Studie zur Telekommunikationsüberwachung: Sprachmittler werden oft unsichtbar gemacht

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Bild: Richard Schneider

Sprachmittlerinnen helfen, wenn die Strafverfolgungsbehörde mögliche Täter und Täterinnen belauscht hat, die eine andere Sprache sprechen. Ihr Einfluss auf die Untersuchungen ist grösser als gedacht.

Ob Audionachrichten, Telefongespräche oder Aufzeichnungen mit Wanzen: Die geheime Kommunikationsüberwachung der Behörden ist immer leistungsfähiger geworden. Verstehen die Polizistinnen die Sprache der Verdächtigen aber nicht, ist jede noch so ausgefeilte Technik nutzlos. Dann helfen die Sprachmittler. Sie dolmetschen simultan während einer Abhöraktion oder übersetzen Mitschnitte von Gesprächen. Oft sind sie bezüglich Strafverfahren Laien. Dabei hat ihre Arbeit grossen Einfluss: Sie kann weitere Ermittlungen in Gang bringen, eine Verurteilung aber auch gefährden.

Unter Juristinnen galt lange die Überzeugung, dass der sogenannte Sprachtransfer den Inhalt des Gesagten nicht verändert. «Das ist falsch», sagt Nadja Capus. «Nicht nur wählen Sprachmittlerinnen aus, was vom Gehörten sie aufschreiben. Auch ihr Vorwissen und ihre Ausbildung beeinflussen die Protokolle und damit die Ermittlung.» Eine Abschrift der gesamten Überwachung würde zu viel kosten und sei auch nicht immer zielführend. Wenn etwa ein Drogendealer mit einer Süchtigen spreche, seien die Dialoge «manchmal richtig kafkaesk».

Übersetzungsvorgang wird unsichtbar gemacht

Die 53-jährige Juristin hat im vergangenen Oktober ein Forschungsprojekt zu geheimer Kommunikationsüberwachung mit Sprachmittlern an der Universität Neuenburg abgeschlossen. Dafür hat sie mit ihrem Team, dem unter anderem eine Soziologin, eine Linguistin und eine Dolmetschwissenschaftlerin angehören, über 1000 Protokolle, 22 Strafakten mit knapp 60 000 Seiten, 90 abgehörte Telefongespräche, Transkriptionen aus dem Serbischen und Bosnischen ins Deutsche ausgewertet. Zudem haben die Forscherinnen Interviews mit Polizisten und Sprachmittlern geführt und konnten auch Ermittlungsarbeit in Echtzeit beobachten.

Dabei haben sie herausgefunden, dass die Arbeit der Sprachmittlerinnen oft unsichtbar gemacht wird. Manchmal steht in Polizeiberichten nicht einmal, dass es sich bei protokollierten Aussagen um eine Übersetzung handelt. Ein weiteres Problem: Es gibt kaum einheitliche Vorgaben. «Jede Behörde legt quasi selbst fest, welches Vorwissen Sprachmittlerinnen haben», erklärt Capus. Da gehe es um Fragen wie, ob diese erfahren sollen, was Verdächtigen vorgeworfen werde, oder ob sie besser «ohne Filter» arbeiten sollen.

«Aus einer harmlosen Begrüssungsformel wurde eine Ankündigung zur Drogenlieferung»

Auch wichtig: Wie sollen Sprachmittler eigene Interpretationen des Gehörten vermerken? «Es ist ein Unterschied, ob sie schreiben, dass sie ein Hacken, Tippen und Rascheln hören oder dass wahrscheinlich gerade Drogen verpackt werden», erläutert Capus. Es habe schon Fälle gegeben, in denen sich Sprachmittler als Hilfspolizisten gesehen und angebliche Codes falsch interpretiert und übersetzt hätten. Capus: «So wurde aus einer harmlosen Begrüssungsformel eine Ankündigung zur Drogenlieferung.» Die Juristin und ihr Team werben deshalb für eine Professionalisierung von Sprachdienstleistungen im Strafjustizsystem und ein erhöhtes Bewusstsein auf dessen Seite für die Komplexität der Sprachmittlung.

In vielen Kantonen gibt es bislang kaum qualitative Voraussetzungen für die Anstellung der Sprachmittlerinnen. Im Gegenteil: Oft sind die Behörden laut Capus darauf angewiesen, überhaupt jemanden zu finden, der die gefragte Sprache und Deutsch spricht. Die Aufgaben sind komplex: Sprachmittler müssen kulturelle Eigenheiten berücksichtigen, sprachliches Durcheinander entwirren, mit einer speziellen Software der Polizei arbeiten, schnell schreiben und verstehen können.

Professionalisierung beginnt

Im Kanton Zürich gibt es seit einem Jahr Kurse für diese Tätigkeit. Konzipiert hat sie eine behördenübergreifende Fachgruppe unter der Leitung von Tanja Huber von der Zentralstelle Sprachdienstleistungen am Obergericht des Kantons Zürich. Neben den jahrelangen eigenen Erfahrungen zogen die Verantwortlichen die Erkenntnisse aus dem Projekt von Capus bei. «Bis zu dieser wertvollen Arbeit gab es kaum wissenschaftliche Daten zur Sprachmittlung bei Kommunikationsüberwachung.»

Der neue Kurs dauert zwei Tage, danach folgt eine Prüfung. Die Professionalisierung ist laut der 49-jährigen Juristin Huber ein wichtiger Schritt: «Die Festlegung und die Vereinheitlichung von Standards sind notwendig, um die Qualität der Sprachmittlung zu sichern und um Formmängel sowie Rückweisungen an untere Instanzen zu verhindern.»

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Johannes Giesler
Dieser Beitrag erschien zuerst in Horizonte – Das Schweizer Forschungsmagazin. Lizenz: CC BY-NC-ND.