindernisse sind für ihn nur da, um überwunden zu werden.
Zahlreich sind die Kriminalromane und Detektivfilme, in denen einem diplomatischen Kurier unterwegs die Dokumentenmappe, die ihm verschlossen übergeben wurde, und von der er sich keine Sekunde trennen darf, von dem Agenten einer fremden Regierung unterwegs gestohlen wird.
Nun, Diebstähle politischer und besonders diplomatischer Dokumente von Wichtigkeit sind gerade in der Nachkriegszeit ziemlich häufig vorgefallen, und es ist nicht erstaunlich, daß die diplomatischen Kuriere besonders vorsichtig geworden sind. Sie sind zwar nur Boten, aber von hervorragender Pflichttreue und Intelligenz.
In jedem Zimmer der Referenten des Auswärtigen Amtes hängt eine Tafel, auf der verzeichnet ist, an welchem die Tage die Kuriere nach den wichtigen Plätzen abgehen, damit sich die Referenten mit der Fertigstellung ihrer Akten darauf einrichten.
Verschlossen übernimmt der Kurier die Mappe, verschlossen händigt er sie unmittelbar nach seiner Ankunft dem Botschafter oder Gesandten aus, der seinerseits einen Schlüssel zu der Mappe hat.
„Sprachgewandte, energische Leute, die schon im Auslande geweilt haben“
Als diplomatische Kuriere werden jetzt inaktive Offiziere verwendet, sprachgewandte, energische Leute, die schon im Auslande geweilt haben.
Da die diplomatischen Kuriere jeden überflüssigen Aufenthalt vermeiden müssen, benuten sie stets die raschesten Züge und Dampferverbindungen. Immer fahren sie in der ersten Klasse: haben doch die schnellsten Züge oft nur die oberste Klasse.
Auch lösen sie sich stets zwei Bahnkarten; das ist nicht deshalb vorgeschrieben, weil die Kuriere bequem reisen sollen, sondern dient nur dem Zweck, ihnen neben sich einen freien, unbesetzten Platz zu verschaffen und die Kuriere dadurch vor zweifelhafter Nachbarschaft zu schützen.
Geheime Agenten des diplomatischen Dienstes
Sind die Dolmetscher und Kuriere, selbst wenn sie zu keiner Kategorie der etatmäßigen Reichsbeamten rechnen, immerhin offizielle Persönlichkeiten, so läßt sich dies nicht von den geheimen Agenten des diplomatischen Dienstes sagen.
Auf sie kann kein Staat Verzicht leisten, ehe sich nicht alle übrigen Staaten gleichfalls dazu entschließen, die gegenseitige Spionage einzustellen.
Je reicher ein Staat ist, umso ausgedehnter und kostspieliger ist sein Apparat von Geheimagenten, die von Fall zu Fall entlohnt werden.
Der Geheimagent trägt seine Haut auf sein eigenes Risiko zu Markt. Wird er ertappt, so überläßt man ihn seinem Schicksal.
Deutschland hat auf diesem Gebiet freilich nie mit den anderen Großmächten Schritt zu halten vermocht.
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Quelle: Aachener Anzeiger / Politisches Tageblatt, Unparteiische Zeitung, Hervorragendes Anzeigenblatt für die Stadt und den Regierungsbezirk. 50. Jahrgang, Samstag, 4. Februar 1928, Mittag-Ausgabe.
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Richard Schneider
