Alte DNA zeigt: Wurzeln uralischer Sprachen wie Finnisch und Ungarisch liegen in Zentralsibirien

Kriegergrab
Kriegergrab mit Knochenpanzerplatten in der Kyordyughen-Stätte (Ymyakhtakh-Kultur, Zentralsibirien, ca. 2000 v. Chr.). - Bild: Aleksandr Stepanov

Woher stammen die uralischen Sprachen wie etwa Finnisch, Estnisch und Ungarisch oder das Jenisseische? Antworten könnte alte DNA liefern. Ein internationales Team aus Spezialisten aus den Bereichen Genetik und Archäologie an den Universitäten Wien und Ostrava (Tschechien) konnte dabei auf mehr als einem Jahrzehnt gemeinsamer Arbeit und Datenerhebung in Nordeurasien aufbauen.

Die Forscher unter Beteiligung von Ron Pinhasi (Wien) analysierten das Genom von 180 Individuen von der Wolga-Ural-Region bis zum Lena-Tal in Zentralsibirien im Zeitraum vom Mesolithikum (vor ca. 11.000 Jahren) bis zur Bronzezeit (vor ca. 4.000 Jahren).

Zwei Populationen konnten einerseits mit der frühen Ausbreitung uralischer Sprachen und der Verbreitung des Jenisseischen in Verbindung gebracht werden. Jenisseisch wird heute nur noch vom Volk der Ket gesprochen, war aber einst in einem größeren Gebiet in Sibirien verbreitet.

Die neuen Forschungsergebnisse zeigen, wie vor 10.000 bis 6.000 Jahren spätsteinzeitliche Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, die verteilt über den Waldgürtel Nordeurasiens lebten, durch Vermischung mit wandernden Bevölkerungsgruppen beeinflusst wurden. Zwei der untersuchten archäologischen Gruppen hinterließen langfristige sprachliche und demografische Spuren, die entscheidend für die Ausbreitung der uralischen Sprachen waren.

Die Forscher konnten durch ihre aDNA-Analyse die sogenannte Jakutien-Population der Spätneolithikum-Bronzezeit (vor 4.500-3.200 Jahren) als einen der Schlüsselfaktoren identifizieren, die maßgeblich zur Genetik von fast allen heutigen uralisch sprechenden Völkern beigetragen hat.

Diese Gruppe kam zuerst nach Westsibirien und dann nach Osteuropa. Diese Wanderbewegung steht auch im Zusammenhang mit dem Seima-Turbino-Phänomen, einer raschen kulturellen und technologischen transkontinentalen Expansion, die durch die Verbreitung der Bronzemetallurgie gekennzeichnet war.

Die neuen Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Wanderbewegung auch die früheste westliche Ausbreitung der uralischen Sprache markiert.

Auch die Cis-Baikal-Gruppe des Spätneolithikums (vor 5.100 bis 3.700 Jahren) spielte eine wichtige Rolle: Die Studie identifizierte eine Population von spätbronzezeitlichen Individuen aus der Baikalregion und der Region um den Oberen Jenissei, einem sibirischen Fluss, als die wahrscheinlichste genetische Wurzel der jenisseischen Sprachgeschichte.

Genetik deckt Verbindungen zwischen Mensch, Kultur und Sprache auf

„Durch die Generierung und Analyse einer großen Anzahl von Genomen von Individuen aus den relevanten archäologischen Fundstätten haben wir nun neue Einblicke in die vergangenen Verbindungen zwischen Menschen, ihrer materiellen Kultur und ihren Sprachen gewonnen“, sagt Ron Pinhasi, Co-Erstautor von der Universität Wien.

„Eine Sprache lässt sich nicht direkt aus Genomen lesen, aber wenn genetische Abstammung, archäologischer Kontext und Sprachgeografie zusammenkommen, sind fundierte Rückschlüsse möglich“, so Leonid Vyazov, Co-Erstautor von der Universität Ostrava. „Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung multidisziplinärer Forschung und internationaler Zusammenarbeit für die Rekonstruktion komplexer prähistorischer Entwicklungen.“

Die Studie dokumentiert auch Kontaktzonen, in denen uralische Sprecher mit indo-iranischen Steppengruppen interagierten, und liefert damit einen plausiblen Kontext für bekannte sprachliche Entlehnungen.

Weiterführender Link

  • Pinhasi, R., Reich, D., Vyazov, L. et al: „Ancient DNA reveals the prehistory of the Uralic and Yeniseian peoples“, in: Nature, 2025. DOI: 10.1038/s41586-025-09189-3

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Alexandra Frey (Universität Wien)