Stresemanns und Hitlers Dolmetscher Paul Schmidt: „Ein Seitensprung in die Politik, den ich nicht bedaure“

Paul Schmidt 1961
Ähnlich wie Albert Speer profitierte Dr. Paul Schmidt zeitlebens von seiner stattlichen Erscheinung und seinem gewinnenden Wesen. Auf Gesprächspartner wirkte er stets klug, gebildet, kompetent, höflich, bescheiden und integer. - Bildschirmfoto

Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hat seltene Filmaufnahmen von Dr. Paul Schmidt (1899 – 1970) aus dem Jahr 1961 in seinem Archiv entdeckt und in einer Mediathek veröffentlicht.

Schmidt war von 1923 bis 1945 Dolmetscher im Auswärtigen Amt und wurde schon unter Außenminister Gustav Stresemann 1924 zum Chefdolmetscher befördert. Stresemann erhielt 1926 gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Aristide Briand den Friedensnobelpreis und verstarb 1929 früh im Alter von 51 Jahren.

Paul Otto Gustav Schmidt war bereits zehn Jahre im Amt, als 1933 Hitler die Macht ergriff. Er hatte nach Stresemann auch den Außenministern Julius Curtius (1929 – 1932) und Konstantin von Neurath  (1932 – 1938) gedient, als der später als Kriegsverbrecher hingerichtete Joachim von Ribbentrop sein neuer Vorgesetzter wurde (1938 – 1945). Viele warfen Schmidt später vor, dass er ab 1933 zwölf Jahre lang auf höchster Ebene weiter seinen Dienst versah, als habe es sich um einen normalen Regierungswechsel gehandelt.

Bei der Entnazifizierung nach dem Krieg wurde er 1950 von der Spruchkammer Miesbach zwar als „entlastet“ eingestuft, aber nicht wieder in den Sprachendienst des Außenministeriums übernommen. Schmidt ging daraufhin zum Sprachen- und Dolmetscherinstitut (SDI) München, das er von 1952 bis 1967 als Direktor leitete und maßgeblich prägte.

Wir haben das WDR-Interview für Sie transkribiert:

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Paul Schmidt 1931
18. Juli 1931, Paris: Der französische Außenminister Aristide Briand (1), Ministerpräsident Pierre Laval (2), Dolmetscher Paul Schmidt (3), Außenminister Julius Curtius (4), Reichskanzler Heinrich Brüning (5) und Staatssekretär Bernhard von Bülow (6) auf der Veranda des Palais de la Présidence du Conseil. Schmidt war damals erst 32 Jahre alt, besaß aber schon 7 Jahre Dolmetsch-Erfahrung im Auswärtigen Amt. – Bild: Erich Salomon (gemeinfrei)

Reporter: Dr. Paul Schmidt, Chef-Dolmetscher des Auswärtigen Amtes in der Zeit zwischen 1923 und 1945. Heute in Köln erlebt, für ein paar Stunden hier zu Gast. Herr Dr. Schmidt, mit Ihrer Person werden Geschichte und Geschichten wach. Welchen Staatsmann haben Sie eigentlich in ihrer großen Zeit nicht kennen gelernt?

Schmidt: Na, die meisten habe ich kennen gelernt. Alle, die damals eine Rolle spielten in der Zeit von ’23 bis ’45, also angefangen von Stresemann über Brüning und Papen und MacDonald, und Briand und Lavalle und Tardieu. Na, und dann die andern im Dritten Reich selbstverständlich auch: Chamberlain und Daladier und Mussolini und Franco an der spanischen Grenze, also eine ganze Reihe, um nur ein paar zu nennen.

Und wenn Sie auch gebürtiger Berliner sind und symbolisch Ihr Dienstzimmer immer in Berlin war, so haben Sie auch mit dem Rhein eine Verbindung und eine Erinnerung an vergangene Zeiten, ich denke an Godesberg.

Ja, natürlich, mit dem Hotel Dreesen und dem Hotel oben auf dem Petersberg habe ich sehr lebhafte Erinnerungen, wo es ja damals auch hart auf hart ging. Und wo ich auch – wie heute wieder die Dolmetscher – als einziger bei den Gesprächen der Staatsmänner zugegen war.

Mussolini, Hitler, Schmidt, Chamberlain
Mussolini, Hitler, Schmidt und Chamberlain im September 1938 bei der Aushandlung des Münchner Abkommens zur Beilegung der Sudetenkrise. – Bild: Bundesarchiv, Bild 146-1970-052-24, CC-BY-SA 3.0

Nun, Herr Schmidt, eine Gewissensfrage. Sie haben einmal ein Buch – Ihr Buch – genannt Statist auf diplomatischer Bühne. Und das, was Sie jetzt eben sagten, zwingt mich dazu, so zu fragen: Ist man nur Statist als Dolmetscher? Ich glaube, man ist ein wenig mehr.

Ja, man soll Statist sein. Man soll die beiden Gesprächsparter sich genau so gegenüberstellen in der anderen Sprache, wie sie eben unretuschiert auf den andern wirken sollen. Das ist die richtige Aufgabe. Aber es kommen natürlich Fälle vor – ganz wenige – bei den Großen, wo man auch mal ein bisschen eingreift, schon um sich selber vor Schwierigkeiten zu bewahren.

Nun sind Sie heute nicht mehr im aktiven Dienst an der diplomatischen Front, sondern Sie bilden den Nachwuchs aus, in München in einem Institut. Wie stehts um den Nachwuchs?

Ja, der Nachwuchs ist genauso gut – vielleicht sogar noch besser – als er früher war. Denn die Welt ist heute kleiner geworden und die Völker sind aneinandergerückt und jeder hat den andern mal besucht. Unsere Besuche während des Krieges in den jetzt verbündeten Ländern werden erwidert durch unsere jetzigen Verbündeten und da kommt natürlich die Sprache sehr viel mehr in den Vordergrund als das früher der Fall war.

Haben sich die Schwerpunkte verlagert? Ich glaube, Englisch dominiert doch heute?

Ja, Englisch und Amerikanisch natürlich. Englisch und Amerikanisch dominieren sehr. Und neuerdings kommt nun auch wieder das Französische sehr nach vorn. Gerade das Französische im Zusammenhang mit der politischen Entwicklung, mit der Integration in Europa bei der Montan-Union im Gemeinsamen Markt. Da ist ja Französisch und Deutsch, das sind die offiziellen Sprachen, wie übrigens auch Italienisch und Holländisch noch.

Und Sie haben Französisch, Englisch und ich glaube auch Spanisch gedolmetscht?

Ja, ich habe zum Beispiel seinerzeit, als Franco sich mit Hitler traf – an der spanisch-französischen Grenze – da habe ich auch auf Spanisch gedolmetscht. Und natürlich sonst meistens Französisch und Englisch. Das heißt mehr Französisch als Englisch, denn nach wie vor, auch in den turbulentesten Zeiten in Europa, war Französisch nämlich die Diplomatensprache und wurde von den meisten Leuten verstanden.

Paul Schmidt 1961
Als Direktor des SDI München machte Schmidt aus einer gewöhnlichen Sprachenschule ein renommiertes Institut zur Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern. – Bildschirmfoto

Haben sich die Techniken heute – Herr Dr. Schmidt – geändert? Ich denke an die Simultanübersetzungen.

Ja, die Simultantechnik ist natürlich etwas ganz anderes als die frühere Konsekutivpraxis. Denn sie bedeutet ja, dass man nun gleichzeitig hören und übersetzen muss. Aber man muss ziemliche Vorbehalte machen gegenüber der Wirkung von solchen Simultanübersetzungen.

Sie sind sehr genau, und vor allen Dingen zwischen Englisch und Französisch und Italienisch und Französisch können sie sehr viel noch genauer sein als vom Deutschen her. Denn wir haben ja diese für den Simultandolmetscher unglückselige Wortordnung im Deutschen, wo das Verb immer erst ganz hinten kommt. Und im Französischen braucht er ja das Verb schon gleich am Anfang. Und dann sagen wir womöglich in einem deutschen Satz noch ein „nicht mehr“ am Ende und dann ist alles genau das Gegenteil, was in dem Satz eigentlich drinsteht. Können Sie sich vorstellen, wie geübt so ein Simultandolmetscher da sein muss, um da herauszufinden?

Nun könnten wir stundenlang noch aus dem Nähkästchen plaudern – Anekdoten, Stories und was hinter den Kulissen passierte. Aber ich glaube, es ist eine schöne Zeit für Sie gewesen. Wenn auch nur als Statist, aber immerhin als Statist auf der Weltbühne gestanden zu haben.

Ja, von dem Standpunkt eines Neuphilologen, der ich ja erst war – und bin auch noch -, da war es natürlich ein Seitensprung. Ein Seitensprung in die Politik. Aber ein Seitensprung, den ich nicht bedaure.

Paul Schmidt 1961
Das Gespräch fand in Köln-Deutz auf der Terrasse eines Hotels mit Blick auf Rhein und Dom statt. – Bildschirmfoto

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Richard Schneider