FTSK Germersheim zeichnet Jörn Albrecht für Verdienste um Translationswissenschaft aus

Jörn Albrecht
Jörn Albrecht nahm die Auszeichnung in Germersheim entgegen. Im Hintergrund der im Dekanat hängende Abguss der ältesten bekannten Darstellung eines Dolmetschers aus dem Grab des Pharaos Haremhab in Memphis (1330 v. Chr.). - Bild: FTSK

Der Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat dem renommierten Sprach- und Übersetzungswissenschaftler Prof. Dr. Jörn Albrecht am 19. August 2020 die Ehrendoktorwürde des FTSK verliehen.

„Mit dieser Auszeichnung danken wir Jörn Albrecht für seine langjährigen Verdienste um die Translationswissenschaft und seine Verbundenheit mit unserem Fachbereich“, so die Fachbereichsdekanin Prof. Dr. Dilek Dizdar.

In seiner Laudatio betonte Altdekan Prof. Dr. Michael Schreiber die Pionierleistung Albrechts für die deutschsprachige Übersetzungswissenschaft. Die Weiterentwicklung der noch relativ jungen Übersetzungswissenschaft, die sich aus der Linguistik und der Literaturwissenschaft heraus entwickelt hat und gemeinsam mit der Dolmetschwissenschaft unter dem Dach der Translationswissenschaft zusammengefasst wird, habe im deutschsprachigen Raum durch die Forschungen Albrechts wesentliche Impulse bekommen. Insbesondere seien hier seine Beiträge zur Übersetzungsgeschichte, zum literarischen Übersetzen und zur Rolle der Linguistik für das Übersetzen zu nennen.

Jörn Albrecht
Den meisten Studenten dürfte Albrecht wie auf diesem Foto aus den 1990ern in Erinnerung sein.

Prof. Dr. Jörn Albrecht ist der Universität Mainz und insbesondere dem Standort Germersheim seit Jahrzehnten eng verbunden: Von 1981 bis 1984 hatte er zunächst eine Professur für Romanistik/Italianistik am Fachbereich 06 inne, ab 1985 die Professur für Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft. Im Jahr 1991 folgte er einem Ruf an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wo er bis 2004 als Professor für Übersetzungswissenschaft/Französisch tätig war.

Auch mit 81 Jahren ist Albrecht nach wie vor wissenschaftlich aktiv und teils in der Lehre tätig. So ist er immer wieder mit Vorträgen zu Gast am Germersheimer Fachbereich und beteiligt sich an Promotionsverfahren. Sowohl seine Lehre als auch seine Schriften zeichnen sich durch ein immenses thematisches Spektrum aus.

Einzigartige thematische Breite und stilistische Könnerschaft

Anlässlich der Verleihung der Urkunde zur Ehrenpromotion an Jörn Albrecht am 19. August 2020 in Germersheim würdigte Prof. Dr. Michael Schreiber die Leistungen Albrechts in seiner Laudatio:

Michael Schreiber
Michael Schreiber – Bild: FTSK

Wenn man die Aufgabe hat, für den eigenen akademischen Lehrer eine Laudatio zu verfassen, so besteht das Risiko, dass man entweder die Leistungen des geschätzten Lehrers kritiklos verklärt oder dass man sich in einer Art Hyperkorrektur ganz sachlich und nüchtern auf die (vermeintlich) „harten Fakten“ beschränkt. Ich möchte mit dem sachlichen Teil beginnen und am Schluss noch einige persönliche Anmerkungen beisteuern.

Jörn Albrecht (geboren 1939) zählt zu den Pionieren der deutschsprachigen Übersetzungswissenschaft. Sein akademischer Werdegang führte ihn von Tübingen (Promotion 1970, Habilitation 1977) über Mainz/Germersheim (Professuren für Romanistik/Italianistik, 1981-1985 und Allgemeine Sprachwissenschaft, 1985-1991) nach Heidelberg (Professur für Übersetzungswissenschaft: Französisch, 1991-2004).

Für seine wissenschaftlichen Verdienste wurde er 2017 von der Université de Lorraine in Nancy mit einer Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Er ist auch im Ruhestand wissenschaftlich sehr aktiv, lehrt nach wie vor in Heidelberg, wenn auch in reduziertem Umfang und publiziert ebenso regelmäßig, jedoch keineswegs in reduziertem Umfang.

Den Kontakt zum Germersheimer Fachbereich pflegt er u.a. durch regelmäßige Vorträge (zuletzt bei dem Workshop „Translation und Linguistik“ im November 2019) und die Beteiligung an Promotionsverfahren.

Auf Jörn Albrechts Schriften kann ich hier nur in sehr knapper und selektiver Form eingehen. Zur Bewertung der Schriften haben wir zwei Gutachten eingeholt. Andreas Gipper betont in seinem Gutachten nicht nur den bemerkenswerten Umfang von Jörn Albrechts Oeuvre, sondern insbesondere auch dessen thematische Breite:

„Was Albrechts Oeuvre aber vor allem unverwechselbar macht, ist seine einzigartige thematische Breite, eine Breite, die niemals das Ergebnis dilettierender Unbekümmertheit ist, sondern die stets höchste akademische Standards wahrt. Hier stehen Aufsätze zur Frühgeschichte der Sprachwissenschaft neben Aufsätzen zur Übersetzung von Anredeformen, Aufsätze zur Lexikologie neben Studien zu Leopardi, Beiträge zur Grammatiktheorie neben Arbeiten zu La Germania e L’Europa.“

Es wäre also stark reduktionistisch, würde man Jörn Albrechts Arbeiten auf die im engeren Sinne translationswissenschaftlichen Publikationen eingrenzen. Es liegt aber natürlich nahe, dass für eine Ehrenpromotion in Germersheim, wo Jörn Albrecht von 1981 bis 1991 in den Diplomstudiengängen für Übersetzer und Dolmetscher lehrte, seine Arbeiten zum Übersetzen eine besondere Rolle spielen.

Sein romanistisches Arbeitsheft Linguistik und Übersetzung (1973) gehört ebenso zu den Standardwerken der Disziplin wie die 2005 unter dem Titel Übersetzung und Linguistik erschienene, erheblich erweiterte Neubearbeitung und das 2016 gemeinsam mit René Métrich herausgegebene Handbuch Manuel de traductologie. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auch auf den Schriften zur Übersetzungsgeschichte, die bereits in dem Band Literarische Übersetzung von 1998 eine wichtige Rolle spielte. 2018 folgte die umfangreiche, gemeinsam mit Iris Plack verfasste Monographie Europäische Übersetzungsgeschichte.

Zu dem letztgenannten Buch und mit einem Blick auf weitere Publikationen schreibt unser externer Gutachter, Wolfgang Pöckl (Innsbruck): „Auch wenn man bedauern mag, dass mehrere kleinere Literaturen nur am Rande behandelt werden, so ist doch mit dem allergrößten Respekt anzuerkennen, dass es bisher keine Übersetzungsgeschichte dieses Umfangs aus einem Guss gibt. Wie alle Publikationen Albrechts ist auch dieses Buch dank der stilistischen Könnerschaft seines Autors ein Lesevergnügen, und diese Qualität der Texte ist nicht das geringste Verdienst, denn sie sollte das Ansehen der Disziplin im Kontext der Fächer und auch das der deutschen Wissenschaftssprache stärken können.“

Nach den kenntnisreichen Worten der Gutachter zu Jörn Albrechts Publikationen möchte ich auf diese nicht mehr eingehen, sondern aus eigener Erfahrung noch einen ergänzenden Blick auf Jörn Albrechts Lehre werfen, die ich hier in Germersheim in den 1980er Jahren erleben durfte.

In Bezug auf die Themen von Jörn Albrechts Lehrveranstaltungen ging es mir ganz ähnlich wie Andreas Gipper im Hinblick auf die Publikationen: Ich war von Anfang an fasziniert von der unermesslichen thematischen Breite der Seminare und Vorlesungen. Während meines Diplomstudiums und des anschließenden Promotionsstudiums (für das man damals noch eine Reihe von Seminarscheinen erwerben musste), habe ich Seminare zu ganz unterschiedlichen Themen besucht: Stilistik, Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Sprachphilosophie, Übersetzungswissenschaft, Linguistik – Literaturwissenschaft – Übersetzen sowie Logik und Mathematik für Linguisten und Computerlinguisten. Hinzu kamen die Vorlesungen zu Übersetzung und Linguistik (Linguistik im engeren und im weiteren Sinn).

Mir ging es dabei oft so, wie es Johannes Kabatek einmal in einem Buch über seinen und Jörn Albrechts Lehrer Coseriu beschrieben hat: Ich hatte das Gefühl, als würde er aus einem Buch zitieren, einem umfangreichen, unerschöpflichen und unvollendeten Buch. Zwar sind seit dieser Zeit viele Monographien, Aufsätze, Rezensionen und Übersetzungen aus Jörn Albrechts Feder erschienen, aber ich bin mir ganz sicher, dass das große Buch noch nicht zu Ende erzählt ist.

Daher möchte ich die Ehrenpromotion nicht als so sehr als eine Auszeichnung für ein abgeschlossenes Werk (Ergon) verstanden wissen, sondern als Würdigung einer Tätigkeit (Energeia). Und ich würde mir wünschen, dass wir in den nächsten Jahren noch viele Kapitel des großen Buches zu lesen bekommen.

Germersheim, den 19. August 2020
gez. Michael Schreiber

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Dr. Doris Kinne / FTSK Germersheim