60 Jahre 20. Juli 1944: Gab es auch Widerstandskämpfer unter Dolmetschern und Übersetzern?

Rupprecht Gerngroß
Rupprecht Gerngroß vor einem Rundfunk-Mikrofon. Die Aufnahme wurde nach Kriegsende vermutlich nachgestellt.

Heute jährt sich das Stauffenberg-Attentat auf Adolf Hitler zum 60. Mal. Aus diesem Anlass findet im Berliner Bendlerblock, wo die Verschwörer erschossen wurden, eine Gedenkveranstaltung mit den Spitzen des Staates statt. Im Fernsehen laufen rund um die Uhr Dokumentationen und aufwändig produzierte Rekonstruktionen der Verschwörung.

Angesichts dieser Lobreden auf den militärischen Widerstand stellt sich die Frage: Gab es auch in unserer Berufsgruppe Helden? Wie haben sich die führenden Köpfe unserer Branche zwischen 1933 und 1945 verhalten?

Paul Schmidt, Hitlers Dolmetscher – nur ein Mitläufer?

Der bekannteste Sprachmittler der Nazizeit war der Chefdolmetscher des Auswärtigen Amts, Dr. Paul Schmidt (1899 – 1970). Ab 1923 hatte er zunächst 10 Jahre für demokratische Reichsregierungen und dann 12 Jahre mit demselben Engagement für die Nazis gedolmetscht. Unter Hitler kam seine Karriere in Schwung: 1933 wurde er Legationssekretär, 1935 Legationsrat, 1938 Gesandter, 1940 Ministerialdirigent und Gesandter 1. Klasse. 1943 trat er in die NSDAP ein.

Nach dem Krieg wurde Schmidt aus dem diplomatischen Dienst entlassen und war drei Jahre bei den Amerikanern in Haft. Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen kam ihm eine bedeutende Rolle als Zeuge zu. 1950 wurde der von allen Seiten als kompetent und vertrauenswürdig beschriebene Schmidt durch einen Entscheid der Spruchkammer Miesbach entlastet.

Ein Widerstandskämpfer war Schmidt gewiss nicht – eher eine Art integrer Mitläufer. 1952 fand er eine neue Aufgabe als Rektor des Sprachen- und Dolmetscherinstituts München (SDI).

Die Frage, ob Schmidt ein „Nazi“ war, wurde immer wieder kontrovers diskutiert. Prof. Dr. Marcus Pyka schreibt 2014 in seinem Nachwort zur Neuauflage von Schmidts Statist auf diplomatischer Bühne‚ als E-Book dazu:

Des ungeachtet scheint sich Schmidt in der Tat eine gewisse geistige Unabhängigkeit bewahrt zu haben, auch wenn sie zunächst keine praktischen Folgen zeitigte. […] [Schmidts jüdischer Kollege] Hans Jacob hat 1939 […] in der Exilantenzeitschrift “Neue Weltbühne“ ein überaus bemerkenswertes Portrait seines ehemaligen Kollegen gezeichnet, das in Anbetracht des Erscheinungsdatums umso interessanter ist.

Dezidiert stellt Jacob hier fest: ‚Schmidt ist kein Nazi.‘ Mehr noch: ‚Doktor Paul Schmidt gehörte keiner politischen Partei an; es hiess eine Zeitlang, er sei Mitglied der Sozialdemokratischen Partei geworden. Ich möchte das bezweifeln “–“ aber es steht fest, dass Schmidt ein ‚linksgerichteter‘ Mann war und im Jahre 193[2 bei der Reichspräsidentenwahl] gegen Hitler für Hindenburg gestimmt hat.‘“

Otto Monien, Leiter der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen

Ein weiteres Beispiel ist Otto Monien, der Leiter der nationalsozialistischen „Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen“ (RfD), der umfangreiche Lehrmaterialien für die Reichsfachschaft und nach dem Krieg ein Lehrbuch bei Langenscheidt herausbrachte (Texte für Soldaten). Vermutlich war er NSDAP-Mitglied und überzeugter Nationalsozialist – sonst wäre ihm das Amt des Reichsfachschaftsleiters kaum übertragen worden.

Dessen ungeachtet machte Monien nach dem Krieg Karriere im Bundesministerium der Verteidigung und war dort Leiter des Sprachenreferats.

Rupprecht Gerngroß
Hauptmann Gerngroß mit Mitgliedern der von ihm geleiteten Dolmetscherkompanie des Wehrkreises VII. – Bild: Heidenberger

Rupprecht Gerngroß versuchte wie Stauffenberg zu putschen

Leistete niemand aktiv Widerstand? Doch, zumindest ein derartiger Fall ist uns bekannt: Hauptmann Dr. Rupprecht Gerngroß, 1945 Chef der Dolmetscher-Kompanie des Wehrkreises VII, war in den letzten Kriegstagen Anführer eines Putschversuchs („Freiheitsaktion Bayern“) gegen das Naziregime in Bayern. Ihm zu Ehren wurde nach dem Krieg in München-Schwabing der Feilitzschplatz in „Münchner Freiheit“ umbenannt.

Der Gruppe gelang es, zwei Rundfunksender, die Redaktionen des Völkischen Beobachters und der Münchner Neuesten Nachrichten sowie das Münchner Rathaus zu besetzen. Die Aufständischen scheiterten, weil es ihnen nicht gelang, den als gemäßigt eingeschätzten Reichsstatthalter von Epp zum Mitmachen zu bewegen.

Ehrlose Gesellen
„Ehrlose Gesellen, die einer Dolmetscherkompanie angehören“: Mit Plakaten wandte sich das Regime umgehend an die Bevölkerung. – Bild: Heidenberger

Das Regime nahm blutige Rache: 41 Verschwörer, darunter viele Dolmetscher, wurden erschossen – zwei Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner in München.

Angesichts dieses zeitlichen Ablaufs wurde die Aktion im Nachhinein vereinzelt auch angefeindet: Hätte Gerngroß einfach gar nichts gemacht, statt „den Helden zu spielen“, so seine Kritiker, hätten Dutzende seiner Leute im Bayern der Nachkriegszeit noch ein ebenso schönes Leben wie Gerngroß selbst haben können, der erst 1996 starb.

Rupprecht Gerngross Verdienstorden
Ministerpräsident Franz Josef Strauß verleiht Rupprecht Gerngroß den Bayerischen Verdienstorden. – Bild: Heidenberger

Literaturhinweis

Die Lebensgeschichte von Rupprecht Gerngroß einschließlich der Ereignisse um die Freiheitsaktion Bayern hat Felix Heidenberger aufgezeichnet:

  • Felix Heidenberger(2004): Mau Yee – Münchner Freiheit. Berlin: Pro Business. 288 Seiten, ISBN 3-938262-30-3

Richard Schneider

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